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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Papier, ich fürchte mich aufzuschreiben, was ich für Dich
denke.

Ja das hat der Christian Schlosser gesagt: Du ver-
stündest keine Musik, Du fürchtest Dich vor dem Tod,
und habest keine Religion, was soll ich dazu sagen? --
ich bin so dumm wie stumm, wenn ich so empfindlich
gekränkt werde. Ach Goethe, wenn man kein Obdach
hätte, das vor schlechtem Wetter schützt, so könnte einem
der kalte, lieblose Wind schon was anhaben, aber so
ich weiß Dich in Dir selber geborgen; die drei Räthsel aber
sind mir eine Aufgabe. Ich möchte Dir nach allen Seiten
hin Musik erklären, und fühl' doch selbst, daß sie über-
sinnlich ist, und von mir unverstanden; dennoch kann
ich nicht weichen von diesem Unauflösbaren und bete zu
ihm: nicht daß ich es begreifen möge; nein, das Unbe-
greifliche
ist immer Gott, und es giebt keine Zwischen-
welt, in der noch andere Geheimnisse begründet wären.
Da Musik unbegreiflich ist, so ist sie gewiß Gott; dies
muß ich sagen, und Du wirst mit Deinem Begriff von
der Terz und der Quint mich auslachen! Nein, Du
bist zu gut, Du lachst nicht; und denn bist du auch zu
weise; Du wirst wohl gerne Deine Studien und errun-
genen Begriffe aufgeben gegen ein solches, alles heili-
gende Geheimniß des göttlichen Geistes in der Musik.

Papier, ich fürchte mich aufzuſchreiben, was ich für Dich
denke.

Ja das hat der Chriſtian Schloſſer geſagt: Du ver-
ſtündeſt keine Muſik, Du fürchteſt Dich vor dem Tod,
und habeſt keine Religion, was ſoll ich dazu ſagen? —
ich bin ſo dumm wie ſtumm, wenn ich ſo empfindlich
gekränkt werde. Ach Goethe, wenn man kein Obdach
hätte, das vor ſchlechtem Wetter ſchützt, ſo könnte einem
der kalte, liebloſe Wind ſchon was anhaben, aber ſo
ich weiß Dich in Dir ſelber geborgen; die drei Räthſel aber
ſind mir eine Aufgabe. Ich möchte Dir nach allen Seiten
hin Muſik erklären, und fühl' doch ſelbſt, daß ſie über-
ſinnlich iſt, und von mir unverſtanden; dennoch kann
ich nicht weichen von dieſem Unauflösbaren und bete zu
ihm: nicht daß ich es begreifen möge; nein, das Unbe-
greifliche
iſt immer Gott, und es giebt keine Zwiſchen-
welt, in der noch andere Geheimniſſe begründet wären.
Da Muſik unbegreiflich iſt, ſo iſt ſie gewiß Gott; dies
muß ich ſagen, und Du wirſt mit Deinem Begriff von
der Terz und der Quint mich auslachen! Nein, Du
biſt zu gut, Du lachſt nicht; und denn biſt du auch zu
weiſe; Du wirſt wohl gerne Deine Studien und errun-
genen Begriffe aufgeben gegen ein ſolches, alles heili-
gende Geheimniß des göttlichen Geiſtes in der Muſik.

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[300/0332] Papier, ich fürchte mich aufzuſchreiben, was ich für Dich denke. Ja das hat der Chriſtian Schloſſer geſagt: Du ver- ſtündeſt keine Muſik, Du fürchteſt Dich vor dem Tod, und habeſt keine Religion, was ſoll ich dazu ſagen? — ich bin ſo dumm wie ſtumm, wenn ich ſo empfindlich gekränkt werde. Ach Goethe, wenn man kein Obdach hätte, das vor ſchlechtem Wetter ſchützt, ſo könnte einem der kalte, liebloſe Wind ſchon was anhaben, aber ſo ich weiß Dich in Dir ſelber geborgen; die drei Räthſel aber ſind mir eine Aufgabe. Ich möchte Dir nach allen Seiten hin Muſik erklären, und fühl' doch ſelbſt, daß ſie über- ſinnlich iſt, und von mir unverſtanden; dennoch kann ich nicht weichen von dieſem Unauflösbaren und bete zu ihm: nicht daß ich es begreifen möge; nein, das Unbe- greifliche iſt immer Gott, und es giebt keine Zwiſchen- welt, in der noch andere Geheimniſſe begründet wären. Da Muſik unbegreiflich iſt, ſo iſt ſie gewiß Gott; dies muß ich ſagen, und Du wirſt mit Deinem Begriff von der Terz und der Quint mich auslachen! Nein, Du biſt zu gut, Du lachſt nicht; und denn biſt du auch zu weiſe; Du wirſt wohl gerne Deine Studien und errun- genen Begriffe aufgeben gegen ein ſolches, alles heili- gende Geheimniß des göttlichen Geiſtes in der Muſik.

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/332>, abgerufen am 24.11.2024.