mit der Thür in's Haus fallen soll, und alles Andere giebt sich von selbst. Abgesehen davon, daß es keine besonderen Schwie- rigkeiten haben kann, auch ungewohnte Speisen zu genießen, wo man keine anderen hat, wird gerade der denkende Esser jede Gelegenheit, seine Kenntnisse zu erweitern, am freudigsten ergreifen. So mächtig auch die Gewalt und so gewaltig auch die Macht der Vorurtheile und der Gewohnheit die Welt tyran- nisirt, -- so hoch erhaben steht der Eßkünstler darüber, indem er lediglich und allein das Nichteßbare durchaus negirt und ablehnt. Uebrigens braucht der Eßkünstler nicht erst ermahnt zu werden, daß er sich daran gewöhnen soll, täglich gut zu essen. Muß er sich's aber, aus irgend welchen äußerlichen oder innerlichen Gründen abgewöhnen, so wird er, indem er aus Neigung nur ungerne und zögernd sich zurückzieht, zugleich das diätetische Gesetz: keine Gewohnheit plötzlich aufzugeben, von selbst erfüllen. Ist's aber nicht anders, und muß er endlich wirklich, -- so kann er ein Stoiker oder fromm werden, Be- trachtungen über das Essen schreiben u. a. Für solche Verhält- nisse eignen sich die frugalen griechischen philosophischen Gast- mähler ganz besonders.
Die Diätetiker reden immer vom Uebermaaß im Essen, oder höchstens von übler Beschaffenheit der Nahrungsmittel als überwiegenden Krankheitsursachen, auch wird manches dem Essen zugeschrieben, was auf Rechnung des Trinkens kommt, so z. B. das Podagra, wie Darwin gezeigt. Ja derselbe Darwin sagt sogar buchstäblich: "mit Fleisch und vegetabilischer Kost kann ein Vielfraß bis an die Gurgel voll- gepropft und fett gemacht werden, wie ein aufgestellter Ochse; er wird aber davon nicht krank, wenn er nicht gegohrene Ge- tränke hinzufügt." -- Es wäre Vermessenheit, einer solchen Auctorität zu widersprechen. Doch ist nicht zu verkennen, daß sich der Verfasser mit viel Emphase und etwas stark aus- drückt.
mit der Thuͤr in’s Haus fallen ſoll, und alles Andere giebt ſich von ſelbſt. Abgeſehen davon, daß es keine beſonderen Schwie- rigkeiten haben kann, auch ungewohnte Speiſen zu genießen, wo man keine anderen hat, wird gerade der denkende Eſſer jede Gelegenheit, ſeine Kenntniſſe zu erweitern, am freudigſten ergreifen. So maͤchtig auch die Gewalt und ſo gewaltig auch die Macht der Vorurtheile und der Gewohnheit die Welt tyran- niſirt, — ſo hoch erhaben ſteht der Eßkuͤnſtler daruͤber, indem er lediglich und allein das Nichteßbare durchaus negirt und ablehnt. Uebrigens braucht der Eßkuͤnſtler nicht erſt ermahnt zu werden, daß er ſich daran gewoͤhnen ſoll, taͤglich gut zu eſſen. Muß er ſich’s aber, aus irgend welchen aͤußerlichen oder innerlichen Gruͤnden abgewoͤhnen, ſo wird er, indem er aus Neigung nur ungerne und zoͤgernd ſich zuruͤckzieht, zugleich das diaͤtetiſche Geſetz: keine Gewohnheit ploͤtzlich aufzugeben, von ſelbſt erfuͤllen. Iſt’s aber nicht anders, und muß er endlich wirklich, — ſo kann er ein Stoiker oder fromm werden, Be- trachtungen uͤber das Eſſen ſchreiben u. a. Fuͤr ſolche Verhaͤlt- niſſe eignen ſich die frugalen griechiſchen philoſophiſchen Gaſt- maͤhler ganz beſonders.
Die Diaͤtetiker reden immer vom Uebermaaß im Eſſen, oder hoͤchſtens von uͤbler Beſchaffenheit der Nahrungsmittel als uͤberwiegenden Krankheitsurſachen, auch wird manches dem Eſſen zugeſchrieben, was auf Rechnung des Trinkens kommt, ſo z. B. das Podagra, wie Darwin gezeigt. Ja derſelbe Darwin ſagt ſogar buchſtaͤblich: „mit Fleiſch und vegetabiliſcher Koſt kann ein Vielfraß bis an die Gurgel voll- gepropft und fett gemacht werden, wie ein aufgeſtellter Ochſe; er wird aber davon nicht krank, wenn er nicht gegohrene Ge- traͤnke hinzufuͤgt.“ — Es waͤre Vermeſſenheit, einer ſolchen Auctoritaͤt zu widerſprechen. Doch iſt nicht zu verkennen, daß ſich der Verfaſſer mit viel Emphaſe und etwas ſtark aus- druͤckt.
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mit der Thuͤr in’s Haus fallen ſoll, und alles Andere giebt ſich
von ſelbſt. Abgeſehen davon, daß es keine beſonderen Schwie-
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wo man keine anderen hat, wird gerade der denkende Eſſer
jede Gelegenheit, ſeine Kenntniſſe zu erweitern, am freudigſten
ergreifen. So maͤchtig auch die Gewalt und ſo gewaltig auch
die Macht der Vorurtheile und der Gewohnheit die Welt tyran-
niſirt, — ſo hoch erhaben ſteht der Eßkuͤnſtler daruͤber, indem
er lediglich und allein das Nichteßbare durchaus negirt und
ablehnt. Uebrigens braucht der Eßkuͤnſtler nicht erſt ermahnt
zu werden, daß er ſich daran gewoͤhnen ſoll, taͤglich gut zu
eſſen. Muß er ſich’s aber, aus irgend welchen aͤußerlichen oder
innerlichen Gruͤnden abgewoͤhnen, ſo wird er, indem er aus
Neigung nur ungerne und zoͤgernd ſich zuruͤckzieht, zugleich das
diaͤtetiſche Geſetz: keine Gewohnheit ploͤtzlich aufzugeben, von
ſelbſt erfuͤllen. Iſt’s aber nicht anders, und muß er endlich
wirklich, — ſo kann er ein Stoiker oder fromm werden, Be-
trachtungen uͤber das Eſſen ſchreiben u. a. Fuͤr ſolche Verhaͤlt-
niſſe eignen ſich die frugalen griechiſchen philoſophiſchen Gaſt-
maͤhler ganz beſonders.
Die Diaͤtetiker reden immer vom Uebermaaß im Eſſen,
oder hoͤchſtens von uͤbler Beſchaffenheit der Nahrungsmittel
als uͤberwiegenden Krankheitsurſachen, auch wird manches
dem Eſſen zugeſchrieben, was auf Rechnung des Trinkens
kommt, ſo z. B. das Podagra, wie Darwin gezeigt. Ja
derſelbe Darwin ſagt ſogar buchſtaͤblich: „mit Fleiſch und
vegetabiliſcher Koſt kann ein Vielfraß bis an die Gurgel voll-
gepropft und fett gemacht werden, wie ein aufgeſtellter Ochſe;
er wird aber davon nicht krank, wenn er nicht gegohrene Ge-
traͤnke hinzufuͤgt.“ — Es waͤre Vermeſſenheit, einer ſolchen
Auctoritaͤt zu widerſprechen. Doch iſt nicht zu verkennen, daß
ſich der Verfaſſer mit viel Emphaſe und etwas ſtark aus-
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/144>, abgerufen am 16.02.2025.
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