Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 3. Heidelberg, 1808.

Bild:
<< vorherige Seite

"Steh auf mein Leib, verantwort dich,
"Dann ich bin hier, beschuldge dich.

Da hebet sich des Grabes Stein,
Und geht hervor ein weis Gebein,
Der Leib steht auf gar bald und schnell,
Und geht dahin, spricht zu der Seel:
"Wer ist daraus, der mein begehrt,
"Der mich da rufet aus der Erd,
"Bist du es Seele, die vor Jahren
"Aus meinem Leibe ist gefahren?
Die Seele sprach: "Hab ich beten wöllen,
"Da pflegtest du dich krank zu stellen,
"Wenn ich anfieng das Abendgebet,
"Da hast du dich gleich schlafen gelegt.
Der Leib sprach: "Ach ich schien nur faul,
"Und gähnte, macht ein schiefes Maul,
"Und war zum niederknien verdrossen,
"Denn ich hatt einen Bettgenossen.
"Ach weh! Ach weh, antwort die Seel,
"Daß ich gewesen dein Gesell,
"Wovon die Ursach du allein
"Darum leid ich die Höllenpein.
"Im Thal Josaphat am Jüngsten Tag,
"Da will ich führen grosse Klag,
"Alsdann wird angehn auch dein Leid,
"Du wirst brennen in Ewigkeit.

„Steh auf mein Leib, verantwort dich,
„Dann ich bin hier, beſchuldge dich.

Da hebet ſich des Grabes Stein,
Und geht hervor ein weis Gebein,
Der Leib ſteht auf gar bald und ſchnell,
Und geht dahin, ſpricht zu der Seel:
„Wer iſt daraus, der mein begehrt,
„Der mich da rufet aus der Erd,
„Biſt du es Seele, die vor Jahren
„Aus meinem Leibe iſt gefahren?
Die Seele ſprach: „Hab ich beten woͤllen,
„Da pflegteſt du dich krank zu ſtellen,
„Wenn ich anfieng das Abendgebet,
„Da haſt du dich gleich ſchlafen gelegt.
Der Leib ſprach: „Ach ich ſchien nur faul,
„Und gaͤhnte, macht ein ſchiefes Maul,
„Und war zum niederknien verdroſſen,
„Denn ich hatt einen Bettgenoſſen.
„Ach weh! Ach weh, antwort die Seel,
„Daß ich geweſen dein Geſell,
„Wovon die Urſach du allein
„Darum leid ich die Hoͤllenpein.
„Im Thal Joſaphat am Juͤngſten Tag,
„Da will ich fuͤhren groſſe Klag,
„Alsdann wird angehn auch dein Leid,
„Du wirſt brennen in Ewigkeit.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="2">
              <pb facs="#f0024" n="14"/>
              <l>&#x201E;Steh auf mein Leib, verantwort dich,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Dann ich bin hier, be&#x017F;chuldge dich.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Da hebet &#x017F;ich des Grabes Stein,</l><lb/>
              <l>Und geht hervor ein weis Gebein,</l><lb/>
              <l>Der Leib &#x017F;teht auf gar bald und &#x017F;chnell,</l><lb/>
              <l>Und geht dahin, &#x017F;pricht zu der Seel:</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>&#x201E;Wer i&#x017F;t daraus, der mein begehrt,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Der mich da rufet aus der Erd,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Bi&#x017F;t du es Seele, die vor Jahren</l><lb/>
              <l>&#x201E;Aus meinem Leibe i&#x017F;t gefahren?</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Die Seele &#x017F;prach: &#x201E;Hab ich beten wo&#x0364;llen,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Da pflegte&#x017F;t du dich krank zu &#x017F;tellen,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wenn ich anfieng das Abendgebet,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Da ha&#x017F;t du dich gleich &#x017F;chlafen gelegt.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="6">
              <l>Der Leib &#x017F;prach: &#x201E;Ach ich &#x017F;chien nur faul,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Und ga&#x0364;hnte, macht ein &#x017F;chiefes Maul,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Und war zum niederknien verdro&#x017F;&#x017F;en,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Denn ich hatt einen Bettgeno&#x017F;&#x017F;en.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="7">
              <l>&#x201E;Ach weh! Ach weh, antwort die Seel,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Daß ich gewe&#x017F;en dein Ge&#x017F;ell,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wovon die Ur&#x017F;ach du allein</l><lb/>
              <l>&#x201E;Darum leid ich die Ho&#x0364;llenpein.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="8">
              <l>&#x201E;Im Thal Jo&#x017F;aphat am Ju&#x0364;ng&#x017F;ten Tag,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Da will ich fu&#x0364;hren gro&#x017F;&#x017F;e Klag,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Alsdann wird angehn auch dein Leid,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Du wir&#x017F;t brennen in Ewigkeit.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0024] „Steh auf mein Leib, verantwort dich, „Dann ich bin hier, beſchuldge dich. Da hebet ſich des Grabes Stein, Und geht hervor ein weis Gebein, Der Leib ſteht auf gar bald und ſchnell, Und geht dahin, ſpricht zu der Seel: „Wer iſt daraus, der mein begehrt, „Der mich da rufet aus der Erd, „Biſt du es Seele, die vor Jahren „Aus meinem Leibe iſt gefahren? Die Seele ſprach: „Hab ich beten woͤllen, „Da pflegteſt du dich krank zu ſtellen, „Wenn ich anfieng das Abendgebet, „Da haſt du dich gleich ſchlafen gelegt. Der Leib ſprach: „Ach ich ſchien nur faul, „Und gaͤhnte, macht ein ſchiefes Maul, „Und war zum niederknien verdroſſen, „Denn ich hatt einen Bettgenoſſen. „Ach weh! Ach weh, antwort die Seel, „Daß ich geweſen dein Geſell, „Wovon die Urſach du allein „Darum leid ich die Hoͤllenpein. „Im Thal Joſaphat am Juͤngſten Tag, „Da will ich fuͤhren groſſe Klag, „Alsdann wird angehn auch dein Leid, „Du wirſt brennen in Ewigkeit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn03_1808
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn03_1808/24
Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 3. Heidelberg, 1808, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn03_1808/24>, abgerufen am 04.05.2024.