Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Ernst von Wildenbruch. Die Mönche sie schwangen die heiligen Kerzen: "Fleuch', Satan, entweiche aus seinem Herzen." Sie schwangen die Kreuze, die heiligen Bilder, Medardus' Gesang ward wilder und wilder, Und tief in die schauernden Seelen drang Das sündige Lied, das Medardus sang. Die Mönche beschlich es wie sehnender Schauer, Verlorenen Lebens tief nagende Trauer, Sie dachten an Dinge, die einst sie besessen, An Tage der Jugend, die lange vergessen. Und mählich, allmählich verstummte der Chor, Sie schwiegen und lauschten und neigten das Ohr. -- Der Prior, ein frommer, ein eifriger Greis, Er stand voller Schrecken und blickte im Kreis, Zu Bruder Medardus erhob er die Stimme Und sprach in frommem, in eiferndem Grimme: "Darfst Du mir verführen die heiligen Brüder? So fahre, Verdammter, zur Hölle hernieder!" Und siehe, vom Lager Medardus sich hob, Ein leuchtender Glanz sein Antlitz umwob, Sein starrendes Aug' in die Ferne blickte, Als säh' er ein Bild, das tief ihn entzückte, Er reckte die Arme, er streckte sie weit: "Ich höre Dich," rief er, "ich bin bereit: Du reines Weib, das sie Hexe genannt, Du süßer Leib, den sie schändend verbrannt, Ihr schwellenden Lippen, ihr Augen voll Güte, Du, spielender Glieder süß quellende Blüthe, Du liebende Wonne, die einst sich mir bot Und die ich verachtend verstieß in den Tod, Nach fünfzig Jahren voll Buße und Pein, Ich komme, um ewiglich bei Dir zu sein!" Er reckte die Arme, er streckte die Glieder -- "Medardus ist todt," dumpf sprachen's die Brüder. -- Drei Tage und Nächte mit Buße-Gesang Die Mönche zogen das Kloster entlang, Sie lagen drei Nächte auf ihren Knien Und riefen zu Gott um Gnade für ihn: "Ihm, welcher dahinging in Sünde und Schuld, Erlösender Heiland, vergieb ihm in Huld." -- Ernſt von Wildenbruch. Die Mönche ſie ſchwangen die heiligen Kerzen: „Fleuch’, Satan, entweiche aus ſeinem Herzen.“ Sie ſchwangen die Kreuze, die heiligen Bilder, Medardus’ Geſang ward wilder und wilder, Und tief in die ſchauernden Seelen drang Das ſündige Lied, das Medardus ſang. Die Mönche beſchlich es wie ſehnender Schauer, Verlorenen Lebens tief nagende Trauer, Sie dachten an Dinge, die einſt ſie beſeſſen, An Tage der Jugend, die lange vergeſſen. Und mählich, allmählich verſtummte der Chor, Sie ſchwiegen und lauſchten und neigten das Ohr. — Der Prior, ein frommer, ein eifriger Greis, Er ſtand voller Schrecken und blickte im Kreis, Zu Bruder Medardus erhob er die Stimme Und ſprach in frommem, in eiferndem Grimme: „Darfſt Du mir verführen die heiligen Brüder? So fahre, Verdammter, zur Hölle hernieder!“ Und ſiehe, vom Lager Medardus ſich hob, Ein leuchtender Glanz ſein Antlitz umwob, Sein ſtarrendes Aug’ in die Ferne blickte, Als ſäh’ er ein Bild, das tief ihn entzückte, Er reckte die Arme, er ſtreckte ſie weit: „Ich höre Dich,“ rief er, „ich bin bereit: Du reines Weib, das ſie Hexe genannt, Du ſüßer Leib, den ſie ſchändend verbrannt, Ihr ſchwellenden Lippen, ihr Augen voll Güte, Du, ſpielender Glieder ſüß quellende Blüthe, Du liebende Wonne, die einſt ſich mir bot Und die ich verachtend verſtieß in den Tod, Nach fünfzig Jahren voll Buße und Pein, Ich komme, um ewiglich bei Dir zu ſein!“ Er reckte die Arme, er ſtreckte die Glieder — „Medardus iſt todt,“ dumpf ſprachen’s die Brüder. — Drei Tage und Nächte mit Buße-Geſang Die Mönche zogen das Kloſter entlang, Sie lagen drei Nächte auf ihren Knien Und riefen zu Gott um Gnade für ihn: „Ihm, welcher dahinging in Sünde und Schuld, Erlöſender Heiland, vergieb ihm in Huld.“ — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb facs="#f0265" n="247"/> <fw place="top" type="header">Ernſt von Wildenbruch.</fw><lb/> <l>Die Mönche ſie ſchwangen die heiligen Kerzen:</l><lb/> <l>„Fleuch’, Satan, entweiche aus ſeinem Herzen.“</l><lb/> <l>Sie ſchwangen die Kreuze, die heiligen Bilder,</l><lb/> <l>Medardus’ Geſang ward wilder und wilder,</l><lb/> <l>Und tief in die ſchauernden Seelen drang</l><lb/> <l>Das ſündige Lied, das Medardus ſang.</l><lb/> <l>Die Mönche beſchlich es wie ſehnender Schauer,</l><lb/> <l>Verlorenen Lebens tief nagende Trauer,</l><lb/> <l>Sie dachten an Dinge, die einſt ſie beſeſſen,</l><lb/> <l>An Tage der Jugend, die lange vergeſſen.</l><lb/> <l>Und mählich, allmählich verſtummte der Chor,</l><lb/> <l>Sie ſchwiegen und lauſchten und neigten das Ohr. —</l><lb/> <l>Der Prior, ein frommer, ein eifriger Greis,</l><lb/> <l>Er ſtand voller Schrecken und blickte im Kreis,</l><lb/> <l>Zu Bruder Medardus erhob er die Stimme</l><lb/> <l>Und ſprach in frommem, in eiferndem Grimme:</l><lb/> <l>„Darfſt Du mir verführen die heiligen Brüder?</l><lb/> <l>So fahre, Verdammter, zur Hölle hernieder!“</l><lb/> <l>Und ſiehe, vom Lager Medardus ſich hob,</l><lb/> <l>Ein leuchtender Glanz ſein Antlitz umwob,</l><lb/> <l>Sein ſtarrendes Aug’ in die Ferne blickte,</l><lb/> <l>Als ſäh’ er ein Bild, das tief ihn entzückte,</l><lb/> <l>Er reckte die Arme, er ſtreckte ſie weit:</l><lb/> <l>„Ich höre Dich,“ rief er, „ich bin bereit:</l><lb/> <l>Du reines Weib, das ſie Hexe genannt,</l><lb/> <l>Du ſüßer Leib, den ſie ſchändend verbrannt,</l><lb/> <l>Ihr ſchwellenden Lippen, ihr Augen voll Güte,</l><lb/> <l>Du, ſpielender Glieder ſüß quellende Blüthe,</l><lb/> <l>Du liebende Wonne, die einſt ſich mir bot</l><lb/> <l>Und die ich verachtend verſtieß in den Tod,</l><lb/> <l>Nach fünfzig Jahren voll Buße und Pein,</l><lb/> <l>Ich komme, um ewiglich bei Dir zu ſein!“</l><lb/> <l>Er reckte die Arme, er ſtreckte die Glieder —</l><lb/> <l>„Medardus iſt todt,“ dumpf ſprachen’s die Brüder. —</l><lb/> <l>Drei Tage und Nächte mit Buße-Geſang</l><lb/> <l>Die Mönche zogen das Kloſter entlang,</l><lb/> <l>Sie lagen drei Nächte auf ihren Knien</l><lb/> <l>Und riefen zu Gott um Gnade für ihn:</l><lb/> <l>„Ihm, welcher dahinging in Sünde und Schuld,</l><lb/> <l>Erlöſender Heiland, vergieb ihm in Huld.“ —</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [247/0265]
Ernſt von Wildenbruch.
Die Mönche ſie ſchwangen die heiligen Kerzen:
„Fleuch’, Satan, entweiche aus ſeinem Herzen.“
Sie ſchwangen die Kreuze, die heiligen Bilder,
Medardus’ Geſang ward wilder und wilder,
Und tief in die ſchauernden Seelen drang
Das ſündige Lied, das Medardus ſang.
Die Mönche beſchlich es wie ſehnender Schauer,
Verlorenen Lebens tief nagende Trauer,
Sie dachten an Dinge, die einſt ſie beſeſſen,
An Tage der Jugend, die lange vergeſſen.
Und mählich, allmählich verſtummte der Chor,
Sie ſchwiegen und lauſchten und neigten das Ohr. —
Der Prior, ein frommer, ein eifriger Greis,
Er ſtand voller Schrecken und blickte im Kreis,
Zu Bruder Medardus erhob er die Stimme
Und ſprach in frommem, in eiferndem Grimme:
„Darfſt Du mir verführen die heiligen Brüder?
So fahre, Verdammter, zur Hölle hernieder!“
Und ſiehe, vom Lager Medardus ſich hob,
Ein leuchtender Glanz ſein Antlitz umwob,
Sein ſtarrendes Aug’ in die Ferne blickte,
Als ſäh’ er ein Bild, das tief ihn entzückte,
Er reckte die Arme, er ſtreckte ſie weit:
„Ich höre Dich,“ rief er, „ich bin bereit:
Du reines Weib, das ſie Hexe genannt,
Du ſüßer Leib, den ſie ſchändend verbrannt,
Ihr ſchwellenden Lippen, ihr Augen voll Güte,
Du, ſpielender Glieder ſüß quellende Blüthe,
Du liebende Wonne, die einſt ſich mir bot
Und die ich verachtend verſtieß in den Tod,
Nach fünfzig Jahren voll Buße und Pein,
Ich komme, um ewiglich bei Dir zu ſein!“
Er reckte die Arme, er ſtreckte die Glieder —
„Medardus iſt todt,“ dumpf ſprachen’s die Brüder. —
Drei Tage und Nächte mit Buße-Geſang
Die Mönche zogen das Kloſter entlang,
Sie lagen drei Nächte auf ihren Knien
Und riefen zu Gott um Gnade für ihn:
„Ihm, welcher dahinging in Sünde und Schuld,
Erlöſender Heiland, vergieb ihm in Huld.“ —
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