Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

Bild:
<< vorherige Seite
Heinrich Hart.
In Fiebern lag ich brennend Tag um Tag,
Von Zweifeln trüb umnachtet, angst und zag.
Kein Weg, kein Ziel! Wir ziehn auf ungefähr
Durch Steppenöde, heut am Strom einher
Und plaudernd, jubelnd; morgen im Gestein
Versengter Felsen, dürstend und allein.
Wir wandern, doch wohin -- verkündet keiner,
Wir wandern, doch warum -- ergründet keiner.
Ich lag und sann, der Abend brach herein,
Ins Auge fiel mir hell des Mondes Schein.
Da dehnte bebend sich mein Zimmer aus,
Wie Nebel schwanden Decke, Thür und Haus.
Ich stand an eines Berges steilem Hang,
Dem Abgrund schwelte grau Gewölk entlang
Und plötzlich braust es hell wie Adlerflug,
Ein Sturmwind rüttelt an des Felsens Bug
Und wie ein Schatten steigt es niederwärts,
Den Arm umpreßt mir eine Hand von Erz,
Zur Seite ragt mir ein gewaltig Haupt,
Die Augen Blitz, die Stirne gluthumlaubt.
Und durch die Wolken züngeln weiße Feuer,
Zerrbilder tauchen auf und Ungeheuer.
Dann wird es Licht, von Sonnenglanz ein Strom
Trägt meine Blicke durch des Weltalls Dom.
Das Buch der Sterne seh ich aufgethan,
Der Erde Nieren und der Winde Bahn,
Ein gähnend Grab klafft Land und Wasser auf,
Marklose Schädel grinsen bleich herauf.
Vorüber zieht der Volksgeschlechter Heer
In bunter Tracht, mit Sichel und mit Wehr;
Hier lagert sich ein Stamm, Zelt neben Zelt,
Des Führers Ruf, des Händlers Stimme gellt,
Dort in die Sümpfe wühlt sich klammernd ein
Die Euphratstadt, ein Drachenleib von Stein,
Von blauer Meerfluth seidenweich umrollt
Blüht Hellas in der Abendsonne Gold.
Und durch des Eichwalds feuchte Nebelschicht
Schlägt der Germane breiten Weg dem Licht;
Hier einsam geht ein Mann und forscht und sucht,
Dort hängt am Kreuze, den die Welt verflucht.
Heinrich Hart.
In Fiebern lag ich brennend Tag um Tag,
Von Zweifeln trüb umnachtet, angſt und zag.
Kein Weg, kein Ziel! Wir ziehn auf ungefähr
Durch Steppenöde, heut am Strom einher
Und plaudernd, jubelnd; morgen im Geſtein
Verſengter Felſen, dürſtend und allein.
Wir wandern, doch wohin — verkündet keiner,
Wir wandern, doch warum — ergründet keiner.
Ich lag und ſann, der Abend brach herein,
Ins Auge fiel mir hell des Mondes Schein.
Da dehnte bebend ſich mein Zimmer aus,
Wie Nebel ſchwanden Decke, Thür und Haus.
Ich ſtand an eines Berges ſteilem Hang,
Dem Abgrund ſchwelte grau Gewölk entlang
Und plötzlich brauſt es hell wie Adlerflug,
Ein Sturmwind rüttelt an des Felſens Bug
Und wie ein Schatten ſteigt es niederwärts,
Den Arm umpreßt mir eine Hand von Erz,
Zur Seite ragt mir ein gewaltig Haupt,
Die Augen Blitz, die Stirne gluthumlaubt.
Und durch die Wolken züngeln weiße Feuer,
Zerrbilder tauchen auf und Ungeheuer.
Dann wird es Licht, von Sonnenglanz ein Strom
Trägt meine Blicke durch des Weltalls Dom.
Das Buch der Sterne ſeh ich aufgethan,
Der Erde Nieren und der Winde Bahn,
Ein gähnend Grab klafft Land und Waſſer auf,
Markloſe Schädel grinſen bleich herauf.
Vorüber zieht der Volksgeſchlechter Heer
In bunter Tracht, mit Sichel und mit Wehr;
Hier lagert ſich ein Stamm, Zelt neben Zelt,
Des Führers Ruf, des Händlers Stimme gellt,
Dort in die Sümpfe wühlt ſich klammernd ein
Die Euphratſtadt, ein Drachenleib von Stein,
Von blauer Meerfluth ſeidenweich umrollt
Blüht Hellas in der Abendſonne Gold.
Und durch des Eichwalds feuchte Nebelſchicht
Schlägt der Germane breiten Weg dem Licht;
Hier einſam geht ein Mann und forſcht und ſucht,
Dort hängt am Kreuze, den die Welt verflucht.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0192" n="174"/>
            <fw place="top" type="header">Heinrich Hart.</fw><lb/>
            <lg n="4">
              <l>In Fiebern lag ich brennend Tag um Tag,</l><lb/>
              <l>Von Zweifeln trüb umnachtet, ang&#x017F;t und zag.</l><lb/>
              <l>Kein Weg, kein Ziel! Wir ziehn auf ungefähr</l><lb/>
              <l>Durch Steppenöde, heut am Strom einher</l><lb/>
              <l>Und plaudernd, jubelnd; morgen im Ge&#x017F;tein</l><lb/>
              <l>Ver&#x017F;engter Fel&#x017F;en, dür&#x017F;tend und allein.</l><lb/>
              <l>Wir wandern, doch wohin &#x2014; verkündet keiner,</l><lb/>
              <l>Wir wandern, doch warum &#x2014; ergründet keiner.</l><lb/>
              <l>Ich lag und &#x017F;ann, der Abend brach herein,</l><lb/>
              <l>Ins Auge fiel mir hell des Mondes Schein.</l><lb/>
              <l>Da dehnte bebend &#x017F;ich mein Zimmer aus,</l><lb/>
              <l>Wie Nebel &#x017F;chwanden Decke, Thür und Haus.</l><lb/>
              <l>Ich &#x017F;tand an eines Berges &#x017F;teilem Hang,</l><lb/>
              <l>Dem Abgrund &#x017F;chwelte grau Gewölk entlang</l><lb/>
              <l>Und plötzlich brau&#x017F;t es hell wie Adlerflug,</l><lb/>
              <l>Ein Sturmwind rüttelt an des Fel&#x017F;ens Bug</l><lb/>
              <l>Und wie ein Schatten &#x017F;teigt es niederwärts,</l><lb/>
              <l>Den Arm umpreßt mir eine Hand von Erz,</l><lb/>
              <l>Zur Seite ragt mir ein gewaltig Haupt,</l><lb/>
              <l>Die Augen Blitz, die Stirne gluthumlaubt.</l><lb/>
              <l>Und durch die Wolken züngeln weiße Feuer,</l><lb/>
              <l>Zerrbilder tauchen auf und Ungeheuer.</l><lb/>
              <l>Dann wird es Licht, von Sonnenglanz ein Strom</l><lb/>
              <l>Trägt meine Blicke durch des Weltalls Dom.</l><lb/>
              <l>Das Buch der Sterne &#x017F;eh ich aufgethan,</l><lb/>
              <l>Der Erde Nieren und der Winde Bahn,</l><lb/>
              <l>Ein gähnend Grab klafft Land und Wa&#x017F;&#x017F;er auf,</l><lb/>
              <l>Marklo&#x017F;e Schädel grin&#x017F;en bleich herauf.</l><lb/>
              <l>Vorüber zieht der Volksge&#x017F;chlechter Heer</l><lb/>
              <l>In bunter Tracht, mit Sichel und mit Wehr;</l><lb/>
              <l>Hier lagert &#x017F;ich ein Stamm, Zelt neben Zelt,</l><lb/>
              <l>Des Führers Ruf, des Händlers Stimme gellt,</l><lb/>
              <l>Dort in die Sümpfe wühlt &#x017F;ich klammernd ein</l><lb/>
              <l>Die Euphrat&#x017F;tadt, ein Drachenleib von Stein,</l><lb/>
              <l>Von blauer Meerfluth &#x017F;eidenweich umrollt</l><lb/>
              <l>Blüht Hellas in der Abend&#x017F;onne Gold.</l><lb/>
              <l>Und durch des Eichwalds feuchte Nebel&#x017F;chicht</l><lb/>
              <l>Schlägt der Germane breiten Weg dem Licht;</l><lb/>
              <l>Hier ein&#x017F;am geht ein Mann und for&#x017F;cht und &#x017F;ucht,</l><lb/>
              <l>Dort hängt am Kreuze, den die Welt verflucht.</l><lb/>
            </lg>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0192] Heinrich Hart. In Fiebern lag ich brennend Tag um Tag, Von Zweifeln trüb umnachtet, angſt und zag. Kein Weg, kein Ziel! Wir ziehn auf ungefähr Durch Steppenöde, heut am Strom einher Und plaudernd, jubelnd; morgen im Geſtein Verſengter Felſen, dürſtend und allein. Wir wandern, doch wohin — verkündet keiner, Wir wandern, doch warum — ergründet keiner. Ich lag und ſann, der Abend brach herein, Ins Auge fiel mir hell des Mondes Schein. Da dehnte bebend ſich mein Zimmer aus, Wie Nebel ſchwanden Decke, Thür und Haus. Ich ſtand an eines Berges ſteilem Hang, Dem Abgrund ſchwelte grau Gewölk entlang Und plötzlich brauſt es hell wie Adlerflug, Ein Sturmwind rüttelt an des Felſens Bug Und wie ein Schatten ſteigt es niederwärts, Den Arm umpreßt mir eine Hand von Erz, Zur Seite ragt mir ein gewaltig Haupt, Die Augen Blitz, die Stirne gluthumlaubt. Und durch die Wolken züngeln weiße Feuer, Zerrbilder tauchen auf und Ungeheuer. Dann wird es Licht, von Sonnenglanz ein Strom Trägt meine Blicke durch des Weltalls Dom. Das Buch der Sterne ſeh ich aufgethan, Der Erde Nieren und der Winde Bahn, Ein gähnend Grab klafft Land und Waſſer auf, Markloſe Schädel grinſen bleich herauf. Vorüber zieht der Volksgeſchlechter Heer In bunter Tracht, mit Sichel und mit Wehr; Hier lagert ſich ein Stamm, Zelt neben Zelt, Des Führers Ruf, des Händlers Stimme gellt, Dort in die Sümpfe wühlt ſich klammernd ein Die Euphratſtadt, ein Drachenleib von Stein, Von blauer Meerfluth ſeidenweich umrollt Blüht Hellas in der Abendſonne Gold. Und durch des Eichwalds feuchte Nebelſchicht Schlägt der Germane breiten Weg dem Licht; Hier einſam geht ein Mann und forſcht und ſucht, Dort hängt am Kreuze, den die Welt verflucht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/192
Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/192>, abgerufen am 05.05.2024.