Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Ernst von Wildenbruch. Den Gang herauf -- es kommt durch die Thür -- Sie tritt auf die Schwelle -- ist hier, ist hier!' Ich warf mich herab zu des Lagers Fuße, ,Mein Bruder,' rief ich, ,thu' Buße, thu' Buße, Der Menschenverderber hält Dich gebunden, Des Weibes Lied hat der Teufel erfunden!' Zum Lager zurück ich Medardus zwang, Aus meinem Arme er los sich rang, Von seinem Lager er fort mich stieß: ,Eine Stimme ist's aus dem Paradies! Sie ruft mich zum Heil, das ich frevelnd verlor, Sie öffnet zur Seligkeit selbst mir das Thor.' Und plötzlich die strömende Thräne ihm rann Und plötzlich Medardus zu singen begann -- Es war ein Lied, wie ich keines vernahm, Das jemals aus menschlicher Kehle kam, So in klagendem Leid, so in jauchzender Lust, -- Da faßte Entsetzen mir kalt in die Brust, Mit flüchtendem Fuße schlug ich die Schwelle, Da rief ich Euch Alle zu seiner Zelle." -- -- Der Beichtiger schwieg -- durch die Fenster brach Der grauende Morgen -- der Prior sprach: "Was Menschenaugen nicht fassen, noch sehn', Dort oben ist Einer, der wird es versteh'n, Er hat gesprochen: ,Mein ist das Gericht' -- Geh' beten, mein Bruder, und richte nicht." Der Emir und sein Roß. Blutbeströmt und voller Wunden, Die ihm Christen-Schwerter schlugen, Trugen Mauren ihren Emir, Der da kämpfte, der da siegte Hundertmal in hundert Schlachten, Heimwärts von des Ebro Strand. Ernſt von Wildenbruch. Den Gang herauf — es kommt durch die Thür — Sie tritt auf die Schwelle — iſt hier, iſt hier!‘ Ich warf mich herab zu des Lagers Fuße, ‚Mein Bruder,‘ rief ich, ‚thu’ Buße, thu’ Buße, Der Menſchenverderber hält Dich gebunden, Des Weibes Lied hat der Teufel erfunden!‘ Zum Lager zurück ich Medardus zwang, Aus meinem Arme er los ſich rang, Von ſeinem Lager er fort mich ſtieß: ‚Eine Stimme iſt’s aus dem Paradies! Sie ruft mich zum Heil, das ich frevelnd verlor, Sie öffnet zur Seligkeit ſelbſt mir das Thor.‘ Und plötzlich die ſtrömende Thräne ihm rann Und plötzlich Medardus zu ſingen begann — Es war ein Lied, wie ich keines vernahm, Das jemals aus menſchlicher Kehle kam, So in klagendem Leid, ſo in jauchzender Luſt, — Da faßte Entſetzen mir kalt in die Bruſt, Mit flüchtendem Fuße ſchlug ich die Schwelle, Da rief ich Euch Alle zu ſeiner Zelle.“ — — Der Beichtiger ſchwieg — durch die Fenſter brach Der grauende Morgen — der Prior ſprach: „Was Menſchenaugen nicht faſſen, noch ſehn’, Dort oben iſt Einer, der wird es verſteh’n, Er hat geſprochen: ‚Mein iſt das Gericht‘ — Geh’ beten, mein Bruder, und richte nicht.“ Der Emir und ſein Roß. Blutbeſtrömt und voller Wunden, Die ihm Chriſten-Schwerter ſchlugen, Trugen Mauren ihren Emir, Der da kämpfte, der da ſiegte Hundertmal in hundert Schlachten, Heimwärts von des Ebro Strand. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb facs="#f0271" n="253"/> <fw place="top" type="header">Ernſt von Wildenbruch.</fw><lb/> <l>Den Gang herauf — es kommt durch die Thür —</l><lb/> <l>Sie tritt auf die Schwelle — iſt hier, iſt hier!‘</l><lb/> <l>Ich warf mich herab zu des Lagers Fuße,</l><lb/> <l>‚Mein Bruder,‘ rief ich, ‚thu’ Buße, thu’ <choice><sic>Bnße</sic><corr>Buße</corr></choice>,</l><lb/> <l>Der Menſchenverderber hält Dich gebunden,</l><lb/> <l>Des Weibes Lied hat der Teufel erfunden!‘</l><lb/> <l>Zum Lager zurück ich Medardus zwang,</l><lb/> <l>Aus meinem Arme er los ſich rang,</l><lb/> <l>Von ſeinem Lager er fort mich ſtieß:</l><lb/> <l>‚Eine Stimme iſt’s aus dem Paradies!</l><lb/> <l>Sie ruft mich zum Heil, das ich frevelnd verlor,</l><lb/> <l>Sie öffnet zur Seligkeit ſelbſt mir das Thor.‘</l><lb/> <l>Und plötzlich die ſtrömende Thräne ihm rann</l><lb/> <l>Und plötzlich Medardus zu ſingen begann —</l><lb/> <l>Es war ein Lied, wie ich keines vernahm,</l><lb/> <l>Das jemals aus menſchlicher Kehle kam,</l><lb/> <l>So in klagendem Leid, ſo in jauchzender Luſt, —</l><lb/> <l>Da faßte Entſetzen mir kalt in die Bruſt,</l><lb/> <l>Mit flüchtendem Fuße ſchlug ich die Schwelle,</l><lb/> <l>Da rief ich Euch Alle zu ſeiner Zelle.“ — —</l><lb/> <l>Der Beichtiger ſchwieg — durch die Fenſter brach</l><lb/> <l>Der grauende Morgen — der Prior ſprach:</l><lb/> <l>„Was Menſchenaugen nicht faſſen, noch ſehn’,</l><lb/> <l>Dort oben iſt Einer, der wird es verſteh’n,</l><lb/> <l>Er hat geſprochen: ‚Mein iſt das Gericht‘ —</l><lb/> <l>Geh’ beten, mein Bruder, und richte nicht.“</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">Der Emir und ſein Roß.</hi> </head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Blutbeſtrömt und voller Wunden,</l><lb/> <l>Die ihm Chriſten-Schwerter ſchlugen,</l><lb/> <l>Trugen Mauren ihren Emir,</l><lb/> <l>Der da kämpfte, der da ſiegte</l><lb/> <l>Hundertmal in hundert Schlachten,</l><lb/> <l>Heimwärts von des Ebro Strand.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [253/0271]
Ernſt von Wildenbruch.
Den Gang herauf — es kommt durch die Thür —
Sie tritt auf die Schwelle — iſt hier, iſt hier!‘
Ich warf mich herab zu des Lagers Fuße,
‚Mein Bruder,‘ rief ich, ‚thu’ Buße, thu’ Buße,
Der Menſchenverderber hält Dich gebunden,
Des Weibes Lied hat der Teufel erfunden!‘
Zum Lager zurück ich Medardus zwang,
Aus meinem Arme er los ſich rang,
Von ſeinem Lager er fort mich ſtieß:
‚Eine Stimme iſt’s aus dem Paradies!
Sie ruft mich zum Heil, das ich frevelnd verlor,
Sie öffnet zur Seligkeit ſelbſt mir das Thor.‘
Und plötzlich die ſtrömende Thräne ihm rann
Und plötzlich Medardus zu ſingen begann —
Es war ein Lied, wie ich keines vernahm,
Das jemals aus menſchlicher Kehle kam,
So in klagendem Leid, ſo in jauchzender Luſt, —
Da faßte Entſetzen mir kalt in die Bruſt,
Mit flüchtendem Fuße ſchlug ich die Schwelle,
Da rief ich Euch Alle zu ſeiner Zelle.“ — —
Der Beichtiger ſchwieg — durch die Fenſter brach
Der grauende Morgen — der Prior ſprach:
„Was Menſchenaugen nicht faſſen, noch ſehn’,
Dort oben iſt Einer, der wird es verſteh’n,
Er hat geſprochen: ‚Mein iſt das Gericht‘ —
Geh’ beten, mein Bruder, und richte nicht.“
Der Emir und ſein Roß.
Blutbeſtrömt und voller Wunden,
Die ihm Chriſten-Schwerter ſchlugen,
Trugen Mauren ihren Emir,
Der da kämpfte, der da ſiegte
Hundertmal in hundert Schlachten,
Heimwärts von des Ebro Strand.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |