Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.hat sich gar Vieles zu erzählen, wozu unter der Woche wenig Das Dorf, auf welches wir eben unsern Blick richten, hat ſich gar Vieles zu erzählen, wozu unter der Woche wenig Das Dorf, auf welches wir eben unſern Blick richten, <TEI> <text> <body> <div type="chapter"> <p><pb facs="#f0009"/> hat ſich gar Vieles zu erzählen, wozu unter der Woche wenig<lb/> Zeit iſt. Die Hauskatze ſchmiegt ſich behaglich ſchnurrend an<lb/> die Bäuerin, und der Hund liegt ſeinem Herrn zu Füßen, und<lb/> brummt als Zeichen ſeiner Wachſamkeit, wenn ein Wanderer<lb/> vorübergeht. An der andern Seite der Hausthüre ſind auf<lb/> einer zweiten Bank, gleich Soldaten in Reih und Glied, die<lb/> grünen und braunen Milchſchüſſeln aufgerichtet. Jn der Regel<lb/> iſt auch ein Bienenkorb beim Bauernhof, und mit Luſt ſammeln<lb/> die ſchwärmenden Bienen den köſtlichen Zuckerſtoff ein, den ihnen<lb/> der reiche Blumenflor dieſer üppigen Gebirgsauen verſchwen-<lb/> deriſch darbietet. Auf einem Hügel liegen Kirche, Pfarrhof und<lb/> Schulhaus, und das freundliche Kirchlein umſchließt der Fried-<lb/> hof, wo oft koſtbare Gedenkſteine mit einfachen Holzkreuzen ver-<lb/> miſcht ſind; denn nicht ſelten ſuchen reiche aber kranke Leute<lb/> Geneſung in dieſer balſamiſchen Bergluft, ach! und nicht allen<lb/> kann ſie gewährt werden. Jhnen wird dann Ruhe nach den<lb/> Leiden neben der kleinen Landkirche, wo jeden Sonntag der<lb/> Pfarrer mit ſeiner Gemeinde für ſie betet, und ihr Grab mit<lb/> der geweihten, ſühnenden Fluth beſprengt. Mit welcher Ein-<lb/> tracht liegen all’ die <choice><sic>Schlnmmernden</sic><corr>Schlummernden</corr></choice> beieinander in dieſem ſtillen<lb/> von hohen Bergen eingeſchloſſenen Gebirgsthal! Graf, Bauer,<lb/> Knecht und Bettler, und kein Unterſchied des Standes oder der<lb/> Nation ſtört mehr den Frieden, der ihnen nach den Stürmen<lb/> und Mühen des Lebens zu Theil ward.</p><lb/> <p>Das Dorf, auf welches wir eben unſern Blick richten,<lb/> liegt nicht fern dem ſo herrlich gelegenen Tegernſee, auch nicht<lb/> weit von dem wildromantiſchen Badeort Kreuth, wo ganz be-<lb/> ſonders die aromatiſche Luft, in Mitte reicher, duftender Wäl-<lb/> der, und in der Höhe von faſt dreitauſend Fuß eine ſo belebende<lb/> Kraft ausübt, daß ſchon oft dem Erlöſchen nahe Naturen wun-<lb/> derbar aufflammten, und dem Leben wieder neugeſchenkt wur-<lb/> den. — Die größere oder mindere Wohlhabenheit der Bauern<lb/> hier zu Land unterſcheidet ſich darin, daß ſie, je nach ihrem<lb/> Beſitz, halbe, Viertel- oder Sechzehntel-Bauern heißen; einen<lb/><hi rendition="#g">ganzen</hi> Bauer gibt es auf Stunden weit nur einen. Der<lb/> Haupterwerb beſteht in einer prächtigen Viehzucht und in Ver-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0009]
hat ſich gar Vieles zu erzählen, wozu unter der Woche wenig
Zeit iſt. Die Hauskatze ſchmiegt ſich behaglich ſchnurrend an
die Bäuerin, und der Hund liegt ſeinem Herrn zu Füßen, und
brummt als Zeichen ſeiner Wachſamkeit, wenn ein Wanderer
vorübergeht. An der andern Seite der Hausthüre ſind auf
einer zweiten Bank, gleich Soldaten in Reih und Glied, die
grünen und braunen Milchſchüſſeln aufgerichtet. Jn der Regel
iſt auch ein Bienenkorb beim Bauernhof, und mit Luſt ſammeln
die ſchwärmenden Bienen den köſtlichen Zuckerſtoff ein, den ihnen
der reiche Blumenflor dieſer üppigen Gebirgsauen verſchwen-
deriſch darbietet. Auf einem Hügel liegen Kirche, Pfarrhof und
Schulhaus, und das freundliche Kirchlein umſchließt der Fried-
hof, wo oft koſtbare Gedenkſteine mit einfachen Holzkreuzen ver-
miſcht ſind; denn nicht ſelten ſuchen reiche aber kranke Leute
Geneſung in dieſer balſamiſchen Bergluft, ach! und nicht allen
kann ſie gewährt werden. Jhnen wird dann Ruhe nach den
Leiden neben der kleinen Landkirche, wo jeden Sonntag der
Pfarrer mit ſeiner Gemeinde für ſie betet, und ihr Grab mit
der geweihten, ſühnenden Fluth beſprengt. Mit welcher Ein-
tracht liegen all’ die Schlummernden beieinander in dieſem ſtillen
von hohen Bergen eingeſchloſſenen Gebirgsthal! Graf, Bauer,
Knecht und Bettler, und kein Unterſchied des Standes oder der
Nation ſtört mehr den Frieden, der ihnen nach den Stürmen
und Mühen des Lebens zu Theil ward.
Das Dorf, auf welches wir eben unſern Blick richten,
liegt nicht fern dem ſo herrlich gelegenen Tegernſee, auch nicht
weit von dem wildromantiſchen Badeort Kreuth, wo ganz be-
ſonders die aromatiſche Luft, in Mitte reicher, duftender Wäl-
der, und in der Höhe von faſt dreitauſend Fuß eine ſo belebende
Kraft ausübt, daß ſchon oft dem Erlöſchen nahe Naturen wun-
derbar aufflammten, und dem Leben wieder neugeſchenkt wur-
den. — Die größere oder mindere Wohlhabenheit der Bauern
hier zu Land unterſcheidet ſich darin, daß ſie, je nach ihrem
Beſitz, halbe, Viertel- oder Sechzehntel-Bauern heißen; einen
ganzen Bauer gibt es auf Stunden weit nur einen. Der
Haupterwerb beſteht in einer prächtigen Viehzucht und in Ver-
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Zitationshilfe: | Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875/9>, abgerufen am 08.07.2024. |