Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.14. Ein Haberfeldtreiben*). Das Haberfeldtreiben in Oberbayern soll schon seit Jahr- Zur Zeit unserer Dorfgeschichte erstreckte sich ein gut organi- *) Ob die altbayerische Redensart: "Auf die Haberwaid schlagen"
d. h. das Vieh auf die letzte trostloseste Waide treiben oder schlagen mit dem "Haberfeldtreiben" oder "ins Haberfeldtreiben" im Zusammenhang steht? 14. Ein Haberfeldtreiben*). Das Haberfeldtreiben in Oberbayern ſoll ſchon ſeit Jahr- Zur Zeit unſerer Dorfgeſchichte erſtreckte ſich ein gut organi- *) Ob die altbayeriſche Redensart: „Auf die Haberwaid ſchlagen“
d. h. das Vieh auf die letzte troſtloſeſte Waide treiben oder ſchlagen mit dem „Haberfeldtreiben“ oder „ins Haberfeldtreiben“ im Zuſammenhang ſteht? <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0042"/> <div type="chapter"> <head>14. Ein Haberfeldtreiben<note place="foot" n="*)">Ob die altbayeriſche Redensart: „Auf die Haberwaid ſchlagen“<lb/> d. h. das Vieh auf die letzte troſtloſeſte Waide treiben oder ſchlagen mit<lb/> dem „Haberfeldtreiben“ oder „ins Haberfeldtreiben“ im Zuſammenhang ſteht?<lb/></note>.</head><lb/> <p>Das Haberfeldtreiben in Oberbayern ſoll ſchon ſeit Jahr-<lb/> hunderten beſtehen und war urſprünglich ſicher nichts als eine Art<lb/> von Volksjuſtiz; mit der Zeit hat es aber jedenfalls Wandlungen<lb/> erfahren und iſt auch gewiſſermaßen ausgeartet. Die Grundidee<lb/> war indeſſen immerhin eine gute, die ihren Sitz in der Aechtung<lb/> des Laſters hatte, und wir könnten uns glücklich preiſen, wäre<lb/> dieſes Gefühl in unſern Tagen noch ſo lebendig als ehedem. —<lb/> Drei Laſter hielt man für beſonders entwürdigend, und wer des<lb/> einen oder des andern erwieſener Weiſe ſchuldig war, vor deſſen<lb/> Haus fand zu nächtlicher Stunde ein Haberfeldtreiben ſtatt. —<lb/> Die drei Kriminalpunkte waren: Diebſtahl, — und wenn er auch<lb/> nur im Werthe von wenigen Kreuzern beſtand – eheliche Un-<lb/> treue und Mißhandlung der Ehefrau.</p><lb/> <p>Zur Zeit unſerer Dorfgeſchichte erſtreckte ſich ein gut organi-<lb/> ſirter Bund von etlichen hundert Mannsperſonen vom Mangfall<lb/> bis zum Jnn und nördlich bis über Miesbach und Ebersberg,<lb/> vielleicht auch öſtlich bis nach Aibling. An der Spitze ſtand ein<lb/> „Haberfeldmeiſter“, und alle waren durch einen Schwur auf Leben<lb/> und Tod zum tiefſten Stillſchweigen verpflichtet. Dieſer Schwur<lb/> wurde aber ſtets ſo ſtreng gehalten, daß die Behörden bis zur<lb/> Stunde weder über das Weſen dieſes eigenthümlichen Vehmge-<lb/> richts noch über die betheiligten Perſonen nur das geringſte er-<lb/> fahren konnten. Eben ſo wenig wußte man, wo ſie ſich verab-<lb/> reden, ſich verſammeln und wohin ſie nachher wieder verſchwinden.<lb/> Aber als wenn der Wind die Ankündigung aus den Wäldern<lb/> brächte, ſo weiß man es, wenn ein Haberfeldtreiben bevorſteht.<lb/> Um Mitternacht kommt dann die ganze Schaar, zuweilen einige<lb/> Hundert gleich dem wilden Heer angeſtürmt, und ſind ſie ſpäter<lb/> wie ein Sturmwind verſchwunden, ſo hört man wohl ſagen: „Sie<lb/> fahren wieder heim zu ihrem Herrn, dem Kaiſer Karl im Unters-<lb/> berg.“ Wer es zum erſtenmal ſieht, könnte freilich denken, es<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0042]
14. Ein Haberfeldtreiben *).
Das Haberfeldtreiben in Oberbayern ſoll ſchon ſeit Jahr-
hunderten beſtehen und war urſprünglich ſicher nichts als eine Art
von Volksjuſtiz; mit der Zeit hat es aber jedenfalls Wandlungen
erfahren und iſt auch gewiſſermaßen ausgeartet. Die Grundidee
war indeſſen immerhin eine gute, die ihren Sitz in der Aechtung
des Laſters hatte, und wir könnten uns glücklich preiſen, wäre
dieſes Gefühl in unſern Tagen noch ſo lebendig als ehedem. —
Drei Laſter hielt man für beſonders entwürdigend, und wer des
einen oder des andern erwieſener Weiſe ſchuldig war, vor deſſen
Haus fand zu nächtlicher Stunde ein Haberfeldtreiben ſtatt. —
Die drei Kriminalpunkte waren: Diebſtahl, — und wenn er auch
nur im Werthe von wenigen Kreuzern beſtand – eheliche Un-
treue und Mißhandlung der Ehefrau.
Zur Zeit unſerer Dorfgeſchichte erſtreckte ſich ein gut organi-
ſirter Bund von etlichen hundert Mannsperſonen vom Mangfall
bis zum Jnn und nördlich bis über Miesbach und Ebersberg,
vielleicht auch öſtlich bis nach Aibling. An der Spitze ſtand ein
„Haberfeldmeiſter“, und alle waren durch einen Schwur auf Leben
und Tod zum tiefſten Stillſchweigen verpflichtet. Dieſer Schwur
wurde aber ſtets ſo ſtreng gehalten, daß die Behörden bis zur
Stunde weder über das Weſen dieſes eigenthümlichen Vehmge-
richts noch über die betheiligten Perſonen nur das geringſte er-
fahren konnten. Eben ſo wenig wußte man, wo ſie ſich verab-
reden, ſich verſammeln und wohin ſie nachher wieder verſchwinden.
Aber als wenn der Wind die Ankündigung aus den Wäldern
brächte, ſo weiß man es, wenn ein Haberfeldtreiben bevorſteht.
Um Mitternacht kommt dann die ganze Schaar, zuweilen einige
Hundert gleich dem wilden Heer angeſtürmt, und ſind ſie ſpäter
wie ein Sturmwind verſchwunden, ſo hört man wohl ſagen: „Sie
fahren wieder heim zu ihrem Herrn, dem Kaiſer Karl im Unters-
berg.“ Wer es zum erſtenmal ſieht, könnte freilich denken, es
*) Ob die altbayeriſche Redensart: „Auf die Haberwaid ſchlagen“
d. h. das Vieh auf die letzte troſtloſeſte Waide treiben oder ſchlagen mit
dem „Haberfeldtreiben“ oder „ins Haberfeldtreiben“ im Zuſammenhang ſteht?
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Zitationshilfe: | Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875/42>, abgerufen am 16.02.2025. |