Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

mich, die elektrischen Schläge Deiner Begeistrungen aus-
zuhalten. In diesem Augenblick hab ich kaum die erste
Hälfte Deines Briefs gelesen, und bin zu bewegt, um
fortzufahren. Hab' einstweilen Dank für alles; verkünde
ungestört und unbekümmert Deine Evangelien und
Glaubensartikel von den Höhen des Rheins, und laß
Deine Psalmen herabströmen zu mir und den Fischen;
wundre Dich aber nicht, daß ich, wie diese verstumme.
Um eines bitte ich Dich: höre nicht auf, mir gern zu
schreiben; ich werde nie aufhören Dich mit Lust zu lesen.

Was Dir Schlosser über mich mitgetheilt hat, ver-
leitet Dich zu sehr interessanten Excursionen aus dem
Naturleben in das Gebiet der Kunst. Daß Musik mir
ein noch räthselhafter Gegenstand schwieriger Untersu-
chung ist, läugne ich nicht; ob ich mir den harten Aus-
spruch des Missionairs, wie Du ihn nennst, muß gefallen
lassen, das wird sich erst dann erweisen wenn die Liebe
zu ihr, die jetzt mich zu wahrhaft abstrakten Studien
bewegt, nicht mehr beharrt. Du hast zwar flammende
Fackeln und Feuerbecken ausgestellt in der Finsterniß,
aber bis jetzt blenden sie mehr als sie erleuchten, indessen
erwarte ich doch von der ganzen Illumination einen
herrlichen Totaleffekt, so bleibe nur dabei und sprühe
nach allen Seiten hin.


mich, die elektriſchen Schläge Deiner Begeiſtrungen aus-
zuhalten. In dieſem Augenblick hab ich kaum die erſte
Hälfte Deines Briefs geleſen, und bin zu bewegt, um
fortzufahren. Hab' einſtweilen Dank für alles; verkünde
ungeſtört und unbekümmert Deine Evangelien und
Glaubensartikel von den Höhen des Rheins, und laß
Deine Pſalmen herabſtrömen zu mir und den Fiſchen;
wundre Dich aber nicht, daß ich, wie dieſe verſtumme.
Um eines bitte ich Dich: höre nicht auf, mir gern zu
ſchreiben; ich werde nie aufhören Dich mit Luſt zu leſen.

Was Dir Schloſſer über mich mitgetheilt hat, ver-
leitet Dich zu ſehr intereſſanten Excurſionen aus dem
Naturleben in das Gebiet der Kunſt. Daß Muſik mir
ein noch räthſelhafter Gegenſtand ſchwieriger Unterſu-
chung iſt, läugne ich nicht; ob ich mir den harten Aus-
ſpruch des Miſſionairs, wie Du ihn nennſt, muß gefallen
laſſen, das wird ſich erſt dann erweiſen wenn die Liebe
zu ihr, die jetzt mich zu wahrhaft abſtrakten Studien
bewegt, nicht mehr beharrt. Du haſt zwar flammende
Fackeln und Feuerbecken ausgeſtellt in der Finſterniß,
aber bis jetzt blenden ſie mehr als ſie erleuchten, indeſſen
erwarte ich doch von der ganzen Illumination einen
herrlichen Totaleffekt, ſo bleibe nur dabei und ſprühe
nach allen Seiten hin.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0310" n="278"/>
mich, die elektri&#x017F;chen Schläge Deiner Begei&#x017F;trungen aus-<lb/>
zuhalten. In die&#x017F;em Augenblick hab ich kaum die er&#x017F;te<lb/>
Hälfte Deines Briefs gele&#x017F;en, und bin zu bewegt, um<lb/>
fortzufahren. Hab' ein&#x017F;tweilen Dank für alles; verkünde<lb/>
unge&#x017F;tört und unbekümmert Deine Evangelien und<lb/>
Glaubensartikel von den Höhen des Rheins, und laß<lb/>
Deine P&#x017F;almen herab&#x017F;trömen zu mir und den Fi&#x017F;chen;<lb/>
wundre Dich aber nicht, daß ich, wie die&#x017F;e ver&#x017F;tumme.<lb/>
Um eines bitte ich Dich: höre nicht auf, mir gern zu<lb/>
&#x017F;chreiben; ich werde nie aufhören Dich mit Lu&#x017F;t zu le&#x017F;en.</p><lb/>
          <p>Was Dir Schlo&#x017F;&#x017F;er über mich mitgetheilt hat, ver-<lb/>
leitet Dich zu &#x017F;ehr intere&#x017F;&#x017F;anten Excur&#x017F;ionen aus dem<lb/>
Naturleben in das Gebiet der Kun&#x017F;t. Daß Mu&#x017F;ik mir<lb/>
ein <hi rendition="#g">noch</hi> räth&#x017F;elhafter Gegen&#x017F;tand &#x017F;chwieriger Unter&#x017F;u-<lb/>
chung i&#x017F;t, läugne ich nicht; ob ich mir den harten Aus-<lb/>
&#x017F;pruch des Mi&#x017F;&#x017F;ionairs, wie Du ihn nenn&#x017F;t, muß gefallen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, das wird &#x017F;ich er&#x017F;t dann erwei&#x017F;en wenn die Liebe<lb/>
zu ihr, die jetzt mich zu wahrhaft ab&#x017F;trakten Studien<lb/>
bewegt, nicht mehr beharrt. Du ha&#x017F;t zwar flammende<lb/>
Fackeln und Feuerbecken ausge&#x017F;tellt in der Fin&#x017F;terniß,<lb/>
aber bis jetzt blenden &#x017F;ie mehr als &#x017F;ie erleuchten, inde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
erwarte ich doch von der ganzen Illumination einen<lb/>
herrlichen Totaleffekt, &#x017F;o bleibe nur dabei und &#x017F;prühe<lb/>
nach allen Seiten hin.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0310] mich, die elektriſchen Schläge Deiner Begeiſtrungen aus- zuhalten. In dieſem Augenblick hab ich kaum die erſte Hälfte Deines Briefs geleſen, und bin zu bewegt, um fortzufahren. Hab' einſtweilen Dank für alles; verkünde ungeſtört und unbekümmert Deine Evangelien und Glaubensartikel von den Höhen des Rheins, und laß Deine Pſalmen herabſtrömen zu mir und den Fiſchen; wundre Dich aber nicht, daß ich, wie dieſe verſtumme. Um eines bitte ich Dich: höre nicht auf, mir gern zu ſchreiben; ich werde nie aufhören Dich mit Luſt zu leſen. Was Dir Schloſſer über mich mitgetheilt hat, ver- leitet Dich zu ſehr intereſſanten Excurſionen aus dem Naturleben in das Gebiet der Kunſt. Daß Muſik mir ein noch räthſelhafter Gegenſtand ſchwieriger Unterſu- chung iſt, läugne ich nicht; ob ich mir den harten Aus- ſpruch des Miſſionairs, wie Du ihn nennſt, muß gefallen laſſen, das wird ſich erſt dann erweiſen wenn die Liebe zu ihr, die jetzt mich zu wahrhaft abſtrakten Studien bewegt, nicht mehr beharrt. Du haſt zwar flammende Fackeln und Feuerbecken ausgeſtellt in der Finſterniß, aber bis jetzt blenden ſie mehr als ſie erleuchten, indeſſen erwarte ich doch von der ganzen Illumination einen herrlichen Totaleffekt, ſo bleibe nur dabei und ſprühe nach allen Seiten hin.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/310
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/310>, abgerufen am 18.12.2024.