samkeit, nach dem auch das Geheul der Hunde, die das Psalmiren obligat begleitet hatten, verklungen war, spürte ich in die Ferne; da hörte ich dumpf das sinkende Treiben des scheidenden Tags; ich blieb in Gedan- ken sitzen, -- da kam aus dem fernen Waldgeheg' von Vollrath's her etwas Weißes, es war ein Reiter auf einem Schimmel; das Thier leuchtete wie ein Geist, sein weicher Galopp tönte mir weissagend, die schlanke Figur des Reiters schmiegte sich so nachgebend den Bewegun- gen des Pferdes, das den Hals sanft und gelenk bog; bald in lässigem Schritt kam er heran, ich hatte mich an den Weg gestellt, er mogte mich im Dunkel für einen Knaben halten, im braunen Tuchmantel und schwarzer Mütze sah ich nicht grade einem Mädchen ähn- lich. Er fragte, ob der Weg hier nicht zu steil sei zum Hinabreiten, und ob noch weit sei bis Rüdesheim. Ich leitete ihn den Berg herab, der Schimmel hauchte mich an, ich klatschte seinen sanften Hals. Des Reiters schwarzes Haar, seine erhabene Stirn und Nase waren bei dem hellen Nachthimmel deutlich zu erkennen. Der Feldwächter ging vorüber und grüßte, ich zog die Mütze ab, mir klopfte das Herz neben meinem zweifelhaften Begleiter, wir gaben einander wechselweise Raum, uns näher zu betrachten, was er von mir zu denken beliebte,
ſamkeit, nach dem auch das Geheul der Hunde, die das Pſalmiren obligat begleitet hatten, verklungen war, ſpürte ich in die Ferne; da hörte ich dumpf das ſinkende Treiben des ſcheidenden Tags; ich blieb in Gedan- ken ſitzen, — da kam aus dem fernen Waldgeheg' von Vollrath's her etwas Weißes, es war ein Reiter auf einem Schimmel; das Thier leuchtete wie ein Geiſt, ſein weicher Galopp tönte mir weiſſagend, die ſchlanke Figur des Reiters ſchmiegte ſich ſo nachgebend den Bewegun- gen des Pferdes, das den Hals ſanft und gelenk bog; bald in läſſigem Schritt kam er heran, ich hatte mich an den Weg geſtellt, er mogte mich im Dunkel für einen Knaben halten, im braunen Tuchmantel und ſchwarzer Mütze ſah ich nicht grade einem Mädchen ähn- lich. Er fragte, ob der Weg hier nicht zu ſteil ſei zum Hinabreiten, und ob noch weit ſei bis Rüdesheim. Ich leitete ihn den Berg herab, der Schimmel hauchte mich an, ich klatſchte ſeinen ſanften Hals. Des Reiters ſchwarzes Haar, ſeine erhabene Stirn und Naſe waren bei dem hellen Nachthimmel deutlich zu erkennen. Der Feldwächter ging vorüber und grüßte, ich zog die Mütze ab, mir klopfte das Herz neben meinem zweifelhaften Begleiter, wir gaben einander wechſelweiſe Raum, uns näher zu betrachten, was er von mir zu denken beliebte,
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ſamkeit, nach dem auch das Geheul der Hunde, die das
Pſalmiren obligat begleitet hatten, verklungen war,
ſpürte ich in die Ferne; da hörte ich dumpf das ſinkende
Treiben des ſcheidenden Tags; ich blieb in Gedan-
ken ſitzen, — da kam aus dem fernen Waldgeheg' von
Vollrath's her etwas Weißes, es war ein Reiter auf
einem Schimmel; das Thier leuchtete wie ein Geiſt, ſein
weicher Galopp tönte mir weiſſagend, die ſchlanke Figur
des Reiters ſchmiegte ſich ſo nachgebend den Bewegun-
gen des Pferdes, das den Hals ſanft und gelenk bog;
bald in läſſigem Schritt kam er heran, ich hatte mich
an den Weg geſtellt, er mogte mich im Dunkel für
einen Knaben halten, im braunen Tuchmantel und
ſchwarzer Mütze ſah ich nicht grade einem Mädchen ähn-
lich. Er fragte, ob der Weg hier nicht zu ſteil ſei zum
Hinabreiten, und ob noch weit ſei bis Rüdesheim. Ich
leitete ihn den Berg herab, der Schimmel hauchte mich
an, ich klatſchte ſeinen ſanften Hals. Des Reiters
ſchwarzes Haar, ſeine erhabene Stirn und Naſe waren
bei dem hellen Nachthimmel deutlich zu erkennen. Der
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/265>, abgerufen am 22.11.2024.
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