feierlich umstellt von schwanken priesterlichen Nymphen, die Libationen aus ihren Kelchkrüglein ergießen, und Weihrauch streuen, und wie die indischen Mädchen gold- nen Staub in die Lüfte werfen. -- Dann seh' ich's blitzen im Sand; ich muß hinab und wieder hinauf, ob's vielleicht ein Diamant ist, den der Zufall an's Licht gebracht hat. Wenn's einer wär', ich schenkte ihn Dir, und denk' mir deine Verwunderung über das Kleinod unserer rheini- schen Felsen. Da lieg' ich am unbeschatteten Ort mit brennenden Wangen, und sammle Muth, wieder hinüber zu klettern zur duftenden Linde. Am Kreuzweg, beim Opferstock des heiligen Petrus, der mit großem Him- melsschlüssel in's vergitterte Kapellchen eingesperrt ist, ruh' ich aus auf weichem Gras, und such' vergebens, o Himmel! an deinem gewölbten Blau das Loch, in das der Schlüssel passen könnte, da ich heraus möchte aus dem Gefängniß der Unwissenheit und Unbewußt- heit; wo ist die Thür die dem Licht und der Freiheit sich öffnet. -- Da ruschelt's, da zwitschert's im Laub, dicht neben mir, unter niederem Ast sitzt das Finken- weibchen im Nest und sieht mich kläglich an.
Das sind die kleinen allerliebsten Abentheuer und Mühseligkeiten des heutigen Tags. Heimwärts machte ich die Bekanntschaft der kleinen Gänsehirtin, sie strahlte
I. 11
feierlich umſtellt von ſchwanken prieſterlichen Nymphen, die Libationen aus ihren Kelchkrüglein ergießen, und Weihrauch ſtreuen, und wie die indiſchen Mädchen gold- nen Staub in die Lüfte werfen. — Dann ſeh' ich's blitzen im Sand; ich muß hinab und wieder hinauf, ob's vielleicht ein Diamant iſt, den der Zufall an's Licht gebracht hat. Wenn's einer wär', ich ſchenkte ihn Dir, und denk' mir deine Verwunderung über das Kleinod unſerer rheini- ſchen Felſen. Da lieg' ich am unbeſchatteten Ort mit brennenden Wangen, und ſammle Muth, wieder hinüber zu klettern zur duftenden Linde. Am Kreuzweg, beim Opferſtock des heiligen Petrus, der mit großem Him- melsſchlüſſel in's vergitterte Kapellchen eingeſperrt iſt, ruh' ich aus auf weichem Gras, und ſuch' vergebens, o Himmel! an deinem gewölbten Blau das Loch, in das der Schlüſſel paſſen könnte, da ich heraus möchte aus dem Gefängniß der Unwiſſenheit und Unbewußt- heit; wo iſt die Thür die dem Licht und der Freiheit ſich öffnet. — Da ruſchelt's, da zwitſchert's im Laub, dicht neben mir, unter niederem Aſt ſitzt das Finken- weibchen im Neſt und ſieht mich kläglich an.
Das ſind die kleinen allerliebſten Abentheuer und Mühſeligkeiten des heutigen Tags. Heimwärts machte ich die Bekanntſchaft der kleinen Gänſehirtin, ſie ſtrahlte
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feierlich umſtellt von ſchwanken prieſterlichen Nymphen,
die Libationen aus ihren Kelchkrüglein ergießen, und
Weihrauch ſtreuen, und wie die indiſchen Mädchen gold-
nen Staub in die Lüfte werfen. — Dann ſeh' ich's blitzen
im Sand; ich muß hinab und wieder hinauf, ob's vielleicht
ein Diamant iſt, den der Zufall an's Licht gebracht hat.
Wenn's einer wär', ich ſchenkte ihn Dir, und denk' mir
deine Verwunderung über das Kleinod unſerer rheini-
ſchen Felſen. Da lieg' ich am unbeſchatteten Ort mit
brennenden Wangen, und ſammle Muth, wieder hinüber
zu klettern zur duftenden Linde. Am Kreuzweg, beim
Opferſtock des heiligen Petrus, der mit großem Him-
melsſchlüſſel in's vergitterte Kapellchen eingeſperrt iſt,
ruh' ich aus auf weichem Gras, und ſuch' vergebens,
o Himmel! an deinem gewölbten Blau das Loch, in
das der Schlüſſel paſſen könnte, da ich heraus möchte
aus dem Gefängniß der Unwiſſenheit und Unbewußt-
heit; wo iſt die Thür die dem Licht und der Freiheit
ſich öffnet. — Da ruſchelt's, da zwitſchert's im Laub,
dicht neben mir, unter niederem Aſt ſitzt das Finken-
weibchen im Neſt und ſieht mich kläglich an.
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/273>, abgerufen am 21.11.2024.
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