Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Arno Holz. Nun geht die Welt kopfüber und kopfunter, Auf Sommerwohnung zieht schon der Rentier, Die Anschlagsäulen werden immer bunter Und nächtlich wimmert oft das Portemonnaie. Der Schornsteinfeger klettert auf die Leiter Und grinst uns an als Vogelperspecteur, Vor Klingeln kommt die Pferdebahn nicht weiter Und Alles brüllt: "He, schneller, Conducteur!" Das Militair wirft sich in Drillichhosen Und übt sich schwitzend im Paradeschritt, Als ging's kopfüber gegen die Franzosen, Und krampfhaft schleppt es die Tornister mit. Und blitzt der Exercierplatz dann exotisch Wie ein gemaltes Farbenmosaik, Dann wird die Schusterjugend patriotisch Und lautauf spielt die Regimentsmusik. Schon dampft der Kaffee hie und da im Garten, Der Schooßhund bellt, es kreischt der Papagei, Papa studirt die kolorirten Karten Von Zoppot, Heringsdorf und Norderney. In den geschlossenen Theatern trauern Die weichen Polstersitze des Parquets Und rothe Zettel predgen an den Mauern Die goldne Aera der Retourbilletts. An eine Spritztour denkt manch armer Schlucker, Doch dreht sie leider sich ums Wörtchen "wenn", Am gelben Gurt den schwarzeen Opernkucker Stelzt durchs Museum nun der Inglishman. Die Provinzialen aber schneiden Fratzen Dank ihrer anerzognen Prüderie, Und unbemerkt nur schleichen sie wie Katzen Um unsre liebe Frau von Medici. Doch drauß vorm Stadtthor rauscht es in den Bäumen, Dort tummelt sich die fashionable Welt, Und junge Dichter wandeln dort und träumen Von ewgem Ruhm, Unsterblichkeit -- und Geld. Arno Holz. Nun geht die Welt kopfüber und kopfunter, Auf Sommerwohnung zieht ſchon der Rentier, Die Anſchlagſäulen werden immer bunter Und nächtlich wimmert oft das Portemonnaie. Der Schornſteinfeger klettert auf die Leiter Und grinſt uns an als Vogelperſpecteur, Vor Klingeln kommt die Pferdebahn nicht weiter Und Alles brüllt: „He, ſchneller, Conducteur!“ Das Militair wirft ſich in Drillichhoſen Und übt ſich ſchwitzend im Paradeſchritt, Als ging’s kopfüber gegen die Franzoſen, Und krampfhaft ſchleppt es die Torniſter mit. Und blitzt der Exercierplatz dann exotiſch Wie ein gemaltes Farbenmoſaik, Dann wird die Schuſterjugend patriotiſch Und lautauf ſpielt die Regimentsmuſik. Schon dampft der Kaffee hie und da im Garten, Der Schooßhund bellt, es kreiſcht der Papagei, Papa ſtudirt die kolorirten Karten Von Zoppot, Heringsdorf und Norderney. In den geſchloſſenen Theatern trauern Die weichen Polſterſitze des Parquets Und rothe Zettel predgen an den Mauern Die goldne Aera der Retourbilletts. An eine Spritztour denkt manch armer Schlucker, Doch dreht ſie leider ſich ums Wörtchen „wenn“, Am gelben Gurt den ſchwarzeen Opernkucker Stelzt durchs Muſeum nun der Ingliſhman. Die Provinzialen aber ſchneiden Fratzen Dank ihrer anerzognen Prüderie, Und unbemerkt nur ſchleichen ſie wie Katzen Um unſre liebe Frau von Medici. Doch drauß vorm Stadtthor rauſcht es in den Bäumen, Dort tummelt ſich die faſhionable Welt, Und junge Dichter wandeln dort und träumen Von ewgem Ruhm, Unſterblichkeit — und Geld. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0159" n="141"/> <fw place="top" type="header">Arno Holz.</fw><lb/> <lg n="11"> <l>Nun geht die Welt kopfüber und kopfunter,</l><lb/> <l>Auf Sommerwohnung zieht ſchon der Rentier,</l><lb/> <l>Die Anſchlagſäulen werden immer bunter</l><lb/> <l>Und nächtlich wimmert oft das Portemonnaie.</l><lb/> <l>Der Schornſteinfeger klettert auf die Leiter</l><lb/> <l>Und grinſt uns an als Vogelperſpecteur,</l><lb/> <l>Vor Klingeln kommt die Pferdebahn nicht weiter</l><lb/> <l>Und Alles brüllt: „He, ſchneller, Conducteur!“</l> </lg><lb/> <lg n="12"> <l>Das Militair wirft ſich in Drillichhoſen</l><lb/> <l>Und übt ſich ſchwitzend im Paradeſchritt,</l><lb/> <l>Als ging’s kopfüber gegen die Franzoſen,</l><lb/> <l>Und krampfhaft ſchleppt es die Torniſter mit.</l><lb/> <l>Und blitzt der Exercierplatz dann exotiſch</l><lb/> <l>Wie ein gemaltes Farbenmoſaik,</l><lb/> <l>Dann wird die Schuſterjugend patriotiſch</l><lb/> <l>Und lautauf ſpielt die Regimentsmuſik.</l> </lg><lb/> <lg n="13"> <l>Schon dampft der Kaffee hie und da im Garten,</l><lb/> <l>Der Schooßhund bellt, es kreiſcht der Papagei,</l><lb/> <l>Papa ſtudirt die kolorirten Karten</l><lb/> <l>Von Zoppot, Heringsdorf und Norderney.</l><lb/> <l>In den geſchloſſenen Theatern trauern</l><lb/> <l>Die weichen Polſterſitze des Parquets</l><lb/> <l>Und rothe Zettel predgen an den Mauern</l><lb/> <l>Die goldne Aera der Retourbilletts.</l> </lg><lb/> <lg n="14"> <l>An eine Spritztour denkt manch armer Schlucker,</l><lb/> <l>Doch dreht ſie leider ſich ums Wörtchen „wenn“,</l><lb/> <l>Am gelben Gurt den ſchwarzeen Opernkucker</l><lb/> <l>Stelzt durchs Muſeum nun der Ingliſhman.</l><lb/> <l>Die Provinzialen aber ſchneiden Fratzen</l><lb/> <l>Dank ihrer anerzognen Prüderie,</l><lb/> <l>Und unbemerkt nur ſchleichen ſie wie Katzen</l><lb/> <l>Um unſre liebe Frau von Medici.</l> </lg><lb/> <lg n="15"> <l>Doch drauß vorm Stadtthor rauſcht es in den Bäumen,</l><lb/> <l>Dort tummelt ſich die faſhionable Welt,</l><lb/> <l>Und junge Dichter wandeln dort und träumen</l><lb/> <l>Von ewgem Ruhm, Unſterblichkeit — und Geld.</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [141/0159]
Arno Holz.
Nun geht die Welt kopfüber und kopfunter,
Auf Sommerwohnung zieht ſchon der Rentier,
Die Anſchlagſäulen werden immer bunter
Und nächtlich wimmert oft das Portemonnaie.
Der Schornſteinfeger klettert auf die Leiter
Und grinſt uns an als Vogelperſpecteur,
Vor Klingeln kommt die Pferdebahn nicht weiter
Und Alles brüllt: „He, ſchneller, Conducteur!“
Das Militair wirft ſich in Drillichhoſen
Und übt ſich ſchwitzend im Paradeſchritt,
Als ging’s kopfüber gegen die Franzoſen,
Und krampfhaft ſchleppt es die Torniſter mit.
Und blitzt der Exercierplatz dann exotiſch
Wie ein gemaltes Farbenmoſaik,
Dann wird die Schuſterjugend patriotiſch
Und lautauf ſpielt die Regimentsmuſik.
Schon dampft der Kaffee hie und da im Garten,
Der Schooßhund bellt, es kreiſcht der Papagei,
Papa ſtudirt die kolorirten Karten
Von Zoppot, Heringsdorf und Norderney.
In den geſchloſſenen Theatern trauern
Die weichen Polſterſitze des Parquets
Und rothe Zettel predgen an den Mauern
Die goldne Aera der Retourbilletts.
An eine Spritztour denkt manch armer Schlucker,
Doch dreht ſie leider ſich ums Wörtchen „wenn“,
Am gelben Gurt den ſchwarzeen Opernkucker
Stelzt durchs Muſeum nun der Ingliſhman.
Die Provinzialen aber ſchneiden Fratzen
Dank ihrer anerzognen Prüderie,
Und unbemerkt nur ſchleichen ſie wie Katzen
Um unſre liebe Frau von Medici.
Doch drauß vorm Stadtthor rauſcht es in den Bäumen,
Dort tummelt ſich die faſhionable Welt,
Und junge Dichter wandeln dort und träumen
Von ewgem Ruhm, Unſterblichkeit — und Geld.
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