damit in die heiterst melancholische Stimmung versetzen. Doch hat's seine Seiten, z. B. durch wessen Leben sich der Schmerz eines unersetzlichen und unverschmerzlichen Verlustes zieht, oder wen der ätzende und stachelnde sauerteigige Gift- tropfen "Ideal" durchdrungen, dem ist zwar ein hebendes romantisches Prinzip eingegeben, doch hat sich derselbe sehr zu hüten, nicht zu viel Bier zu trinken.
So viel vom Trinken des Biers über Tisch!
In Rußland und hie und da in Norddeutschland trinkt man Schnaps über Tisch. Man nennt es Aquavit, Liqueur, Rum, Arak, Tafia, Extrait d'absinthe etc. etc. Der Name thut nichts zur Sache. Die Ur- und Grundbedeutung ist eben Schnaps oder Branntwein, wie der Deutsche, der leider immer weniger Deutsch zu reden wagt, hier Deutsch sagt. Dieser ge- schmackvernichtende Schnapstrinker verdient in Vorlesungen über Eßkunst gar nicht besprochen zu werden.
Bischof, Cardinal, Meth, Punsch, Glühwein, Grog und dergleichen haben, bei viel Manierirtem, zu Zeiten doch einiges Verdienst. Ueber Tisch aber sind sie gar nichts. Es wird auch niemand einfallen, sie, so wenig wie Limonade, über Tisch zu trinken. Doch hab' ich es, -- zum Glück nur einmal -- er- leben müssen, ein zweibeiniges Wesen, welches sich für einen Menschen ausgab, Zuckerwasser über Tisch trinken zu sehen. Ich überlasse es meinen sehr verehrten Herrn Zuhörern, zu er- rathen, wer ohngefähr es gewesen sein könnte.
Hab' ich nun davon gesprochen, was man über Tisch nicht trinken soll, so ist es billig, positiv von dem zu handeln, was man trinken soll, nämlich vom Wein. Es ist aber schwer, ruhig und ohne Begeisterung davon zu reden; unmöglich Besseres hierüber zu sagen, als Shakespeare's Falstaff und Tieck's Eulenböck. Leicht und gleich gesagt ist aber: man soll Wein trinken. Welchen denn?
damit in die heiterſt melancholiſche Stimmung verſetzen. Doch hat’s ſeine Seiten, z. B. durch weſſen Leben ſich der Schmerz eines unerſetzlichen und unverſchmerzlichen Verluſtes zieht, oder wen der aͤtzende und ſtachelnde ſauerteigige Gift- tropfen „Ideal“ durchdrungen, dem iſt zwar ein hebendes romantiſches Prinzip eingegeben, doch hat ſich derſelbe ſehr zu huͤten, nicht zu viel Bier zu trinken.
So viel vom Trinken des Biers uͤber Tiſch!
In Rußland und hie und da in Norddeutſchland trinkt man Schnaps uͤber Tiſch. Man nennt es Aquavit, Liqueur, Rum, Arak, Tafia, Extrait d’absinthe ꝛc. ꝛc. Der Name thut nichts zur Sache. Die Ur- und Grundbedeutung iſt eben Schnaps oder Branntwein, wie der Deutſche, der leider immer weniger Deutſch zu reden wagt, hier Deutſch ſagt. Dieſer ge- ſchmackvernichtende Schnapstrinker verdient in Vorleſungen uͤber Eßkunſt gar nicht beſprochen zu werden.
Biſchof, Cardinal, Meth, Punſch, Gluͤhwein, Grog und dergleichen haben, bei viel Manierirtem, zu Zeiten doch einiges Verdienſt. Ueber Tiſch aber ſind ſie gar nichts. Es wird auch niemand einfallen, ſie, ſo wenig wie Limonade, uͤber Tiſch zu trinken. Doch hab’ ich es, — zum Gluͤck nur einmal — er- leben muͤſſen, ein zweibeiniges Weſen, welches ſich fuͤr einen Menſchen ausgab, Zuckerwaſſer uͤber Tiſch trinken zu ſehen. Ich uͤberlaſſe es meinen ſehr verehrten Herrn Zuhoͤrern, zu er- rathen, wer ohngefaͤhr es geweſen ſein koͤnnte.
Hab’ ich nun davon geſprochen, was man uͤber Tiſch nicht trinken ſoll, ſo iſt es billig, poſitiv von dem zu handeln, was man trinken ſoll, naͤmlich vom Wein. Es iſt aber ſchwer, ruhig und ohne Begeiſterung davon zu reden; unmoͤglich Beſſeres hieruͤber zu ſagen, als Shakeſpeare’s Falſtaff und Tieck’s Eulenboͤck. Leicht und gleich geſagt iſt aber: man ſoll Wein trinken. Welchen denn?
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zieht, oder wen der aͤtzende und ſtachelnde ſauerteigige Gift-
tropfen „Ideal“ durchdrungen, dem iſt zwar ein hebendes
romantiſches Prinzip eingegeben, doch hat ſich derſelbe ſehr zu
huͤten, nicht zu viel Bier zu trinken.
So viel vom Trinken des Biers uͤber Tiſch!
In Rußland und hie und da in Norddeutſchland trinkt
man Schnaps uͤber Tiſch. Man nennt es Aquavit, Liqueur,
Rum, Arak, Tafia, Extrait d’absinthe ꝛc. ꝛc. Der Name
thut nichts zur Sache. Die Ur- und Grundbedeutung iſt eben
Schnaps oder Branntwein, wie der Deutſche, der leider immer
weniger Deutſch zu reden wagt, hier Deutſch ſagt. Dieſer ge-
ſchmackvernichtende Schnapstrinker verdient in Vorleſungen uͤber
Eßkunſt gar nicht beſprochen zu werden.
Biſchof, Cardinal, Meth, Punſch, Gluͤhwein, Grog und
dergleichen haben, bei viel Manierirtem, zu Zeiten doch einiges
Verdienſt. Ueber Tiſch aber ſind ſie gar nichts. Es wird auch
niemand einfallen, ſie, ſo wenig wie Limonade, uͤber Tiſch zu
trinken. Doch hab’ ich es, — zum Gluͤck nur einmal — er-
leben muͤſſen, ein zweibeiniges Weſen, welches ſich fuͤr einen
Menſchen ausgab, Zuckerwaſſer uͤber Tiſch trinken zu ſehen.
Ich uͤberlaſſe es meinen ſehr verehrten Herrn Zuhoͤrern, zu er-
rathen, wer ohngefaͤhr es geweſen ſein koͤnnte.
Hab’ ich nun davon geſprochen, was man uͤber Tiſch
nicht trinken ſoll, ſo iſt es billig, poſitiv von dem zu handeln,
was man trinken ſoll, naͤmlich vom Wein. Es iſt aber ſchwer,
ruhig und ohne Begeiſterung davon zu reden; unmoͤglich
Beſſeres hieruͤber zu ſagen, als Shakeſpeare’s Falſtaff und
Tieck’s Eulenboͤck. Leicht und gleich geſagt iſt aber: man
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/265>, abgerufen am 16.02.2025.
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