die aus dem Kloster vertrieben, jetzt dort wohnen, -- nachher hab' ich's anders überlegt. Das letztemal habe ich hier auf dem Berg einen Ort gefunden: unter dem Beichtstuhl der Rochuskapelle, der noch steht, in dem ich auch immer meine Schreibereien verwahre, hab' ich eine kleine Höhle gegraben, und hab' sie inwendig mit Mu- scheln vom Rhein und wunderschönen kleinen Kieselstein- chen ausgemauert, die ich auf dem Berge fand; da hab' ich sie in ihrer seidnen Umhüllung hinein gelegt, und eine Distel vor die Stelle gepflanzt, deren Wurzel ich sorgfältig mit sammt der Erde ausgestochen. Unterwegs war mir oft bange; Welcher Schlag hätte mich ge- troffen, hätte ich sie nicht wieder gefunden, mir steht das Herz still; -- Sieben Tag' war schlecht Wetter nach unserer Heimkehr; es war nicht möglich hinüber zu kommen; der Rhein ist um drei Fuß gestiegen und ganz verödet von Nachen; ach, wie hab' ich's ver- wünscht, daß ich sie da oben hingebracht hatte; Keinem mocht' ich's sagen, aber die Ungeduld, hinüber zu kom- men, ich hatte Fieber aus Angst um meine Briefe, ich konnte mir ja erwarten, der Regen würde irgendwo durchgedrungen sein und sie verderben; ach sie haben auch ein bischen Wassernoth gelitten, aber nur ganz wenig, ich war so froh wie ich von weitem die Distel
die aus dem Kloſter vertrieben, jetzt dort wohnen, — nachher hab' ich's anders überlegt. Das letztemal habe ich hier auf dem Berg einen Ort gefunden: unter dem Beichtſtuhl der Rochuskapelle, der noch ſteht, in dem ich auch immer meine Schreibereien verwahre, hab' ich eine kleine Höhle gegraben, und hab' ſie inwendig mit Mu- ſcheln vom Rhein und wunderſchönen kleinen Kieſelſtein- chen ausgemauert, die ich auf dem Berge fand; da hab' ich ſie in ihrer ſeidnen Umhüllung hinein gelegt, und eine Diſtel vor die Stelle gepflanzt, deren Wurzel ich ſorgfältig mit ſammt der Erde ausgeſtochen. Unterwegs war mir oft bange; Welcher Schlag hätte mich ge- troffen, hätte ich ſie nicht wieder gefunden, mir ſteht das Herz ſtill; — Sieben Tag' war ſchlecht Wetter nach unſerer Heimkehr; es war nicht möglich hinüber zu kommen; der Rhein iſt um drei Fuß geſtiegen und ganz verödet von Nachen; ach, wie hab' ich's ver- wünſcht, daß ich ſie da oben hingebracht hatte; Keinem mocht' ich's ſagen, aber die Ungeduld, hinüber zu kom- men, ich hatte Fieber aus Angſt um meine Briefe, ich konnte mir ja erwarten, der Regen würde irgendwo durchgedrungen ſein und ſie verderben; ach ſie haben auch ein bischen Waſſernoth gelitten, aber nur ganz wenig, ich war ſo froh wie ich von weitem die Diſtel
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die aus dem Kloſter vertrieben, jetzt dort wohnen, —
nachher hab' ich's anders überlegt. Das letztemal habe
ich hier auf dem Berg einen Ort gefunden: unter dem
Beichtſtuhl der Rochuskapelle, der noch ſteht, in dem ich
auch immer meine Schreibereien verwahre, hab' ich eine
kleine Höhle gegraben, und hab' ſie inwendig mit Mu-
ſcheln vom Rhein und wunderſchönen kleinen Kieſelſtein-
chen ausgemauert, die ich auf dem Berge fand; da hab'
ich ſie in ihrer ſeidnen Umhüllung hinein gelegt, und
eine Diſtel vor die Stelle gepflanzt, deren Wurzel ich
ſorgfältig mit ſammt der Erde ausgeſtochen. Unterwegs
war mir oft bange; Welcher Schlag hätte mich ge-
troffen, hätte ich ſie nicht wieder gefunden, mir ſteht
das Herz ſtill; — Sieben Tag' war ſchlecht Wetter
nach unſerer Heimkehr; es war nicht möglich hinüber
zu kommen; der Rhein iſt um drei Fuß geſtiegen und
ganz verödet von Nachen; ach, wie hab' ich's ver-
wünſcht, daß ich ſie da oben hingebracht hatte; Keinem
mocht' ich's ſagen, aber die Ungeduld, hinüber zu kom-
men, ich hatte Fieber aus Angſt um meine Briefe, ich
konnte mir ja erwarten, der Regen würde irgendwo
durchgedrungen ſein und ſie verderben; ach ſie haben
auch ein bischen Waſſernoth gelitten, aber nur ganz
wenig, ich war ſo froh wie ich von weitem die Diſtel
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/324>, abgerufen am 24.11.2024.
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