Es war eine schöne Jüdin, Ein wunderschönes Weib, Sie hatt' ein schöne Tochter, Ihr Haar war schön geflochten, Zum Tanz war sie bereit.
"Ach, liebste, liebste Mutter! "Was thut mir mein Herz so weh! "Ach, laßt mich eine Weile "Spazieren auf grüner Heide, "Bis daß mir's besser wird."
Die Mutter wandt den Rücken, Die Tochter sprang in die Gaß, Wo alle Schreiber saßen: "Ach liebster, liebster Schreiber! "Was thut mir mein Herz so weh."
"Wenn du dich lässest taufen, "Luisa sollst du heissen, "Mein Weibchen sollst du seyn." "Eh ich mich lasse taufen, "Lieber will ich mich versaufen, "Ins tiefe, tiefe Meer.
"Gut Nacht, mein Vater und Mutter, "Wie auch mein stolzer Bruder, "Ihr seht mich nimmermehr!
Die Judentochter.
Muͤndlich.
Es war eine ſchoͤne Juͤdin, Ein wunderſchoͤnes Weib, Sie hatt' ein ſchoͤne Tochter, Ihr Haar war ſchoͤn geflochten, Zum Tanz war ſie bereit.
„Ach, liebſte, liebſte Mutter! „Was thut mir mein Herz ſo weh! „Ach, laßt mich eine Weile „Spazieren auf gruͤner Heide, „Bis daß mir's beſſer wird.“
Die Mutter wandt den Ruͤcken, Die Tochter ſprang in die Gaß, Wo alle Schreiber ſaßen: „Ach liebſter, liebſter Schreiber! „Was thut mir mein Herz ſo weh.“
„Wenn du dich laͤſſeſt taufen, „Luiſa ſollſt du heiſſen, „Mein Weibchen ſollſt du ſeyn.“ „Eh ich mich laſſe taufen, „Lieber will ich mich verſaufen, „Ins tiefe, tiefe Meer.
„Gut Nacht, mein Vater und Mutter, „Wie auch mein ſtolzer Bruder, „Ihr ſeht mich nimmermehr!
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0261"n="252"/><divn="2"><head><hirendition="#g">Die Judentochter</hi>.</head><lb/><prendition="#c">Muͤndlich.</p><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><l><hirendition="#in">E</hi>s war eine ſchoͤne Juͤdin,</l><lb/><l>Ein wunderſchoͤnes Weib,</l><lb/><l>Sie hatt' ein ſchoͤne Tochter,</l><lb/><l>Ihr Haar war ſchoͤn geflochten,</l><lb/><l>Zum Tanz war ſie bereit.</l></lg><lb/><lgn="2"><l>„Ach, liebſte, liebſte Mutter!</l><lb/><l>„Was thut mir mein Herz ſo weh!</l><lb/><l>„Ach, laßt mich eine Weile</l><lb/><l>„Spazieren auf gruͤner Heide,</l><lb/><l>„Bis daß mir's beſſer wird.“</l></lg><lb/><lgn="3"><l>Die Mutter wandt den Ruͤcken,</l><lb/><l>Die Tochter ſprang in die Gaß,</l><lb/><l>Wo alle Schreiber ſaßen:</l><lb/><l>„Ach liebſter, liebſter Schreiber!</l><lb/><l>„Was thut mir mein Herz ſo weh.“</l></lg><lb/><lgn="4"><l>„Wenn du dich laͤſſeſt taufen,</l><lb/><l>„Luiſa ſollſt du heiſſen,</l><lb/><l>„Mein Weibchen ſollſt du ſeyn.“</l><lb/><l>„Eh ich mich laſſe taufen,</l><lb/><l>„Lieber will ich mich verſaufen,</l><lb/><l>„Ins tiefe, tiefe Meer.</l></lg><lb/><lgn="5"><l>„Gut Nacht, mein Vater und Mutter,</l><lb/><l>„Wie auch mein ſtolzer Bruder,</l><lb/><l>„Ihr ſeht mich nimmermehr!</l><lb/></lg></lg></div></div></body></text></TEI>
[252/0261]
Die Judentochter.
Muͤndlich.
Es war eine ſchoͤne Juͤdin,
Ein wunderſchoͤnes Weib,
Sie hatt' ein ſchoͤne Tochter,
Ihr Haar war ſchoͤn geflochten,
Zum Tanz war ſie bereit.
„Ach, liebſte, liebſte Mutter!
„Was thut mir mein Herz ſo weh!
„Ach, laßt mich eine Weile
„Spazieren auf gruͤner Heide,
„Bis daß mir's beſſer wird.“
Die Mutter wandt den Ruͤcken,
Die Tochter ſprang in die Gaß,
Wo alle Schreiber ſaßen:
„Ach liebſter, liebſter Schreiber!
„Was thut mir mein Herz ſo weh.“
„Wenn du dich laͤſſeſt taufen,
„Luiſa ſollſt du heiſſen,
„Mein Weibchen ſollſt du ſeyn.“
„Eh ich mich laſſe taufen,
„Lieber will ich mich verſaufen,
„Ins tiefe, tiefe Meer.
„Gut Nacht, mein Vater und Mutter,
„Wie auch mein ſtolzer Bruder,
„Ihr ſeht mich nimmermehr!
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/261>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.