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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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mußten, größtentheils schon erledigt. -- Auch die Eßkunst
hat ihre Märtyrer. -- Wollte man darüber klagen, daß in je-
nen Urzeiten noch keine medizinische Fakultät existirte, so könnte
vielleicht zur Beruhigung dienen, daß später von derselben auf
demselben Wege das Versäumte mit Wucher eingebracht wurde.

Beliebter Kürze willen der Triplizität von Mineral,
Pflanze und Thier folgend, sehen wir auf jener ersten Stufe
Wesen, welche, mit Ausnahme des Salzes und Wassers, weder
eßbar sind noch essen; auf der zweiten eßbare, aber nicht essende
Wesen; auf der dritten Stufe endlich Wesen, welche essen und
gegessen werden.

Der civilisirte Mensch erhebt sich zur höchsten Stufe, indem
er zwar, in Folge seiner höheren Organisation, nothwendig auch
der Eigenschaft nicht ermangeln darf, eßbar zu sein, dieß jedoch
ist und ißt, ohne selber gegessen zu werden, es müßte denn von
Uncivilisirten geschehen.

Man tadle die nach dieser Eintheilung sich ergebenden ge-
ringen Ausnahmen nicht. Wohl uns und der Wissenschaft,
wenn nur irgend eine der vielen naturhistorischen Classificatio-
nen sich derselben Bestimmtheit, Einfachheit, Schärfe und stren-
gen Ordnung erfreute, wie die eben ausgesprochene!

So betrachtet denn der Eßkünstler Himmel, Erde und
Meer als Speisekammer, und die drei Reiche der Natur als
verschiedene Fächer derselben und, mit Ausnahme des wenigen,
bedeutungslosen Ungenießbaren, alle Wesen als eßbar oder doch
mitessend. Welch' eine lebendige liebliche Fülle der Betrachtung,
welcher Reichthum von Assonanzen und Associationen des Ge-
nusses aller Art, nur einigermaßen getrübt durch den Seitenblick
auf das sterile Mineralreich, welches, als solches und unmittel-
bar, verhältnißmäßig so wenig contribuirt. Und doch, wie
wichtig und unentbehrlich ist dieß Wenige: Wasser und Salz,
ohne die man nicht kochen kann.

Bedeutungsvolle Wahrheiten ergeben sich durch die sich nun

mußten, groͤßtentheils ſchon erledigt. — Auch die Eßkunſt
hat ihre Maͤrtyrer. — Wollte man daruͤber klagen, daß in je-
nen Urzeiten noch keine mediziniſche Fakultaͤt exiſtirte, ſo koͤnnte
vielleicht zur Beruhigung dienen, daß ſpaͤter von derſelben auf
demſelben Wege das Verſaͤumte mit Wucher eingebracht wurde.

Beliebter Kuͤrze willen der Triplizitaͤt von Mineral,
Pflanze und Thier folgend, ſehen wir auf jener erſten Stufe
Weſen, welche, mit Ausnahme des Salzes und Waſſers, weder
eßbar ſind noch eſſen; auf der zweiten eßbare, aber nicht eſſende
Weſen; auf der dritten Stufe endlich Weſen, welche eſſen und
gegeſſen werden.

Der civiliſirte Menſch erhebt ſich zur hoͤchſten Stufe, indem
er zwar, in Folge ſeiner hoͤheren Organiſation, nothwendig auch
der Eigenſchaft nicht ermangeln darf, eßbar zu ſein, dieß jedoch
iſt und ißt, ohne ſelber gegeſſen zu werden, es muͤßte denn von
Unciviliſirten geſchehen.

Man tadle die nach dieſer Eintheilung ſich ergebenden ge-
ringen Ausnahmen nicht. Wohl uns und der Wiſſenſchaft,
wenn nur irgend eine der vielen naturhiſtoriſchen Claſſificatio-
nen ſich derſelben Beſtimmtheit, Einfachheit, Schaͤrfe und ſtren-
gen Ordnung erfreute, wie die eben ausgeſprochene!

So betrachtet denn der Eßkuͤnſtler Himmel, Erde und
Meer als Speiſekammer, und die drei Reiche der Natur als
verſchiedene Faͤcher derſelben und, mit Ausnahme des wenigen,
bedeutungsloſen Ungenießbaren, alle Weſen als eßbar oder doch
miteſſend. Welch’ eine lebendige liebliche Fuͤlle der Betrachtung,
welcher Reichthum von Aſſonanzen und Aſſociationen des Ge-
nuſſes aller Art, nur einigermaßen getruͤbt durch den Seitenblick
auf das ſterile Mineralreich, welches, als ſolches und unmittel-
bar, verhaͤltnißmaͤßig ſo wenig contribuirt. Und doch, wie
wichtig und unentbehrlich iſt dieß Wenige: Waſſer und Salz,
ohne die man nicht kochen kann.

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[4/0018] mußten, groͤßtentheils ſchon erledigt. — Auch die Eßkunſt hat ihre Maͤrtyrer. — Wollte man daruͤber klagen, daß in je- nen Urzeiten noch keine mediziniſche Fakultaͤt exiſtirte, ſo koͤnnte vielleicht zur Beruhigung dienen, daß ſpaͤter von derſelben auf demſelben Wege das Verſaͤumte mit Wucher eingebracht wurde. Beliebter Kuͤrze willen der Triplizitaͤt von Mineral, Pflanze und Thier folgend, ſehen wir auf jener erſten Stufe Weſen, welche, mit Ausnahme des Salzes und Waſſers, weder eßbar ſind noch eſſen; auf der zweiten eßbare, aber nicht eſſende Weſen; auf der dritten Stufe endlich Weſen, welche eſſen und gegeſſen werden. Der civiliſirte Menſch erhebt ſich zur hoͤchſten Stufe, indem er zwar, in Folge ſeiner hoͤheren Organiſation, nothwendig auch der Eigenſchaft nicht ermangeln darf, eßbar zu ſein, dieß jedoch iſt und ißt, ohne ſelber gegeſſen zu werden, es muͤßte denn von Unciviliſirten geſchehen. Man tadle die nach dieſer Eintheilung ſich ergebenden ge- ringen Ausnahmen nicht. Wohl uns und der Wiſſenſchaft, wenn nur irgend eine der vielen naturhiſtoriſchen Claſſificatio- nen ſich derſelben Beſtimmtheit, Einfachheit, Schaͤrfe und ſtren- gen Ordnung erfreute, wie die eben ausgeſprochene! So betrachtet denn der Eßkuͤnſtler Himmel, Erde und Meer als Speiſekammer, und die drei Reiche der Natur als verſchiedene Faͤcher derſelben und, mit Ausnahme des wenigen, bedeutungsloſen Ungenießbaren, alle Weſen als eßbar oder doch miteſſend. Welch’ eine lebendige liebliche Fuͤlle der Betrachtung, welcher Reichthum von Aſſonanzen und Aſſociationen des Ge- nuſſes aller Art, nur einigermaßen getruͤbt durch den Seitenblick auf das ſterile Mineralreich, welches, als ſolches und unmittel- bar, verhaͤltnißmaͤßig ſo wenig contribuirt. Und doch, wie wichtig und unentbehrlich iſt dieß Wenige: Waſſer und Salz, ohne die man nicht kochen kann. Bedeutungsvolle Wahrheiten ergeben ſich durch die ſich nun

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/18>, abgerufen am 24.11.2024.