Mit Recht sind die Naturwissenschaften und Realia in un- seren gelehrten Schulplanen ganz unbeachtet geblieben, indem Natur und Gelehrsamkeit sich durchaus widersprechen. Um so ergänzender und nothwendiger dürfte die heutige Vorlesung den- kender Pädagogen sich anbieten.
Der kluge Sirach ist meines Wissens der erste Schrift- steller, welcher pädagogische Eßregeln gegeben. Spätere Aukto- ren haben dieselben nur erweitert. Wer z. B. Hager's Ju- gendspiegel (Hamburg 1643), des Magister Graf höflichen Schü- ler (Augsburg 1750), Zobel's Hand- und Reisebuch (Altdorf 1755) u. a. vergleicht, wird eine merkwürdige Uebereinstimmung auch der Form und Ausdrucksweise finden. Systematische Ord- nung fehlt aber durchaus. Ich werde bestrebt sein, etwas da- von hinein zu bringen.
Niemand wird von Jemand, der nicht essen kann, sagen, er wisse zu leben. Was aber in dieser Absicht schon in den frü- heren Vorlesungen Artistisches, Moralisches und Diätetisches bemerkt ist, soll hier nicht noch einmal bemerkt werden. Nun gilt das Besondere, ja Besonderste.
Als Vorbereitungsregel mag in Erinnerung gebracht sein, daß es Alt und Jung fein läßt, wenn man gekämmt und ge- waschen ist, und die Nägel hübsch abgeschnitten sind, ehe man zu Tische geht.
Zobel ermahnt: "Mache im Hinunterschlingen keinen lau- ten Ton. Wenn das Halstuch zu enge zugezogen wäre, welches dergleichen Geräusch verursacht, so kann man solches ein wenig öffnen." -- Räthlicher ist's jedenfalls, schon vorher das Hals- tuch nicht zu fest zu binden. Ueberhaupt sind die unpassenden, ungesunden und unbequemen, unschönen und höchst zweckwidri- gen engen Kleider gänzlich zu verwerfen. Der Eßkünstler trägt durchaus weite Gewänder, denn er hat Geschmack, und liebt eine schöne Drapperie.
Mit Recht ſind die Naturwiſſenſchaften und Realia in un- ſeren gelehrten Schulplanen ganz unbeachtet geblieben, indem Natur und Gelehrſamkeit ſich durchaus widerſprechen. Um ſo ergaͤnzender und nothwendiger duͤrfte die heutige Vorleſung den- kender Paͤdagogen ſich anbieten.
Der kluge Sirach iſt meines Wiſſens der erſte Schrift- ſteller, welcher paͤdagogiſche Eßregeln gegeben. Spaͤtere Aukto- ren haben dieſelben nur erweitert. Wer z. B. Hager’s Ju- gendſpiegel (Hamburg 1643), des Magiſter Graf hoͤflichen Schuͤ- ler (Augsburg 1750), Zobel’s Hand- und Reiſebuch (Altdorf 1755) u. a. vergleicht, wird eine merkwuͤrdige Uebereinſtimmung auch der Form und Ausdrucksweiſe finden. Syſtematiſche Ord- nung fehlt aber durchaus. Ich werde beſtrebt ſein, etwas da- von hinein zu bringen.
Niemand wird von Jemand, der nicht eſſen kann, ſagen, er wiſſe zu leben. Was aber in dieſer Abſicht ſchon in den fruͤ- heren Vorleſungen Artiſtiſches, Moraliſches und Diaͤtetiſches bemerkt iſt, ſoll hier nicht noch einmal bemerkt werden. Nun gilt das Beſondere, ja Beſonderſte.
Als Vorbereitungsregel mag in Erinnerung gebracht ſein, daß es Alt und Jung fein laͤßt, wenn man gekaͤmmt und ge- waſchen iſt, und die Naͤgel huͤbſch abgeſchnitten ſind, ehe man zu Tiſche geht.
Zobel ermahnt: „Mache im Hinunterſchlingen keinen lau- ten Ton. Wenn das Halstuch zu enge zugezogen waͤre, welches dergleichen Geraͤuſch verurſacht, ſo kann man ſolches ein wenig oͤffnen.“ — Raͤthlicher iſt’s jedenfalls, ſchon vorher das Hals- tuch nicht zu feſt zu binden. Ueberhaupt ſind die unpaſſenden, ungeſunden und unbequemen, unſchoͤnen und hoͤchſt zweckwidri- gen engen Kleider gaͤnzlich zu verwerfen. Der Eßkuͤnſtler traͤgt durchaus weite Gewaͤnder, denn er hat Geſchmack, und liebt eine ſchoͤne Drapperie.
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Mit Recht ſind die Naturwiſſenſchaften und Realia in un-
ſeren gelehrten Schulplanen ganz unbeachtet geblieben, indem
Natur und Gelehrſamkeit ſich durchaus widerſprechen. Um ſo
ergaͤnzender und nothwendiger duͤrfte die heutige Vorleſung den-
kender Paͤdagogen ſich anbieten.
Der kluge Sirach iſt meines Wiſſens der erſte Schrift-
ſteller, welcher paͤdagogiſche Eßregeln gegeben. Spaͤtere Aukto-
ren haben dieſelben nur erweitert. Wer z. B. Hager’s Ju-
gendſpiegel (Hamburg 1643), des Magiſter Graf hoͤflichen Schuͤ-
ler (Augsburg 1750), Zobel’s Hand- und Reiſebuch (Altdorf
1755) u. a. vergleicht, wird eine merkwuͤrdige Uebereinſtimmung
auch der Form und Ausdrucksweiſe finden. Syſtematiſche Ord-
nung fehlt aber durchaus. Ich werde beſtrebt ſein, etwas da-
von hinein zu bringen.
Niemand wird von Jemand, der nicht eſſen kann, ſagen,
er wiſſe zu leben. Was aber in dieſer Abſicht ſchon in den fruͤ-
heren Vorleſungen Artiſtiſches, Moraliſches und Diaͤtetiſches
bemerkt iſt, ſoll hier nicht noch einmal bemerkt werden. Nun
gilt das Beſondere, ja Beſonderſte.
Als Vorbereitungsregel mag in Erinnerung gebracht ſein,
daß es Alt und Jung fein laͤßt, wenn man gekaͤmmt und ge-
waſchen iſt, und die Naͤgel huͤbſch abgeſchnitten ſind, ehe man
zu Tiſche geht.
Zobel ermahnt: „Mache im Hinunterſchlingen keinen lau-
ten Ton. Wenn das Halstuch zu enge zugezogen waͤre, welches
dergleichen Geraͤuſch verurſacht, ſo kann man ſolches ein wenig
oͤffnen.“ — Raͤthlicher iſt’s jedenfalls, ſchon vorher das Hals-
tuch nicht zu feſt zu binden. Ueberhaupt ſind die unpaſſenden,
ungeſunden und unbequemen, unſchoͤnen und hoͤchſt zweckwidri-
gen engen Kleider gaͤnzlich zu verwerfen. Der Eßkuͤnſtler traͤgt
durchaus weite Gewaͤnder, denn er hat Geſchmack, und liebt
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/179>, abgerufen am 22.07.2024.
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