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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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zweifelhaft an, that befremdende Fragen über mein Be-
finden, ich sah im Spiegel: schwärzer waren die Augen
wie je, die Züge hatten sich unendlich verfeinert, die
Nase so schmal und fein, der Mund geschwungen, eine
äußerst weiße Farbe; ich freute mich, und sah mit Ge-
nuß meine Gestalt, die Günderode sagte, ich sollte nicht
so lang' mehr allein bleiben, und nahm mich mit in die
Stadt; da waren wenig Tage verflossen, so hatte ich
das Fieber; ich legte mich zu Bett und schlief, und
weiß auch nichts, als daß ich nur schlief: endlich er-
wachte ich und es war am 14ten Tag, nach dem ich
mich gelegt hatte; indem ich die Augen öffnete, sah ich
ihre schwanke Gestalt im Zimmer auf- und abgehen und
die Hände ringen; aber Günderode, sagt ich, warum
weinst Du? Gott sei ewig gelobt, sagte sie, und kam
an mein Bett', bist Du endlich wieder wach, bist Du
endlich wieder in's Bewußtsein gekommen? -- Von der
Zeit an wollte sie mich nichts Philosophisches lesen las-
sen, und auch keine Aufsätze sollte ich mehr machen; sie
war fest überzeugt, meine Krankheit sei davon herge-
kommen; ich hatte großes Wohlgefallen an meiner Ge-
stalt, die Blässe, die von meiner Krankheit zurückgeblie-
ben war, gefiel mir unendlich; meine Züge erschienen
mir sehr bedeutend, die großgewordenen Augen herrsch-

zweifelhaft an, that befremdende Fragen über mein Be-
finden, ich ſah im Spiegel: ſchwärzer waren die Augen
wie je, die Züge hatten ſich unendlich verfeinert, die
Naſe ſo ſchmal und fein, der Mund geſchwungen, eine
äußerſt weiße Farbe; ich freute mich, und ſah mit Ge-
nuß meine Geſtalt, die Günderode ſagte, ich ſollte nicht
ſo lang' mehr allein bleiben, und nahm mich mit in die
Stadt; da waren wenig Tage verfloſſen, ſo hatte ich
das Fieber; ich legte mich zu Bett und ſchlief, und
weiß auch nichts, als daß ich nur ſchlief: endlich er-
wachte ich und es war am 14ten Tag, nach dem ich
mich gelegt hatte; indem ich die Augen öffnete, ſah ich
ihre ſchwanke Geſtalt im Zimmer auf- und abgehen und
die Hände ringen; aber Günderode, ſagt ich, warum
weinſt Du? Gott ſei ewig gelobt, ſagte ſie, und kam
an mein Bett', biſt Du endlich wieder wach, biſt Du
endlich wieder in's Bewußtſein gekommen? — Von der
Zeit an wollte ſie mich nichts Philoſophiſches leſen laſ-
ſen, und auch keine Aufſätze ſollte ich mehr machen; ſie
war feſt überzeugt, meine Krankheit ſei davon herge-
kommen; ich hatte großes Wohlgefallen an meiner Ge-
ſtalt, die Bläſſe, die von meiner Krankheit zurückgeblie-
ben war, gefiel mir unendlich; meine Züge erſchienen
mir ſehr bedeutend, die großgewordenen Augen herrſch-

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[86/0118] zweifelhaft an, that befremdende Fragen über mein Be- finden, ich ſah im Spiegel: ſchwärzer waren die Augen wie je, die Züge hatten ſich unendlich verfeinert, die Naſe ſo ſchmal und fein, der Mund geſchwungen, eine äußerſt weiße Farbe; ich freute mich, und ſah mit Ge- nuß meine Geſtalt, die Günderode ſagte, ich ſollte nicht ſo lang' mehr allein bleiben, und nahm mich mit in die Stadt; da waren wenig Tage verfloſſen, ſo hatte ich das Fieber; ich legte mich zu Bett und ſchlief, und weiß auch nichts, als daß ich nur ſchlief: endlich er- wachte ich und es war am 14ten Tag, nach dem ich mich gelegt hatte; indem ich die Augen öffnete, ſah ich ihre ſchwanke Geſtalt im Zimmer auf- und abgehen und die Hände ringen; aber Günderode, ſagt ich, warum weinſt Du? Gott ſei ewig gelobt, ſagte ſie, und kam an mein Bett', biſt Du endlich wieder wach, biſt Du endlich wieder in's Bewußtſein gekommen? — Von der Zeit an wollte ſie mich nichts Philoſophiſches leſen laſ- ſen, und auch keine Aufſätze ſollte ich mehr machen; ſie war feſt überzeugt, meine Krankheit ſei davon herge- kommen; ich hatte großes Wohlgefallen an meiner Ge- ſtalt, die Bläſſe, die von meiner Krankheit zurückgeblie- ben war, gefiel mir unendlich; meine Züge erſchienen mir ſehr bedeutend, die großgewordenen Augen herrſch-

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/118>, abgerufen am 26.06.2024.