größer sei wie der Mensch, daß aber die Erkenntniß allein die Schönheit des freien Menschengeistes sei, die höher ist als alle leibliche Schönheit. -- O ich brauchte mich hier nur in den Brunnen nieder zu lassen, so könnte ich vielleicht wieder sagen, alles was ich durch die Ge- spräche mit der Farbe und den Formen und dem Duft des Blumenstraußes erfuhr; ich könnte auch noch mehr sagen, was wunderlich und wunderbar genug klingt; ich müßte fürchten, es würde nicht geglaubt, oder für Wahnsinn und Unsinn geachtet; -- warum soll ich's aber hier verhehlen? Der's lesen wird, dem wird es einleuchten, er hat oft die wunderbaren Phänomene des Lichts beobachtet, wie sie durch Farbe und zufällige oder besondere Formen neue Erscheinungen bildeten. -- So war's in meiner Seele damals, so ist es auch jetzt. Das große und scharfe Auge des Geistes war vom in- nern Lichtstrahl gefangen genommen, es mußte ihn ein- saugen, ohne sich durch selbstische Reflexion davon ab- lösen zu können; der Freund weiß ja, was dieses ge- bannt-sein im Blick auf einen Lichtstrahl -- Farbengeist für Zauberei hervorbringt, und er weiß auch, daß der Schein hier kein Schein ist, sondern Wahrheit. --
Trat ich aus dieser innern Anschauung hervor, so war ich geblendet; ich sah Träume, ich ging ihren Ver-
größer ſei wie der Menſch, daß aber die Erkenntniß allein die Schönheit des freien Menſchengeiſtes ſei, die höher iſt als alle leibliche Schönheit. — O ich brauchte mich hier nur in den Brunnen nieder zu laſſen, ſo könnte ich vielleicht wieder ſagen, alles was ich durch die Ge- ſpräche mit der Farbe und den Formen und dem Duft des Blumenſtraußes erfuhr; ich könnte auch noch mehr ſagen, was wunderlich und wunderbar genug klingt; ich müßte fürchten, es würde nicht geglaubt, oder für Wahnſinn und Unſinn geachtet; — warum ſoll ich's aber hier verhehlen? Der's leſen wird, dem wird es einleuchten, er hat oft die wunderbaren Phänomene des Lichts beobachtet, wie ſie durch Farbe und zufällige oder beſondere Formen neue Erſcheinungen bildeten. — So war's in meiner Seele damals, ſo iſt es auch jetzt. Das große und ſcharfe Auge des Geiſtes war vom in- nern Lichtſtrahl gefangen genommen, es mußte ihn ein- ſaugen, ohne ſich durch ſelbſtiſche Reflexion davon ab- löſen zu können; der Freund weiß ja, was dieſes ge- bannt-ſein im Blick auf einen Lichtſtrahl — Farbengeiſt für Zauberei hervorbringt, und er weiß auch, daß der Schein hier kein Schein iſt, ſondern Wahrheit. —
Trat ich aus dieſer innern Anſchauung hervor, ſo war ich geblendet; ich ſah Träume, ich ging ihren Ver-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0115"n="83"/>
größer ſei wie der Menſch, daß aber die Erkenntniß<lb/>
allein die Schönheit des freien Menſchengeiſtes ſei, die<lb/>
höher iſt als alle leibliche Schönheit. — O ich brauchte<lb/>
mich hier nur in den Brunnen nieder zu laſſen, ſo könnte<lb/>
ich vielleicht wieder ſagen, alles was ich durch die Ge-<lb/>ſpräche mit der Farbe und den Formen und dem Duft<lb/>
des Blumenſtraußes erfuhr; ich könnte auch noch mehr<lb/>ſagen, was wunderlich und wunderbar genug klingt;<lb/>
ich müßte fürchten, es würde nicht geglaubt, oder für<lb/>
Wahnſinn und Unſinn geachtet; — warum ſoll ich's<lb/>
aber hier verhehlen? Der's leſen wird, dem wird es<lb/>
einleuchten, er hat oft die wunderbaren Phänomene des<lb/>
Lichts beobachtet, wie ſie durch Farbe und zufällige<lb/>
oder beſondere Formen neue Erſcheinungen bildeten. —<lb/>
So war's in meiner Seele damals, ſo iſt es auch jetzt.<lb/>
Das große und ſcharfe Auge des Geiſtes war vom in-<lb/>
nern Lichtſtrahl gefangen genommen, es mußte ihn ein-<lb/>ſaugen, ohne ſich durch ſelbſtiſche Reflexion davon ab-<lb/>
löſen zu können; der Freund weiß ja, was dieſes ge-<lb/>
bannt-ſein im Blick auf einen Lichtſtrahl — Farbengeiſt<lb/>
für Zauberei hervorbringt, und er weiß auch, daß der<lb/>
Schein hier kein Schein iſt, ſondern Wahrheit. —</p><lb/><p>Trat ich aus dieſer innern Anſchauung hervor, ſo<lb/>
war ich geblendet; ich ſah Träume, ich ging ihren Ver-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[83/0115]
größer ſei wie der Menſch, daß aber die Erkenntniß
allein die Schönheit des freien Menſchengeiſtes ſei, die
höher iſt als alle leibliche Schönheit. — O ich brauchte
mich hier nur in den Brunnen nieder zu laſſen, ſo könnte
ich vielleicht wieder ſagen, alles was ich durch die Ge-
ſpräche mit der Farbe und den Formen und dem Duft
des Blumenſtraußes erfuhr; ich könnte auch noch mehr
ſagen, was wunderlich und wunderbar genug klingt;
ich müßte fürchten, es würde nicht geglaubt, oder für
Wahnſinn und Unſinn geachtet; — warum ſoll ich's
aber hier verhehlen? Der's leſen wird, dem wird es
einleuchten, er hat oft die wunderbaren Phänomene des
Lichts beobachtet, wie ſie durch Farbe und zufällige
oder beſondere Formen neue Erſcheinungen bildeten. —
So war's in meiner Seele damals, ſo iſt es auch jetzt.
Das große und ſcharfe Auge des Geiſtes war vom in-
nern Lichtſtrahl gefangen genommen, es mußte ihn ein-
ſaugen, ohne ſich durch ſelbſtiſche Reflexion davon ab-
löſen zu können; der Freund weiß ja, was dieſes ge-
bannt-ſein im Blick auf einen Lichtſtrahl — Farbengeiſt
für Zauberei hervorbringt, und er weiß auch, daß der
Schein hier kein Schein iſt, ſondern Wahrheit. —
Trat ich aus dieſer innern Anſchauung hervor, ſo
war ich geblendet; ich ſah Träume, ich ging ihren Ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/115>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.