zu steigern, oder um über sehr heiß aufgetragene Speisen so- gleich herfallen zu können, bevor noch andere ungeübte, minder feuerfeste Gäste sich daran wagten, oder um den Magen zu exoneriren, so wird doch dergleichen Manier, Erkünstelung und Uebertreibung ein naturtreuer gesunder Künstler durchaus ver- schmähen.
Das Gemeinste nach dem Wasser ist Bier. Man nannte es (wie man wahrscheinlich glaubte: poetisch) flüssiges Brod. In vielen Städten, Städtchen, Marktflecken und Dörfern Deutschlands wird es auch über Tisch getrunken. Die Grön- länder trinken bekanntlich Fischthran. Es sind das Angelegen- heiten des individuellen Geschmacks. Wie aber ein Mensch, der irgend eine Zunge hat, über Tisch Bier trinken kann, ist ein Problem, über welches ich oft ernstlich und reiflich nachgedacht, dessen Auflösung mir aber bis auf diesen Augenblick immer noch nicht gelingen wollte. Vielleicht bin ich heute, -- durch die Anwesenheit so vieler sehr verehrter Zuhörer, die nicht da sind, begeistert -- so glücklich, dem Unbegreiflichen näher zu treten.
Ich habe Thatsachen erlebt, bei deren Erinnerung mir die Haut schaudert. Ich habe gesehen, wie man während des Suppenessens Bier getrunken, wie man gesottenes Rindfleisch aß und Bier dazu trank, wie man Gansbraten aß und dazu Bier trank, wie man Gurkensalat aß, und auch Bier trank, wie man Pasteten und Torten aß, und auch Bier trank, und wie man, freilich consequent, bei'm Dessert zu Aepfeln und Confituren eben auch Bier trank. -- Dieses Biertrinken über Tisch scheint mir nahe am Gipfel des Ungeschmacks und bar- barischer Rohheit zu liegen. Ich erkläre mir die wirkliche Mög- lichkeit dieser Thatsachen, um meinen Glauben an die Menschheit nicht wankend werden zu lassen, denselben vielmehr immer mehr zu stärken und zu befestigen, also: Es giebt Länder und Geld- beutel, welche für den Wein keine oder doch nur sehr wenige Anlagen und Talente haben. Nun kommt es vor, daß, durch
zu ſteigern, oder um uͤber ſehr heiß aufgetragene Speiſen ſo- gleich herfallen zu koͤnnen, bevor noch andere ungeuͤbte, minder feuerfeſte Gaͤſte ſich daran wagten, oder um den Magen zu exoneriren, ſo wird doch dergleichen Manier, Erkuͤnſtelung und Uebertreibung ein naturtreuer geſunder Kuͤnſtler durchaus ver- ſchmaͤhen.
Das Gemeinſte nach dem Waſſer iſt Bier. Man nannte es (wie man wahrſcheinlich glaubte: poetiſch) fluͤſſiges Brod. In vielen Staͤdten, Staͤdtchen, Marktflecken und Doͤrfern Deutſchlands wird es auch uͤber Tiſch getrunken. Die Groͤn- laͤnder trinken bekanntlich Fiſchthran. Es ſind das Angelegen- heiten des individuellen Geſchmacks. Wie aber ein Menſch, der irgend eine Zunge hat, uͤber Tiſch Bier trinken kann, iſt ein Problem, uͤber welches ich oft ernſtlich und reiflich nachgedacht, deſſen Aufloͤſung mir aber bis auf dieſen Augenblick immer noch nicht gelingen wollte. Vielleicht bin ich heute, — durch die Anweſenheit ſo vieler ſehr verehrter Zuhoͤrer, die nicht da ſind, begeiſtert — ſo gluͤcklich, dem Unbegreiflichen naͤher zu treten.
Ich habe Thatſachen erlebt, bei deren Erinnerung mir die Haut ſchaudert. Ich habe geſehen, wie man waͤhrend des Suppeneſſens Bier getrunken, wie man geſottenes Rindfleiſch aß und Bier dazu trank, wie man Gansbraten aß und dazu Bier trank, wie man Gurkenſalat aß, und auch Bier trank, wie man Paſteten und Torten aß, und auch Bier trank, und wie man, freilich conſequent, bei’m Deſſert zu Aepfeln und Confituren eben auch Bier trank. — Dieſes Biertrinken uͤber Tiſch ſcheint mir nahe am Gipfel des Ungeſchmacks und bar- bariſcher Rohheit zu liegen. Ich erklaͤre mir die wirkliche Moͤg- lichkeit dieſer Thatſachen, um meinen Glauben an die Menſchheit nicht wankend werden zu laſſen, denſelben vielmehr immer mehr zu ſtaͤrken und zu befeſtigen, alſo: Es giebt Laͤnder und Geld- beutel, welche fuͤr den Wein keine oder doch nur ſehr wenige Anlagen und Talente haben. Nun kommt es vor, daß, durch
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zu ſteigern, oder um uͤber ſehr heiß aufgetragene Speiſen ſo-
gleich herfallen zu koͤnnen, bevor noch andere ungeuͤbte, minder
feuerfeſte Gaͤſte ſich daran wagten, oder um den Magen zu
exoneriren, ſo wird doch dergleichen Manier, Erkuͤnſtelung und
Uebertreibung ein naturtreuer geſunder Kuͤnſtler durchaus ver-
ſchmaͤhen.
Das Gemeinſte nach dem Waſſer iſt Bier. Man nannte
es (wie man wahrſcheinlich glaubte: poetiſch) fluͤſſiges Brod.
In vielen Staͤdten, Staͤdtchen, Marktflecken und Doͤrfern
Deutſchlands wird es auch uͤber Tiſch getrunken. Die Groͤn-
laͤnder trinken bekanntlich Fiſchthran. Es ſind das Angelegen-
heiten des individuellen Geſchmacks. Wie aber ein Menſch, der
irgend eine Zunge hat, uͤber Tiſch Bier trinken kann, iſt ein
Problem, uͤber welches ich oft ernſtlich und reiflich nachgedacht,
deſſen Aufloͤſung mir aber bis auf dieſen Augenblick immer
noch nicht gelingen wollte. Vielleicht bin ich heute, — durch die
Anweſenheit ſo vieler ſehr verehrter Zuhoͤrer, die nicht da ſind,
begeiſtert — ſo gluͤcklich, dem Unbegreiflichen naͤher zu treten.
Ich habe Thatſachen erlebt, bei deren Erinnerung mir die
Haut ſchaudert. Ich habe geſehen, wie man waͤhrend des
Suppeneſſens Bier getrunken, wie man geſottenes Rindfleiſch
aß und Bier dazu trank, wie man Gansbraten aß und dazu
Bier trank, wie man Gurkenſalat aß, und auch Bier trank,
wie man Paſteten und Torten aß, und auch Bier trank, und
wie man, freilich conſequent, bei’m Deſſert zu Aepfeln und
Confituren eben auch Bier trank. — Dieſes Biertrinken uͤber
Tiſch ſcheint mir nahe am Gipfel des Ungeſchmacks und bar-
bariſcher Rohheit zu liegen. Ich erklaͤre mir die wirkliche Moͤg-
lichkeit dieſer Thatſachen, um meinen Glauben an die Menſchheit
nicht wankend werden zu laſſen, denſelben vielmehr immer mehr
zu ſtaͤrken und zu befeſtigen, alſo: Es giebt Laͤnder und Geld-
beutel, welche fuͤr den Wein keine oder doch nur ſehr wenige
Anlagen und Talente haben. Nun kommt es vor, daß, durch
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/263>, abgerufen am 23.07.2024.
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