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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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die Vorältern auf ihre Nachkommen, warum nicht die
Freunde? -- Ich weiß nicht, wie weh' mir ist! -- sie,
die freundlich klare hat meinen Geist vielleicht beschenkt.
Wie ich von ihrem Grab zurück kam, da fand ich Leute,
die nach ihrer Kuh suchten, die sich verlaufen hatte,
ich ging mit ihnen; sie ahndeten gleich, daß ich von
dort her kam, sie wußten viel von der Günderode zu
erzählen, die oft freundlich bei ihnen eingesprochen und
ihnen Almosen gegeben hatte; sie sagten, so oft sie dort
vorbeigehen, beten sie ein Vater unser; ich hab' auch
dort gebetet zu und um ihre Seele, und hab' mich vom
Mondlicht rein waschen lassen, und hab' es ihr laut ge-
sagt, daß ich mich nach ihr sehne, nach jenen Stunden,
in denen wir Gefühl und Gedanken harmlos gegen ein-
ander austauschten.

Sie erzählte mir wenig von ihren sonstigen Ange-
legenheiten, ich wußte nicht, in welchen Verbindungen
sie noch außer mir war; sie hatte mir zwar von Daub
in Heidelberg gesprochen und auch von Kreuzer, aber
ich wußte von keinem, ob er ihr lieber sei als der an-
dre; einmal hatte ich von andern davon gehört, ich
glaubte es nicht, einmal kam sie mir freudig entgegen
und sagte: Gestern hab' ich einen Chirurg gesprochen,
der hat mir gesagt, daß es sehr leicht ist, sich umzu-

die Vorältern auf ihre Nachkommen, warum nicht die
Freunde? — Ich weiß nicht, wie weh' mir iſt! — ſie,
die freundlich klare hat meinen Geiſt vielleicht beſchenkt.
Wie ich von ihrem Grab zurück kam, da fand ich Leute,
die nach ihrer Kuh ſuchten, die ſich verlaufen hatte,
ich ging mit ihnen; ſie ahndeten gleich, daß ich von
dort her kam, ſie wußten viel von der Günderode zu
erzählen, die oft freundlich bei ihnen eingeſprochen und
ihnen Almoſen gegeben hatte; ſie ſagten, ſo oft ſie dort
vorbeigehen, beten ſie ein Vater unſer; ich hab' auch
dort gebetet zu und um ihre Seele, und hab' mich vom
Mondlicht rein waſchen laſſen, und hab' es ihr laut ge-
ſagt, daß ich mich nach ihr ſehne, nach jenen Stunden,
in denen wir Gefühl und Gedanken harmlos gegen ein-
ander austauſchten.

Sie erzählte mir wenig von ihren ſonſtigen Ange-
legenheiten, ich wußte nicht, in welchen Verbindungen
ſie noch außer mir war; ſie hatte mir zwar von Daub
in Heidelberg geſprochen und auch von Kreuzer, aber
ich wußte von keinem, ob er ihr lieber ſei als der an-
dre; einmal hatte ich von andern davon gehört, ich
glaubte es nicht, einmal kam ſie mir freudig entgegen
und ſagte: Geſtern hab' ich einen Chirurg geſprochen,
der hat mir geſagt, daß es ſehr leicht iſt, ſich umzu-

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[90/0122] die Vorältern auf ihre Nachkommen, warum nicht die Freunde? — Ich weiß nicht, wie weh' mir iſt! — ſie, die freundlich klare hat meinen Geiſt vielleicht beſchenkt. Wie ich von ihrem Grab zurück kam, da fand ich Leute, die nach ihrer Kuh ſuchten, die ſich verlaufen hatte, ich ging mit ihnen; ſie ahndeten gleich, daß ich von dort her kam, ſie wußten viel von der Günderode zu erzählen, die oft freundlich bei ihnen eingeſprochen und ihnen Almoſen gegeben hatte; ſie ſagten, ſo oft ſie dort vorbeigehen, beten ſie ein Vater unſer; ich hab' auch dort gebetet zu und um ihre Seele, und hab' mich vom Mondlicht rein waſchen laſſen, und hab' es ihr laut ge- ſagt, daß ich mich nach ihr ſehne, nach jenen Stunden, in denen wir Gefühl und Gedanken harmlos gegen ein- ander austauſchten. Sie erzählte mir wenig von ihren ſonſtigen Ange- legenheiten, ich wußte nicht, in welchen Verbindungen ſie noch außer mir war; ſie hatte mir zwar von Daub in Heidelberg geſprochen und auch von Kreuzer, aber ich wußte von keinem, ob er ihr lieber ſei als der an- dre; einmal hatte ich von andern davon gehört, ich glaubte es nicht, einmal kam ſie mir freudig entgegen und ſagte: Geſtern hab' ich einen Chirurg geſprochen, der hat mir geſagt, daß es ſehr leicht iſt, ſich umzu-

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/122>, abgerufen am 22.11.2024.