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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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Max Werner blieb keine zwei Wochen mehr in Pe¬
tersburg, aber in der Rückerinnerung kam es ihm immer
wie eine weit längere Zeitstrecke vor, so reichen Inhalt
empfingen diese Wochen durch seine neue Beziehung zu
Fenia.

Selten ein Tag, wo er sie nicht sah, selten einer,
wo er nicht den ungewohnten Reiz einer so zutraulichen
weiblichen Nähe ohne alle erotischen Nebengedanken durch¬
kostete. Es schien ihm ein gradezu idealer Fall, ge¬
schaffen dank ihrer beiderseitigen Benommenheit von einer
andern Liebe, und ganz besonders begünstigt durch Fenias
Gewohnheit, sich Männern gegenüber zwanglos gehn zu
lassen.

"Ein Mädchen wie Irmgard erschließt sich nur, wo
es liebt, und hält sich sonst stets in der etwas kalten
Strenge ihrer Mädchenhoheit zurück, -- verschlossen und
herb. Aber schließt sich denn ein Weib wirklich auf, wo
es liebt? Täuscht es sich nicht unwissentlich darüber?"
fragte er sich oft.

So zum Beispiel sprach Fenia sicher zu dem
Manne ihrer Liebe mit viel rückhaltloserer Intimität als
zu ihm, -- aber that sie es nicht auch weniger einfach
und sachlich, -- unbewußt bemüht, alles Verwandte in

Max Werner blieb keine zwei Wochen mehr in Pe¬
tersburg, aber in der Rückerinnerung kam es ihm immer
wie eine weit längere Zeitſtrecke vor, ſo reichen Inhalt
empfingen dieſe Wochen durch ſeine neue Beziehung zu
Fenia.

Selten ein Tag, wo er ſie nicht ſah, ſelten einer,
wo er nicht den ungewohnten Reiz einer ſo zutraulichen
weiblichen Nähe ohne alle erotiſchen Nebengedanken durch¬
koſtete. Es ſchien ihm ein gradezu idealer Fall, ge¬
ſchaffen dank ihrer beiderſeitigen Benommenheit von einer
andern Liebe, und ganz beſonders begünſtigt durch Fenias
Gewohnheit, ſich Männern gegenüber zwanglos gehn zu
laſſen.

„Ein Mädchen wie Irmgard erſchließt ſich nur, wo
es liebt, und hält ſich ſonſt ſtets in der etwas kalten
Strenge ihrer Mädchenhoheit zurück, — verſchloſſen und
herb. Aber ſchließt ſich denn ein Weib wirklich auf, wo
es liebt? Täuſcht es ſich nicht unwiſſentlich darüber?“
fragte er ſich oft.

So zum Beiſpiel ſprach Fenia ſicher zu dem
Manne ihrer Liebe mit viel rückhaltloſerer Intimität als
zu ihm, — aber that ſie es nicht auch weniger einfach
und ſachlich, — unbewußt bemüht, alles Verwandte in

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[0073] Max Werner blieb keine zwei Wochen mehr in Pe¬ tersburg, aber in der Rückerinnerung kam es ihm immer wie eine weit längere Zeitſtrecke vor, ſo reichen Inhalt empfingen dieſe Wochen durch ſeine neue Beziehung zu Fenia. Selten ein Tag, wo er ſie nicht ſah, ſelten einer, wo er nicht den ungewohnten Reiz einer ſo zutraulichen weiblichen Nähe ohne alle erotiſchen Nebengedanken durch¬ koſtete. Es ſchien ihm ein gradezu idealer Fall, ge¬ ſchaffen dank ihrer beiderſeitigen Benommenheit von einer andern Liebe, und ganz beſonders begünſtigt durch Fenias Gewohnheit, ſich Männern gegenüber zwanglos gehn zu laſſen. „Ein Mädchen wie Irmgard erſchließt ſich nur, wo es liebt, und hält ſich ſonſt ſtets in der etwas kalten Strenge ihrer Mädchenhoheit zurück, — verſchloſſen und herb. Aber ſchließt ſich denn ein Weib wirklich auf, wo es liebt? Täuſcht es ſich nicht unwiſſentlich darüber?“ fragte er ſich oft. So zum Beiſpiel ſprach Fenia ſicher zu dem Manne ihrer Liebe mit viel rückhaltloſerer Intimität als zu ihm, — aber that ſie es nicht auch weniger einfach und ſachlich, — unbewußt bemüht, alles Verwandte in

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/73>, abgerufen am 25.11.2024.