Herz schlagen hören, wie am Abend, wo ich vor Dir kniete.
Geheimnisse umschweben Liebende, sie hüllen sie in ihre Zauberschleier, aus denen sich schöne Träume ent- falten. Du sitzest mit mir auf grünem Rasen, und trinkst dunklen Wein aus goldnem Becher, und gießest die Neige auf meine Stirn. Aus diesem Traum erwachte ich heute, voll Freude, daß Du mir geneigt bist. Ich glaube, daß Du Theil an solchen Träumen hast; daß Du liebst in solchen Augenblicken; -- wem sollte ich sonst dies seelige Sein verdanken, wenn Du mir's nicht gäbst! -- Und wenn ich denn zum gewöhnlichen Tag erwache, dann ist mir alles so gleichgültig, und was mir auch geboten wird, -- ich entbehre es gern; ja ich möchte von allem geschieden sein, was man Glück nennt, und nur innerlich das Geheimniß, daß dein Geist meine Liebe genießt, so wie meine Seele von deiner Güte sich nährt.
Ich soll Dir von der Mutter schreiben; -- nun es ist wunderlich zwischen uns beschaffen, wir sind nicht mehr so gesprächig, wie sonst, aber doch vergeht kein Tag, ohne daß ich die Mutter seh'. Wie ich von der Reise kam, da mußte ich die Rolle des Erzählens über- nehmen, und obschon ich lieber geschwiegen hätte, so
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Herz ſchlagen hören, wie am Abend, wo ich vor Dir kniete.
Geheimniſſe umſchweben Liebende, ſie hüllen ſie in ihre Zauberſchleier, aus denen ſich ſchöne Träume ent- falten. Du ſitzeſt mit mir auf grünem Raſen, und trinkſt dunklen Wein aus goldnem Becher, und gießeſt die Neige auf meine Stirn. Aus dieſem Traum erwachte ich heute, voll Freude, daß Du mir geneigt biſt. Ich glaube, daß Du Theil an ſolchen Träumen haſt; daß Du liebſt in ſolchen Augenblicken; — wem ſollte ich ſonſt dies ſeelige Sein verdanken, wenn Du mir's nicht gäbſt! — Und wenn ich denn zum gewöhnlichen Tag erwache, dann iſt mir alles ſo gleichgültig, und was mir auch geboten wird, — ich entbehre es gern; ja ich möchte von allem geſchieden ſein, was man Glück nennt, und nur innerlich das Geheimniß, daß dein Geiſt meine Liebe genießt, ſo wie meine Seele von deiner Güte ſich nährt.
Ich ſoll Dir von der Mutter ſchreiben; — nun es iſt wunderlich zwiſchen uns beſchaffen, wir ſind nicht mehr ſo geſprächig, wie ſonſt, aber doch vergeht kein Tag, ohne daß ich die Mutter ſeh'. Wie ich von der Reiſe kam, da mußte ich die Rolle des Erzählens über- nehmen, und obſchon ich lieber geſchwiegen hätte, ſo
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Herz ſchlagen hören, wie am Abend, wo ich vor Dir
kniete.
Geheimniſſe umſchweben Liebende, ſie hüllen ſie in
ihre Zauberſchleier, aus denen ſich ſchöne Träume ent-
falten. Du ſitzeſt mit mir auf grünem Raſen, und trinkſt
dunklen Wein aus goldnem Becher, und gießeſt die
Neige auf meine Stirn. Aus dieſem Traum erwachte
ich heute, voll Freude, daß Du mir geneigt biſt. Ich
glaube, daß Du Theil an ſolchen Träumen haſt; daß
Du liebſt in ſolchen Augenblicken; — wem ſollte ich
ſonſt dies ſeelige Sein verdanken, wenn Du mir's nicht
gäbſt! — Und wenn ich denn zum gewöhnlichen Tag
erwache, dann iſt mir alles ſo gleichgültig, und was
mir auch geboten wird, — ich entbehre es gern; ja ich
möchte von allem geſchieden ſein, was man Glück nennt,
und nur innerlich das Geheimniß, daß dein Geiſt meine
Liebe genießt, ſo wie meine Seele von deiner Güte ſich
nährt.
Ich ſoll Dir von der Mutter ſchreiben; — nun es
iſt wunderlich zwiſchen uns beſchaffen, wir ſind nicht
mehr ſo geſprächig, wie ſonſt, aber doch vergeht kein
Tag, ohne daß ich die Mutter ſeh'. Wie ich von der
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nehmen, und obſchon ich lieber geſchwiegen hätte, ſo
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/203>, abgerufen am 24.11.2024.
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