Arnim, Achim von: Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [163]–201. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Meinen Vater habe ich nicht gekannt. Meine Mutter sah viele Männer bei sich, denen ich aufwarten mußte, das war meine einzige Arbeit. Ich war träumerisch und achtete gar nicht der freundlichen Reden dieser Männer, meine Mutter schützte mich gegen ihre Zudringlichkeit. Der Krieg hatte diese Herren, die meine Mutter besuchten und bei ihr Hazardspiele heimlich spielten, meist zerstreut; wir lebten zu ihrem Aerger sehr einsam; Freund und Feind waren ihr darum gleich verhaßt, ich durfte keinem eine Gabe bringen, der verwundet oder hungrig vor dem Hause vorüberging. Das that mir sehr leid, und einstmals war ich ganz allein und besorgte unser Mittagsessen, als viele Wagen mit Verwundeten vorüberzogen, die ich an der Sprache für Franzosen erkannte, die von den Preußen gefangen worden. Immer wollte ich mit dem fertigen Essen zu Jenen hinunter, doch ich fürchtete die Mutter; als ich aber Francoeur mit verbundenem Kopfe auf dem letzten Wagen liegen gesehen, da weiß ich nicht wie mir geschah; die Mutter war vergessen, ich nahm Suppe und Löffel und, ohne unsre Wohnung abzuschließen, eilte ich dem Wagen nach in die Pleißenburg. Ich fand ihn, er war schon abgestiegen; dreist redete ich die Aufseher an und wußte dem Verwundeten gleich das beste Strohlager zu erstehen. Und als er drauf lag, welche Seligkeit, dem Nothleidenden die warme Suppe zu reichen! Er wurde munter in den Augen und schwor mir, daß Meinen Vater habe ich nicht gekannt. Meine Mutter sah viele Männer bei sich, denen ich aufwarten mußte, das war meine einzige Arbeit. Ich war träumerisch und achtete gar nicht der freundlichen Reden dieser Männer, meine Mutter schützte mich gegen ihre Zudringlichkeit. Der Krieg hatte diese Herren, die meine Mutter besuchten und bei ihr Hazardspiele heimlich spielten, meist zerstreut; wir lebten zu ihrem Aerger sehr einsam; Freund und Feind waren ihr darum gleich verhaßt, ich durfte keinem eine Gabe bringen, der verwundet oder hungrig vor dem Hause vorüberging. Das that mir sehr leid, und einstmals war ich ganz allein und besorgte unser Mittagsessen, als viele Wagen mit Verwundeten vorüberzogen, die ich an der Sprache für Franzosen erkannte, die von den Preußen gefangen worden. Immer wollte ich mit dem fertigen Essen zu Jenen hinunter, doch ich fürchtete die Mutter; als ich aber Francoeur mit verbundenem Kopfe auf dem letzten Wagen liegen gesehen, da weiß ich nicht wie mir geschah; die Mutter war vergessen, ich nahm Suppe und Löffel und, ohne unsre Wohnung abzuschließen, eilte ich dem Wagen nach in die Pleißenburg. Ich fand ihn, er war schon abgestiegen; dreist redete ich die Aufseher an und wußte dem Verwundeten gleich das beste Strohlager zu erstehen. Und als er drauf lag, welche Seligkeit, dem Nothleidenden die warme Suppe zu reichen! Er wurde munter in den Augen und schwor mir, daß <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0015"/> Meinen Vater habe ich nicht gekannt. Meine Mutter sah viele Männer bei sich, denen ich aufwarten mußte, das war meine einzige Arbeit. Ich war träumerisch und achtete gar nicht der freundlichen Reden dieser Männer, meine Mutter schützte mich gegen ihre Zudringlichkeit. Der Krieg hatte diese Herren, die meine Mutter besuchten und bei ihr Hazardspiele heimlich spielten, meist zerstreut; wir lebten zu ihrem Aerger sehr einsam; Freund und Feind waren ihr darum gleich verhaßt, ich durfte keinem eine Gabe bringen, der verwundet oder hungrig vor dem Hause vorüberging. Das that mir sehr leid, und einstmals war ich ganz allein und besorgte unser Mittagsessen, als viele Wagen mit Verwundeten vorüberzogen, die ich an der Sprache für Franzosen erkannte, die von den Preußen gefangen worden. Immer wollte ich mit dem fertigen Essen zu Jenen hinunter, doch ich fürchtete die Mutter; als ich aber Francoeur mit verbundenem Kopfe auf dem letzten Wagen liegen gesehen, da weiß ich nicht wie mir geschah; die Mutter war vergessen, ich nahm Suppe und Löffel und, ohne unsre Wohnung abzuschließen, eilte ich dem Wagen nach in die Pleißenburg. Ich fand ihn, er war schon abgestiegen; dreist redete ich die Aufseher an und wußte dem Verwundeten gleich das beste Strohlager zu erstehen. Und als er drauf lag, welche Seligkeit, dem Nothleidenden die warme Suppe zu reichen! Er wurde munter in den Augen und schwor mir, daß<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
Meinen Vater habe ich nicht gekannt. Meine Mutter sah viele Männer bei sich, denen ich aufwarten mußte, das war meine einzige Arbeit. Ich war träumerisch und achtete gar nicht der freundlichen Reden dieser Männer, meine Mutter schützte mich gegen ihre Zudringlichkeit. Der Krieg hatte diese Herren, die meine Mutter besuchten und bei ihr Hazardspiele heimlich spielten, meist zerstreut; wir lebten zu ihrem Aerger sehr einsam; Freund und Feind waren ihr darum gleich verhaßt, ich durfte keinem eine Gabe bringen, der verwundet oder hungrig vor dem Hause vorüberging. Das that mir sehr leid, und einstmals war ich ganz allein und besorgte unser Mittagsessen, als viele Wagen mit Verwundeten vorüberzogen, die ich an der Sprache für Franzosen erkannte, die von den Preußen gefangen worden. Immer wollte ich mit dem fertigen Essen zu Jenen hinunter, doch ich fürchtete die Mutter; als ich aber Francoeur mit verbundenem Kopfe auf dem letzten Wagen liegen gesehen, da weiß ich nicht wie mir geschah; die Mutter war vergessen, ich nahm Suppe und Löffel und, ohne unsre Wohnung abzuschließen, eilte ich dem Wagen nach in die Pleißenburg. Ich fand ihn, er war schon abgestiegen; dreist redete ich die Aufseher an und wußte dem Verwundeten gleich das beste Strohlager zu erstehen. Und als er drauf lag, welche Seligkeit, dem Nothleidenden die warme Suppe zu reichen! Er wurde munter in den Augen und schwor mir, daß
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Zitationshilfe: | Arnim, Achim von: Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 1. München, [1871], S. [163]–201. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_invalide_1910/15>, abgerufen am 05.07.2024. |