Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Friedrich Adler. Und was ich jung mit kecken Sinnen, Mit meinem Herzen, stolz und heiß, Im Fluge dachte zu gewinnen, Ich fand's nicht und mein Haar ist weiß, Nicht lang' mehr wird der Faden währen, Den hastig mir die Moira webt, -- Nun lausch' ich ängstlich nach den Sphären, Doch ach, kein Ton, der niederschwebt. Und doch, es muß! Ich darf nicht irren! Dies Treiben, dieses Lebens Schwall, Der wilde Streit, die bösen Wirren, Des Scheines Truggespenster all', Dies tolle Lachen, bitt're Weinen, Dies Glück, das falsch die Loose theilt: Es muß zu einem Klang sich einen Dort oben, wo mein Sehnen weilt. Zu einem Klange, voll und prächtig, Der hell den Himmelsraum durchdringt, Und alles Ungefüge mächtig In seinen hohen Zauber zwingt, Zu einem Klang, der Alles kündet, Was hier der müde Geist verlor, D'rin Rauh und Lieblich sich verbündet, Zu füllen das entzückte Ohr. Dort oben! Seit mir die Gedanken Zum ersten Mal im Hirn gereift, Ließ ich hinan die Hoffnung ranken Zum Sternenchor, der oben schweift; Von oben sollt' es niedertönen, Mein unbefriedigt Herz durchglüh'n, Und mir im Strahl des ewig Schönen Der Erde Leben neu erblüh'n. Was ich geliebt, ich hab's vergessen, Was ich begehrt, ich ließ es lang', Nur Sehnsucht füllt mich unermessen Nach diesem einen hohen Klang, 6*
Friedrich Adler. Und was ich jung mit kecken Sinnen, Mit meinem Herzen, ſtolz und heiß, Im Fluge dachte zu gewinnen, Ich fand’s nicht und mein Haar iſt weiß, Nicht lang’ mehr wird der Faden währen, Den haſtig mir die Moira webt, — Nun lauſch’ ich ängſtlich nach den Sphären, Doch ach, kein Ton, der niederſchwebt. Und doch, es muß! Ich darf nicht irren! Dies Treiben, dieſes Lebens Schwall, Der wilde Streit, die böſen Wirren, Des Scheines Truggeſpenſter all’, Dies tolle Lachen, bitt’re Weinen, Dies Glück, das falſch die Looſe theilt: Es muß zu einem Klang ſich einen Dort oben, wo mein Sehnen weilt. Zu einem Klange, voll und prächtig, Der hell den Himmelsraum durchdringt, Und alles Ungefüge mächtig In ſeinen hohen Zauber zwingt, Zu einem Klang, der Alles kündet, Was hier der müde Geiſt verlor, D’rin Rauh und Lieblich ſich verbündet, Zu füllen das entzückte Ohr. Dort oben! Seit mir die Gedanken Zum erſten Mal im Hirn gereift, Ließ ich hinan die Hoffnung ranken Zum Sternenchor, der oben ſchweift; Von oben ſollt’ es niedertönen, Mein unbefriedigt Herz durchglüh’n, Und mir im Strahl des ewig Schönen Der Erde Leben neu erblüh’n. Was ich geliebt, ich hab’s vergeſſen, Was ich begehrt, ich ließ es lang’, Nur Sehnſucht füllt mich unermeſſen Nach dieſem einen hohen Klang, 6*
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Friedrich Adler.
Und was ich jung mit kecken Sinnen,
Mit meinem Herzen, ſtolz und heiß,
Im Fluge dachte zu gewinnen,
Ich fand’s nicht und mein Haar iſt weiß,
Nicht lang’ mehr wird der Faden währen,
Den haſtig mir die Moira webt, —
Nun lauſch’ ich ängſtlich nach den Sphären,
Doch ach, kein Ton, der niederſchwebt.
Und doch, es muß! Ich darf nicht irren!
Dies Treiben, dieſes Lebens Schwall,
Der wilde Streit, die böſen Wirren,
Des Scheines Truggeſpenſter all’,
Dies tolle Lachen, bitt’re Weinen,
Dies Glück, das falſch die Looſe theilt:
Es muß zu einem Klang ſich einen
Dort oben, wo mein Sehnen weilt.
Zu einem Klange, voll und prächtig,
Der hell den Himmelsraum durchdringt,
Und alles Ungefüge mächtig
In ſeinen hohen Zauber zwingt,
Zu einem Klang, der Alles kündet,
Was hier der müde Geiſt verlor,
D’rin Rauh und Lieblich ſich verbündet,
Zu füllen das entzückte Ohr.
Dort oben! Seit mir die Gedanken
Zum erſten Mal im Hirn gereift,
Ließ ich hinan die Hoffnung ranken
Zum Sternenchor, der oben ſchweift;
Von oben ſollt’ es niedertönen,
Mein unbefriedigt Herz durchglüh’n,
Und mir im Strahl des ewig Schönen
Der Erde Leben neu erblüh’n.
Was ich geliebt, ich hab’s vergeſſen,
Was ich begehrt, ich ließ es lang’,
Nur Sehnſucht füllt mich unermeſſen
Nach dieſem einen hohen Klang,
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