Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

Bild:
<< vorherige Seite

wenig war der Magen ohne die andern Glieder in jener uralten
Fabel, auch der Nährstand wurde enger, freudeleerer, bedürfti-
ger, befangener in dem Herkommen; nirgend leisteten Feld,
Haus- und Werkarbeit, wies ihre Bestimmung, die Nothdurft
des Menschen mit geringerer Noth zu bestreiten. Die Scheidung
zwischen Freude und Bedürfniß war einmal gemacht, es ist das
Eigenthümliche des Bösen, wie der Krankheit, wo es erscheint,
da erscheint es ganz, in ganzer Thätigkeit, das Gute hingegen
und die Gesundheit wie Sterne dunkeler Nacht wird selten nicht
sichtbar, dafür leuchtet sie ewig, während der fliegende feurige
Drache in Funken zerstiebt. Die Bauern mochten klagen daß
ihnen alle Freude milder Gabe genommen, die singenden from-
men Bettler wurden wie Missethäter eingefangen und gefangen
gesezt; verkappt, still und heimlich mußte nun Armuth umher-
schleichen. Wenigstens hätte das doch eine aufrichtige öffentliche
Untersuchung erfordert, ob wir auf der Bildungsstufe uns be-
finden, wo sein eigner Herr nicht seyn kann, der sich nicht selbst
ernähren kann. Vielleicht würde sich finden, daß keiner mehr
sein eigner Herr, daß alle bereits eingefangen in einem großen
Arbeitshause: Wozu also das Arbeitshaus im Arbeitshause! --
Ich greife unter dem Vielen nur heraus, was mir am näch-
sten. -- Wo es Volksfeste gab, da suchte man sie zu entweihen
durch Abnehmung alles lebendigen Schmuckes, oder durch un-
geschicktes Umfassen, wobey sie ihn zerbrechen, oder bis sie ge-
fährlich schienen in übler Nachrede. Schauspiel, Gaukelspiel
und Musik, wie die Stadt sie zur Versöhnung für ihre Ein-
kerkerung braucht, und das Land, wie es sich daran freut in
dreytägiger Hochzeit, in taggleichen nachtgleichen Kirmes, alles
dies wurde Eigenthum einzelner, um es besteuern zu können,
und durch den einen Schritt einem strengen, äußern Drange,
einer fremden Bestimmung, einem Stolze unterworfen, als

29.

wenig war der Magen ohne die andern Glieder in jener uralten
Fabel, auch der Naͤhrſtand wurde enger, freudeleerer, beduͤrfti-
ger, befangener in dem Herkommen; nirgend leiſteten Feld,
Haus- und Werkarbeit, wies ihre Beſtimmung, die Nothdurft
des Menſchen mit geringerer Noth zu beſtreiten. Die Scheidung
zwiſchen Freude und Beduͤrfniß war einmal gemacht, es iſt das
Eigenthuͤmliche des Boͤſen, wie der Krankheit, wo es erſcheint,
da erſcheint es ganz, in ganzer Thaͤtigkeit, das Gute hingegen
und die Geſundheit wie Sterne dunkeler Nacht wird ſelten nicht
ſichtbar, dafuͤr leuchtet ſie ewig, waͤhrend der fliegende feurige
Drache in Funken zerſtiebt. Die Bauern mochten klagen daß
ihnen alle Freude milder Gabe genommen, die ſingenden from-
men Bettler wurden wie Miſſethaͤter eingefangen und gefangen
geſezt; verkappt, ſtill und heimlich mußte nun Armuth umher-
ſchleichen. Wenigſtens haͤtte das doch eine aufrichtige oͤffentliche
Unterſuchung erfordert, ob wir auf der Bildungsſtufe uns be-
finden, wo ſein eigner Herr nicht ſeyn kann, der ſich nicht ſelbſt
ernaͤhren kann. Vielleicht wuͤrde ſich finden, daß keiner mehr
ſein eigner Herr, daß alle bereits eingefangen in einem großen
Arbeitshauſe: Wozu alſo das Arbeitshaus im Arbeitshauſe! —
Ich greife unter dem Vielen nur heraus, was mir am naͤch-
ſten. — Wo es Volksfeſte gab, da ſuchte man ſie zu entweihen
durch Abnehmung alles lebendigen Schmuckes, oder durch un-
geſchicktes Umfaſſen, wobey ſie ihn zerbrechen, oder bis ſie ge-
faͤhrlich ſchienen in uͤbler Nachrede. Schauſpiel, Gaukelſpiel
und Muſik, wie die Stadt ſie zur Verſoͤhnung fuͤr ihre Ein-
kerkerung braucht, und das Land, wie es ſich daran freut in
dreytaͤgiger Hochzeit, in taggleichen nachtgleichen Kirmes, alles
dies wurde Eigenthum einzelner, um es beſteuern zu koͤnnen,
und durch den einen Schritt einem ſtrengen, aͤußern Drange,
einer fremden Beſtimmung, einem Stolze unterworfen, als

29.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0458" n="439[449]"/>
wenig war der Magen ohne die andern Glieder in jener uralten<lb/>
Fabel, auch der Na&#x0364;hr&#x017F;tand wurde enger, freudeleerer, bedu&#x0364;rfti-<lb/>
ger, befangener in dem Herkommen; nirgend lei&#x017F;teten Feld,<lb/>
Haus- und Werkarbeit, wies ihre Be&#x017F;timmung, die Nothdurft<lb/>
des Men&#x017F;chen mit geringerer Noth zu be&#x017F;treiten. Die Scheidung<lb/>
zwi&#x017F;chen Freude und Bedu&#x0364;rfniß war einmal gemacht, es i&#x017F;t das<lb/>
Eigenthu&#x0364;mliche des Bo&#x0364;&#x017F;en, wie der Krankheit, wo es er&#x017F;cheint,<lb/>
da er&#x017F;cheint es ganz, in ganzer Tha&#x0364;tigkeit, das Gute hingegen<lb/>
und die Ge&#x017F;undheit wie Sterne dunkeler Nacht wird &#x017F;elten nicht<lb/>
&#x017F;ichtbar, dafu&#x0364;r leuchtet &#x017F;ie ewig, wa&#x0364;hrend der fliegende feurige<lb/>
Drache in Funken zer&#x017F;tiebt. Die Bauern mochten klagen daß<lb/>
ihnen alle Freude milder Gabe genommen, die &#x017F;ingenden from-<lb/>
men Bettler wurden wie Mi&#x017F;&#x017F;etha&#x0364;ter eingefangen und gefangen<lb/>
ge&#x017F;ezt; verkappt, &#x017F;till und heimlich mußte nun Armuth umher-<lb/>
&#x017F;chleichen. Wenig&#x017F;tens ha&#x0364;tte das doch eine aufrichtige o&#x0364;ffentliche<lb/>
Unter&#x017F;uchung erfordert, ob wir auf der Bildungs&#x017F;tufe uns be-<lb/>
finden, wo &#x017F;ein eigner Herr nicht &#x017F;eyn kann, der &#x017F;ich nicht &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
erna&#x0364;hren kann. Vielleicht wu&#x0364;rde &#x017F;ich finden, daß keiner mehr<lb/>
&#x017F;ein eigner Herr, daß alle bereits eingefangen in einem großen<lb/>
Arbeitshau&#x017F;e: Wozu al&#x017F;o das Arbeitshaus im Arbeitshau&#x017F;e! &#x2014;<lb/>
Ich greife unter dem Vielen nur heraus, was mir am na&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten. &#x2014; Wo es Volksfe&#x017F;te gab, da &#x017F;uchte man &#x017F;ie zu entweihen<lb/>
durch Abnehmung alles lebendigen Schmuckes, oder durch un-<lb/>
ge&#x017F;chicktes Umfa&#x017F;&#x017F;en, wobey &#x017F;ie ihn zerbrechen, oder bis &#x017F;ie ge-<lb/>
fa&#x0364;hrlich &#x017F;chienen in u&#x0364;bler Nachrede. Schau&#x017F;piel, Gaukel&#x017F;piel<lb/>
und Mu&#x017F;ik, wie die Stadt &#x017F;ie zur Ver&#x017F;o&#x0364;hnung fu&#x0364;r ihre Ein-<lb/>
kerkerung braucht, und das Land, wie es &#x017F;ich daran freut in<lb/>
dreyta&#x0364;giger Hochzeit, in taggleichen nachtgleichen Kirmes, alles<lb/>
dies wurde Eigenthum einzelner, um es be&#x017F;teuern zu ko&#x0364;nnen,<lb/>
und durch den einen Schritt einem &#x017F;trengen, a&#x0364;ußern Drange,<lb/>
einer fremden Be&#x017F;timmung, einem Stolze unterworfen, als<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">29.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[439[449]/0458] wenig war der Magen ohne die andern Glieder in jener uralten Fabel, auch der Naͤhrſtand wurde enger, freudeleerer, beduͤrfti- ger, befangener in dem Herkommen; nirgend leiſteten Feld, Haus- und Werkarbeit, wies ihre Beſtimmung, die Nothdurft des Menſchen mit geringerer Noth zu beſtreiten. Die Scheidung zwiſchen Freude und Beduͤrfniß war einmal gemacht, es iſt das Eigenthuͤmliche des Boͤſen, wie der Krankheit, wo es erſcheint, da erſcheint es ganz, in ganzer Thaͤtigkeit, das Gute hingegen und die Geſundheit wie Sterne dunkeler Nacht wird ſelten nicht ſichtbar, dafuͤr leuchtet ſie ewig, waͤhrend der fliegende feurige Drache in Funken zerſtiebt. Die Bauern mochten klagen daß ihnen alle Freude milder Gabe genommen, die ſingenden from- men Bettler wurden wie Miſſethaͤter eingefangen und gefangen geſezt; verkappt, ſtill und heimlich mußte nun Armuth umher- ſchleichen. Wenigſtens haͤtte das doch eine aufrichtige oͤffentliche Unterſuchung erfordert, ob wir auf der Bildungsſtufe uns be- finden, wo ſein eigner Herr nicht ſeyn kann, der ſich nicht ſelbſt ernaͤhren kann. Vielleicht wuͤrde ſich finden, daß keiner mehr ſein eigner Herr, daß alle bereits eingefangen in einem großen Arbeitshauſe: Wozu alſo das Arbeitshaus im Arbeitshauſe! — Ich greife unter dem Vielen nur heraus, was mir am naͤch- ſten. — Wo es Volksfeſte gab, da ſuchte man ſie zu entweihen durch Abnehmung alles lebendigen Schmuckes, oder durch un- geſchicktes Umfaſſen, wobey ſie ihn zerbrechen, oder bis ſie ge- faͤhrlich ſchienen in uͤbler Nachrede. Schauſpiel, Gaukelſpiel und Muſik, wie die Stadt ſie zur Verſoͤhnung fuͤr ihre Ein- kerkerung braucht, und das Land, wie es ſich daran freut in dreytaͤgiger Hochzeit, in taggleichen nachtgleichen Kirmes, alles dies wurde Eigenthum einzelner, um es beſteuern zu koͤnnen, und durch den einen Schritt einem ſtrengen, aͤußern Drange, einer fremden Beſtimmung, einem Stolze unterworfen, als 29.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/458
Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 439[449]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/458>, abgerufen am 05.05.2024.