liche Dornenkrone trägt; wenn wir Raupen und Schmet- terlingen mit dem Geheimniß der Dreifaltigkeit bezeich- net sehen, dann schaudert uns, und wir fühlen, die Gott- heit selber nimmt ewigen Antheil an diesen Geheimnis- sen; dann glaub' ich immer, daß Religion alles erzeugt hat, ja daß sie selber der sinnliche Trieb zum Leben in jedem Gewächs und jedem Thier ist. -- Die Schönheit erkennen in allem Geschaffenen, und sich ihrer freuen, das ist Weisheit und fromm; wir beide waren fromm, ich und die Nonne; es werden wohl zehn Jahr sein, daß ich im Kloster war. Voriges Jahr hab' ich's im Vorüberreisen wieder besucht. Meine Nonne war Prio- rin geworden, sie führte mich in ihren Garten, -- sie mußte an einer Krücke gehen, sie war lahm geworden, -- ihr Myrrthenbaum stand in voller Blüthe. Sie fragte mich, ob ich ihn noch kenne; er war sehr gewachsen; umher standen Feigenbäume mit reifen Früchten und große Nelken, sie brach ab, was blühte und was reif war, und schenkte mir alles, nur der Myrrthe schonte sie; das wußte ich auch schon im Voraus. Den Strauß befestigte ich im Reisewagen; ich war wieder einmal so glücklich, ich betete, wie ich im Kloster gebetet hatte; ja seelig sein macht beten!
liche Dornenkrone trägt; wenn wir Raupen und Schmet- terlingen mit dem Geheimniß der Dreifaltigkeit bezeich- net ſehen, dann ſchaudert uns, und wir fühlen, die Gott- heit ſelber nimmt ewigen Antheil an dieſen Geheimniſ- ſen; dann glaub' ich immer, daß Religion alles erzeugt hat, ja daß ſie ſelber der ſinnliche Trieb zum Leben in jedem Gewächs und jedem Thier iſt. — Die Schönheit erkennen in allem Geſchaffenen, und ſich ihrer freuen, das iſt Weisheit und fromm; wir beide waren fromm, ich und die Nonne; es werden wohl zehn Jahr ſein, daß ich im Kloſter war. Voriges Jahr hab' ich's im Vorüberreiſen wieder beſucht. Meine Nonne war Prio- rin geworden, ſie führte mich in ihren Garten, — ſie mußte an einer Krücke gehen, ſie war lahm geworden, — ihr Myrrthenbaum ſtand in voller Blüthe. Sie fragte mich, ob ich ihn noch kenne; er war ſehr gewachſen; umher ſtanden Feigenbäume mit reifen Früchten und große Nelken, ſie brach ab, was blühte und was reif war, und ſchenkte mir alles, nur der Myrrthe ſchonte ſie; das wußte ich auch ſchon im Voraus. Den Strauß befeſtigte ich im Reiſewagen; ich war wieder einmal ſo glücklich, ich betete, wie ich im Kloſter gebetet hatte; ja ſeelig ſein macht beten!
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liche Dornenkrone trägt; wenn wir Raupen und Schmet-
terlingen mit dem Geheimniß der Dreifaltigkeit bezeich-
net ſehen, dann ſchaudert uns, und wir fühlen, die Gott-
heit ſelber nimmt ewigen Antheil an dieſen Geheimniſ-
ſen; dann glaub' ich immer, daß Religion alles erzeugt
hat, ja daß ſie ſelber der ſinnliche Trieb zum Leben in
jedem Gewächs und jedem Thier iſt. — Die Schönheit
erkennen in allem Geſchaffenen, und ſich ihrer freuen,
das iſt Weisheit und fromm; wir beide waren fromm,
ich und die Nonne; es werden wohl zehn Jahr ſein,
daß ich im Kloſter war. Voriges Jahr hab' ich's im
Vorüberreiſen wieder beſucht. Meine Nonne war Prio-
rin geworden, ſie führte mich in ihren Garten, — ſie
mußte an einer Krücke gehen, ſie war lahm geworden, —
ihr Myrrthenbaum ſtand in voller Blüthe. Sie fragte
mich, ob ich ihn noch kenne; er war ſehr gewachſen;
umher ſtanden Feigenbäume mit reifen Früchten und
große Nelken, ſie brach ab, was blühte und was reif
war, und ſchenkte mir alles, nur der Myrrthe ſchonte
ſie; das wußte ich auch ſchon im Voraus. Den Strauß
befeſtigte ich im Reiſewagen; ich war wieder einmal ſo
glücklich, ich betete, wie ich im Kloſter gebetet hatte; ja
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/360>, abgerufen am 22.11.2024.
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