ich die Lieder die mir lieb sind, gen Himmel trage. Wie ist Natur so hold und gut. Im Bett richte ich meine Gedanken dahin wo mir's lieb ist, und so schlafe ich ein. Sollte das Leben immer so fortge- hen? -- gewiß nicht.
Am Samstag waren die Brüder hier, bis zum Montag. Da haben wir die Nächte am Rhein ver- schwärmt. George mit der Flöte, wir sangen dazu, so ging's von Dorf zu Dorf, bis uns der aufgehende Tag nach Hause trieb. -- Fr. Mutter, auf dem prächtigen Rheinspiegel in Mondnächten dahingleiten und singen, wie das Herz eben aufjauchzt, allerlei lustige Aben- theuer bestehen in freundlicher Gesellschaft, ohne Sorge aufstehen, ohne Harm zu Bette gehen, das ist so eine Lebensperiode in der ich mitten inne stehe. Warum lasse ich mir das gefallen? -- weiß ich's nicht besser? -- und ist die Welt nicht groß und mancherlei in ihr, was blos des Menschengeistes harrt um in ihm lebendig zu werden? -- und soll das alles mich unberührt lassen? -- Ach Gott das Philisterthum ist eine harte Nuß, nicht leicht aufzubeißen, und mancher Kern vertrocknet un- ter dieser harten Schale. Ja, der Mensch hat ein Ge- wissen, es mahnt ihn, er soll nichts fürchten, und soll nichts versäumen was das Herz von ihm fordert. Die
ich die Lieder die mir lieb ſind, gen Himmel trage. Wie iſt Natur ſo hold und gut. Im Bett richte ich meine Gedanken dahin wo mir's lieb iſt, und ſo ſchlafe ich ein. Sollte das Leben immer ſo fortge- hen? — gewiß nicht.
Am Samſtag waren die Brüder hier, bis zum Montag. Da haben wir die Nächte am Rhein ver- ſchwärmt. George mit der Flöte, wir ſangen dazu, ſo ging's von Dorf zu Dorf, bis uns der aufgehende Tag nach Hauſe trieb. — Fr. Mutter, auf dem prächtigen Rheinſpiegel in Mondnächten dahingleiten und ſingen, wie das Herz eben aufjauchzt, allerlei luſtige Aben- theuer beſtehen in freundlicher Geſellſchaft, ohne Sorge aufſtehen, ohne Harm zu Bette gehen, das iſt ſo eine Lebensperiode in der ich mitten inne ſtehe. Warum laſſe ich mir das gefallen? — weiß ich's nicht beſſer? — und iſt die Welt nicht groß und mancherlei in ihr, was blos des Menſchengeiſtes harrt um in ihm lebendig zu werden? — und ſoll das alles mich unberührt laſſen? — Ach Gott das Philiſterthum iſt eine harte Nuß, nicht leicht aufzubeißen, und mancher Kern vertrocknet un- ter dieſer harten Schale. Ja, der Menſch hat ein Ge- wiſſen, es mahnt ihn, er ſoll nichts fürchten, und ſoll nichts verſäumen was das Herz von ihm fordert. Die
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ich die Lieder die mir lieb ſind, gen Himmel trage.
Wie iſt Natur ſo hold und gut. Im Bett richte
ich meine Gedanken dahin wo mir's lieb iſt, und ſo
ſchlafe ich ein. Sollte das Leben immer ſo fortge-
hen? — gewiß nicht.
Am Samſtag waren die Brüder hier, bis zum
Montag. Da haben wir die Nächte am Rhein ver-
ſchwärmt. George mit der Flöte, wir ſangen dazu, ſo
ging's von Dorf zu Dorf, bis uns der aufgehende Tag
nach Hauſe trieb. — Fr. Mutter, auf dem prächtigen
Rheinſpiegel in Mondnächten dahingleiten und ſingen,
wie das Herz eben aufjauchzt, allerlei luſtige Aben-
theuer beſtehen in freundlicher Geſellſchaft, ohne Sorge
aufſtehen, ohne Harm zu Bette gehen, das iſt ſo eine
Lebensperiode in der ich mitten inne ſtehe. Warum
laſſe ich mir das gefallen? — weiß ich's nicht beſſer? —
und iſt die Welt nicht groß und mancherlei in ihr, was
blos des Menſchengeiſtes harrt um in ihm lebendig zu
werden? — und ſoll das alles mich unberührt laſſen? —
Ach Gott das Philiſterthum iſt eine harte Nuß, nicht
leicht aufzubeißen, und mancher Kern vertrocknet un-
ter dieſer harten Schale. Ja, der Menſch hat ein Ge-
wiſſen, es mahnt ihn, er ſoll nichts fürchten, und ſoll
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/62>, abgerufen am 25.11.2024.
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