ziemend. Wie schön führt dagegen Archestratus aus, daß man zwar manche Leckerbissen nur in gewissen Jahreszeiten ge- nießen, dafür aber das ganze Jahr hindurch mit wässerndem Mund davon sprechen könne. -- Wenn man aber über Anderes schon gesprochen hat, oder gar nicht reden kann, will, oder darf, -- ist's denn nicht hübscher, vom Essen zu sprechen, als ganz zu schweigen? und findet man nicht über dieses Objekt am ersten noch Anklang? Freilich ist's unpassend, ja grausam, mit Hungrigen vom Essen zu reden, wie z. B. Grumio mit dem hungerigen Käthchen in Shakespeare's gezähmter Keiferin. Goethe erzählt in seiner Campagne in Frankreich: "Bei einem plötzlichen Befehl zum Aufbruch und dadurch gestörten Mit- tagessen sprachen mehrere hungernde Genossen im Reiten vom Essen. Einer wünschte sich Bratwurst und Brod, ein Anderer sprang gleich mit seinen Wünschen zum Rehbraten und Sar- dellensalat. Da aber das Alles unentgeldlich geschah, fehlte es auch nicht an Pasteten und sonstigen Leckerbissen, nicht an den köstlichsten Weinen, und ein so vollkommnes Gastmahl war bei- sammen, daß endlich einer, dessen Appetit übermäßig rege ge- worden, die ganze Gesellschaft verwünschte, und die Pein einer aufgeregten Einbildungskraft im Gegensatze des größten Man- gels ganz unerträglich schalt. -- Ein andermal, unter ähn- lichen hungrigen Verhältnissen, hatten die Leute des Prinzen Louis Ferdinand einen schweren verschlossenen Küchenschrank erbeutet, versicherten, es klappere darin, und sie hofften einen guten Fang gethan zu haben. Man erbrach ihn begierig, fand aber nur ein stark beleibtes Kochbuch und nun, indessen der ge- spaltene Schrank im Feuer aufloderte, las man die köstlichsten Küchenrezepte vor, und so ward abermals Hunger und Be- gierde durch eine aufgeregte Einbildungskraft bis zur Verzweiflung gesteigert."
So paßt's freilich nicht, außerdem aber gehören Gespräche über das Essen im Allgemeinen und Besondern gewiß zu den
ziemend. Wie ſchoͤn fuͤhrt dagegen Archestratus aus, daß man zwar manche Leckerbiſſen nur in gewiſſen Jahreszeiten ge- nießen, dafuͤr aber das ganze Jahr hindurch mit waͤſſerndem Mund davon ſprechen koͤnne. — Wenn man aber uͤber Anderes ſchon geſprochen hat, oder gar nicht reden kann, will, oder darf, — iſt’s denn nicht huͤbſcher, vom Eſſen zu ſprechen, als ganz zu ſchweigen? und findet man nicht uͤber dieſes Objekt am erſten noch Anklang? Freilich iſt’s unpaſſend, ja grauſam, mit Hungrigen vom Eſſen zu reden, wie z. B. Grumio mit dem hungerigen Kaͤthchen in Shakeſpeare’s gezaͤhmter Keiferin. Goethe erzaͤhlt in ſeiner Campagne in Frankreich: „Bei einem ploͤtzlichen Befehl zum Aufbruch und dadurch geſtoͤrten Mit- tageſſen ſprachen mehrere hungernde Genoſſen im Reiten vom Eſſen. Einer wuͤnſchte ſich Bratwurſt und Brod, ein Anderer ſprang gleich mit ſeinen Wuͤnſchen zum Rehbraten und Sar- dellenſalat. Da aber das Alles unentgeldlich geſchah, fehlte es auch nicht an Paſteten und ſonſtigen Leckerbiſſen, nicht an den koͤſtlichſten Weinen, und ein ſo vollkommnes Gaſtmahl war bei- ſammen, daß endlich einer, deſſen Appetit uͤbermaͤßig rege ge- worden, die ganze Geſellſchaft verwuͤnſchte, und die Pein einer aufgeregten Einbildungskraft im Gegenſatze des groͤßten Man- gels ganz unertraͤglich ſchalt. — Ein andermal, unter aͤhn- lichen hungrigen Verhaͤltniſſen, hatten die Leute des Prinzen Louis Ferdinand einen ſchweren verſchloſſenen Kuͤchenſchrank erbeutet, verſicherten, es klappere darin, und ſie hofften einen guten Fang gethan zu haben. Man erbrach ihn begierig, fand aber nur ein ſtark beleibtes Kochbuch und nun, indeſſen der ge- ſpaltene Schrank im Feuer aufloderte, las man die koͤſtlichſten Kuͤchenrezepte vor, und ſo ward abermals Hunger und Be- gierde durch eine aufgeregte Einbildungskraft bis zur Verzweiflung geſteigert.“
So paßt’s freilich nicht, außerdem aber gehoͤren Geſpraͤche uͤber das Eſſen im Allgemeinen und Beſondern gewiß zu den
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ziemend. Wie ſchoͤn fuͤhrt dagegen Archestratus aus, daß
man zwar manche Leckerbiſſen nur in gewiſſen Jahreszeiten ge-
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Mund davon ſprechen koͤnne. — Wenn man aber uͤber Anderes
ſchon geſprochen hat, oder gar nicht reden kann, will, oder
darf, — iſt’s denn nicht huͤbſcher, vom Eſſen zu ſprechen, als
ganz zu ſchweigen? und findet man nicht uͤber dieſes Objekt am
erſten noch Anklang? Freilich iſt’s unpaſſend, ja grauſam,
mit Hungrigen vom Eſſen zu reden, wie z. B. Grumio mit
dem hungerigen Kaͤthchen in Shakeſpeare’s gezaͤhmter Keiferin.
Goethe erzaͤhlt in ſeiner Campagne in Frankreich: „Bei einem
ploͤtzlichen Befehl zum Aufbruch und dadurch geſtoͤrten Mit-
tageſſen ſprachen mehrere hungernde Genoſſen im Reiten vom
Eſſen. Einer wuͤnſchte ſich Bratwurſt und Brod, ein Anderer
ſprang gleich mit ſeinen Wuͤnſchen zum Rehbraten und Sar-
dellenſalat. Da aber das Alles unentgeldlich geſchah, fehlte es
auch nicht an Paſteten und ſonſtigen Leckerbiſſen, nicht an den
koͤſtlichſten Weinen, und ein ſo vollkommnes Gaſtmahl war bei-
ſammen, daß endlich einer, deſſen Appetit uͤbermaͤßig rege ge-
worden, die ganze Geſellſchaft verwuͤnſchte, und die Pein einer
aufgeregten Einbildungskraft im Gegenſatze des groͤßten Man-
gels ganz unertraͤglich ſchalt. — Ein andermal, unter aͤhn-
lichen hungrigen Verhaͤltniſſen, hatten die Leute des Prinzen
Louis Ferdinand einen ſchweren verſchloſſenen Kuͤchenſchrank
erbeutet, verſicherten, es klappere darin, und ſie hofften einen
guten Fang gethan zu haben. Man erbrach ihn begierig, fand
aber nur ein ſtark beleibtes Kochbuch und nun, indeſſen der ge-
ſpaltene Schrank im Feuer aufloderte, las man die koͤſtlichſten
Kuͤchenrezepte vor, und ſo ward abermals Hunger und Be-
gierde durch eine aufgeregte Einbildungskraft bis zur Verzweiflung
geſteigert.“
So paßt’s freilich nicht, außerdem aber gehoͤren Geſpraͤche
uͤber das Eſſen im Allgemeinen und Beſondern gewiß zu den
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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/125>, abgerufen am 16.02.2025.
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