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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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zurückgebracht werden darf, -- auch nichts ohne Noth in den
Mund zu nehmen sei, was man wieder herausthun muß.

Für den Fall, daß etwas aufgetragen wird, welches man
noch nicht gegessen, und womit man nicht zu verfahren weiß,
rathen alle Schriftsteller einstimmig, man solle warten und zu-
sehen; wie es Andere machen. So könnte es freilich kommen,
daß zwei und mehr beisammen säßen und jeder auf den andern
wartete, und wer kennt nicht ähnliche Ereignisse im Leben und
in der Weltgeschichte, bei denen dieß wirklich der Fall war, und
wobei bald die am ersten zugegriffen, bald die am längsten ge-
wartet hatten, am meisten zu kurz kamen? -- Oder es riskirt
einer ohne Regel zu verfahren, und ein anderer macht's nun
nach, indem er glaubt, jener verstünd's. Der Erfolg hängt
vom Zufall ab. Es ist schwer, hier eine allgemein giltige
Vorschrift aufzustellen, und auch Sallust's goldne Regel,
vorher reiflich nachzudenken und nachher zu handeln, so wie der
Pandektengrundsatz: In obscuris inspici solet, quod verisi-
milius est, aut quod plerumque fieri solet,
lassen oft gerade
da im Stich, wo sie einem beifallen. Was nützen einem
schüchternen Jüngling, der noch keine Artischocke, keinen Krebs
gegessen hat, im Nothfalle allgemeine Regeln? Doch fährt
man mit dem Rath, sich der Majorität anzuschließen, immer
allerliebst.

Es wird aber aus Allem klar, wie nöthig es sei, sich nach
guten Mustern zu bilden. So wie man einem Menschen, der auf
der Manege reiten gelernt hat, leicht von dem noch so guten
naturalistischen Reiter zu unterscheiden vermag, also erkennt ein
geübtes Auge auch den Eßnaturalisten auf den ersten Blick.
Eine solche liebe Unschuld wird bei allem Appetit doch eine ge-
wisse Befangenheit nicht von sich wegbringen, sie wird sich
möglichst an die Suppe halten und nachher von dem eigent-
lichen Essen um so weniger profitiren können. Wird ihr von
einem gebratnen Hähnchen Kopf und Flügelstück zu Theil, so

zuruͤckgebracht werden darf, — auch nichts ohne Noth in den
Mund zu nehmen ſei, was man wieder herausthun muß.

Fuͤr den Fall, daß etwas aufgetragen wird, welches man
noch nicht gegeſſen, und womit man nicht zu verfahren weiß,
rathen alle Schriftſteller einſtimmig, man ſolle warten und zu-
ſehen; wie es Andere machen. So koͤnnte es freilich kommen,
daß zwei und mehr beiſammen ſaͤßen und jeder auf den andern
wartete, und wer kennt nicht aͤhnliche Ereigniſſe im Leben und
in der Weltgeſchichte, bei denen dieß wirklich der Fall war, und
wobei bald die am erſten zugegriffen, bald die am laͤngſten ge-
wartet hatten, am meiſten zu kurz kamen? — Oder es riskirt
einer ohne Regel zu verfahren, und ein anderer macht’s nun
nach, indem er glaubt, jener verſtuͤnd’s. Der Erfolg haͤngt
vom Zufall ab. Es iſt ſchwer, hier eine allgemein giltige
Vorſchrift aufzuſtellen, und auch Salluſt’s goldne Regel,
vorher reiflich nachzudenken und nachher zu handeln, ſo wie der
Pandektengrundſatz: In obscuris inspici solet, quod verisi-
milius est, aut quod plerumque fieri solet,
laſſen oft gerade
da im Stich, wo ſie einem beifallen. Was nuͤtzen einem
ſchuͤchternen Juͤngling, der noch keine Artiſchocke, keinen Krebs
gegeſſen hat, im Nothfalle allgemeine Regeln? Doch faͤhrt
man mit dem Rath, ſich der Majoritaͤt anzuſchließen, immer
allerliebſt.

Es wird aber aus Allem klar, wie noͤthig es ſei, ſich nach
guten Muſtern zu bilden. So wie man einem Menſchen, der auf
der Manège reiten gelernt hat, leicht von dem noch ſo guten
naturaliſtiſchen Reiter zu unterſcheiden vermag, alſo erkennt ein
geuͤbtes Auge auch den Eßnaturaliſten auf den erſten Blick.
Eine ſolche liebe Unſchuld wird bei allem Appetit doch eine ge-
wiſſe Befangenheit nicht von ſich wegbringen, ſie wird ſich
moͤglichſt an die Suppe halten und nachher von dem eigent-
lichen Eſſen um ſo weniger profitiren koͤnnen. Wird ihr von
einem gebratnen Haͤhnchen Kopf und Fluͤgelſtuͤck zu Theil, ſo

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[182/0196] zuruͤckgebracht werden darf, — auch nichts ohne Noth in den Mund zu nehmen ſei, was man wieder herausthun muß. Fuͤr den Fall, daß etwas aufgetragen wird, welches man noch nicht gegeſſen, und womit man nicht zu verfahren weiß, rathen alle Schriftſteller einſtimmig, man ſolle warten und zu- ſehen; wie es Andere machen. So koͤnnte es freilich kommen, daß zwei und mehr beiſammen ſaͤßen und jeder auf den andern wartete, und wer kennt nicht aͤhnliche Ereigniſſe im Leben und in der Weltgeſchichte, bei denen dieß wirklich der Fall war, und wobei bald die am erſten zugegriffen, bald die am laͤngſten ge- wartet hatten, am meiſten zu kurz kamen? — Oder es riskirt einer ohne Regel zu verfahren, und ein anderer macht’s nun nach, indem er glaubt, jener verſtuͤnd’s. Der Erfolg haͤngt vom Zufall ab. Es iſt ſchwer, hier eine allgemein giltige Vorſchrift aufzuſtellen, und auch Salluſt’s goldne Regel, vorher reiflich nachzudenken und nachher zu handeln, ſo wie der Pandektengrundſatz: In obscuris inspici solet, quod verisi- milius est, aut quod plerumque fieri solet, laſſen oft gerade da im Stich, wo ſie einem beifallen. Was nuͤtzen einem ſchuͤchternen Juͤngling, der noch keine Artiſchocke, keinen Krebs gegeſſen hat, im Nothfalle allgemeine Regeln? Doch faͤhrt man mit dem Rath, ſich der Majoritaͤt anzuſchließen, immer allerliebſt. Es wird aber aus Allem klar, wie noͤthig es ſei, ſich nach guten Muſtern zu bilden. So wie man einem Menſchen, der auf der Manège reiten gelernt hat, leicht von dem noch ſo guten naturaliſtiſchen Reiter zu unterſcheiden vermag, alſo erkennt ein geuͤbtes Auge auch den Eßnaturaliſten auf den erſten Blick. Eine ſolche liebe Unſchuld wird bei allem Appetit doch eine ge- wiſſe Befangenheit nicht von ſich wegbringen, ſie wird ſich moͤglichſt an die Suppe halten und nachher von dem eigent- lichen Eſſen um ſo weniger profitiren koͤnnen. Wird ihr von einem gebratnen Haͤhnchen Kopf und Fluͤgelſtuͤck zu Theil, ſo

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/196>, abgerufen am 24.11.2024.