Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.blos berechtigt; er ist dazu verpflichtet. "Ich hab' mich ge- Daß man Gedeihliches genießen soll, könnte leicht mit vie- Der Mensch soll nicht zu viel und nicht zu wenig essen. Wie mancher berühmte Mann verdankt dir seine zeitliche Man könnte freilich fragen: kann man denn nicht auch blos berechtigt; er iſt dazu verpflichtet. „Ich hab’ mich ge- Daß man Gedeihliches genießen ſoll, koͤnnte leicht mit vie- Der Menſch ſoll nicht zu viel und nicht zu wenig eſſen. Wie mancher beruͤhmte Mann verdankt dir ſeine zeitliche Man koͤnnte freilich fragen: kann man denn nicht auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0116" n="102"/> blos berechtigt; er iſt dazu verpflichtet. „Ich hab’ mich ge-<lb/> wundert, ſagt <hi rendition="#g">Bettina</hi>, wie ſchnell <hi rendition="#g">Goethe</hi>’s Mutter die<lb/> Herzen gewinnen kann, blos weil ſie mit Kraft genießt und<lb/> dadurch die Umgebung auch zur Freude bewegt.“ — Die An-<lb/> wendung liegt nahe, da der Menſch, wie <hi rendition="#g">Goethe</hi> ſagt, blos<lb/> als ein Supplement aller uͤbrigen zu betrachten iſt, und am<lb/> nuͤtzlichſten und liebenswuͤrdigſten erſcheint, wenn er ſich als<lb/> einen ſolchen giebt. Wie ſchoͤn iſt’s z. B., daß hohe Haͤupter<lb/> bei ihren feſtlichen Gaſtmaͤhlern dem Volke geſtatten, zuzuſehen!</p><lb/> <p>Daß man Gedeihliches genießen ſoll, koͤnnte leicht mit vie-<lb/> len Worten dargethan werden, waͤre nicht die Frage viel inter-<lb/> eſſanter, was und wie dieß Gedeihliche eigentlich zu ſein habe.<lb/> Wir ſind aber noch lange nicht ſo weit gekommen, auch waͤr’s<lb/> unlogiſch, hier dieß zu beſtimmen.</p><lb/> <p>Der Menſch ſoll nicht zu viel und nicht zu wenig eſſen.<lb/> O du goldene Mittelſtraße, du Ziel der Weiſen wie der Schaafs-<lb/> koͤpfe, du temperirter Sommer-, du warmgeheitzter Winter-<lb/> Tag, du beſcheidnes Grau, wie ſchimmert dein breites mattes<lb/> Licht, der Milchſtraße gleich, ſo mild und kuͤhl alluͤberall ins<lb/> Leben, und auch in die hier zu beſprechenden Verhaͤltniſſe, und<lb/> zwar hier allerdings am ſchoͤnſten!</p><lb/> <p>Wie mancher beruͤhmte Mann verdankt dir ſeine zeitliche<lb/> Unſterblichkeit! Mit dieſer Kruͤcke erhebt er ſich uͤber alle Par-<lb/> theien. „Die Wahrheit liegt in der Mitte“ ſagt der große<lb/> Mann und die Schaar bloͤkt ſympathetiſche Beiſtimmung.<lb/> Mit dieſer einzigen Maxime kann der Menſch ſein buͤrgerliches<lb/> und <choice><sic>literarifches</sic><corr>literariſches</corr></choice> Gluͤck machen.</p><lb/> <p>Man koͤnnte freilich fragen: kann man denn nicht auch<lb/> das Nichtuͤbertriebene uͤbertreiben? Doch das fuͤhrte ab. Ich<lb/> ſtimme aber der Meinung <hi rendition="#g">Jean Paul</hi>’s: „Sich maͤßigen paſ-<lb/> ſe fuͤr Patienten und fuͤr Zwerge“ ſo wenig bei, daß ich viel-<lb/> mehr ſage, es paſſe fuͤr Rieſen. Ich kann’s nur nicht leiden,<lb/> wenn ſich die Mittelmaͤßigkeit maͤßigen will. Paßt aber die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [102/0116]
blos berechtigt; er iſt dazu verpflichtet. „Ich hab’ mich ge-
wundert, ſagt Bettina, wie ſchnell Goethe’s Mutter die
Herzen gewinnen kann, blos weil ſie mit Kraft genießt und
dadurch die Umgebung auch zur Freude bewegt.“ — Die An-
wendung liegt nahe, da der Menſch, wie Goethe ſagt, blos
als ein Supplement aller uͤbrigen zu betrachten iſt, und am
nuͤtzlichſten und liebenswuͤrdigſten erſcheint, wenn er ſich als
einen ſolchen giebt. Wie ſchoͤn iſt’s z. B., daß hohe Haͤupter
bei ihren feſtlichen Gaſtmaͤhlern dem Volke geſtatten, zuzuſehen!
Daß man Gedeihliches genießen ſoll, koͤnnte leicht mit vie-
len Worten dargethan werden, waͤre nicht die Frage viel inter-
eſſanter, was und wie dieß Gedeihliche eigentlich zu ſein habe.
Wir ſind aber noch lange nicht ſo weit gekommen, auch waͤr’s
unlogiſch, hier dieß zu beſtimmen.
Der Menſch ſoll nicht zu viel und nicht zu wenig eſſen.
O du goldene Mittelſtraße, du Ziel der Weiſen wie der Schaafs-
koͤpfe, du temperirter Sommer-, du warmgeheitzter Winter-
Tag, du beſcheidnes Grau, wie ſchimmert dein breites mattes
Licht, der Milchſtraße gleich, ſo mild und kuͤhl alluͤberall ins
Leben, und auch in die hier zu beſprechenden Verhaͤltniſſe, und
zwar hier allerdings am ſchoͤnſten!
Wie mancher beruͤhmte Mann verdankt dir ſeine zeitliche
Unſterblichkeit! Mit dieſer Kruͤcke erhebt er ſich uͤber alle Par-
theien. „Die Wahrheit liegt in der Mitte“ ſagt der große
Mann und die Schaar bloͤkt ſympathetiſche Beiſtimmung.
Mit dieſer einzigen Maxime kann der Menſch ſein buͤrgerliches
und literariſches Gluͤck machen.
Man koͤnnte freilich fragen: kann man denn nicht auch
das Nichtuͤbertriebene uͤbertreiben? Doch das fuͤhrte ab. Ich
ſtimme aber der Meinung Jean Paul’s: „Sich maͤßigen paſ-
ſe fuͤr Patienten und fuͤr Zwerge“ ſo wenig bei, daß ich viel-
mehr ſage, es paſſe fuͤr Rieſen. Ich kann’s nur nicht leiden,
wenn ſich die Mittelmaͤßigkeit maͤßigen will. Paßt aber die
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