Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

gab, regte sich in mir etwas Wunderliches, ganz Zartes
und beinahe Mütterliches, -- die Hingebung einer Mutter,
die einem weinenden Kinde lächelnd ihre nahrungschwellende
Brust öffnet.

So ruhte ich, fest von seinen Armen umschlossen,
die Augen weit offen zur Decke emporgerichtet, und dabei
ging es mir still und beinah ehrfürchtig durch den Sinn,
-- wie keusch wohl das Leben dieses Mannes hingegangen
sei --.

Benno ließ mich endlich frei, mit einem ächzenden
Laut, als ob er sich eine Wunde zufügte. Zugleich sprang
er zitternd vom Boden auf und sagte mit einem Aus¬
druck leidenschaftlicher Verzückung auf seinem Gesicht:

"Ich danke dir! Du mein einziger, geliebtester aller
Menschen, ich danke dir! Ich wäre erstickt und zerbrochen,
wenn du mich zurückgestoßen hättest!"

Es fiel ihm nicht ein, nicht einen einzigen Augen¬
blick lang fiel es ihm ein, daß ich vielleicht seinen Rausch
nicht geteilt haben könnte. Um ins Mitempfinden des
andern einzugehn, dazu gehört gewiß Liebe, aber bei
einem gewissen Grad der Liebesleidenschaft schlägt sie
zurück in so besinnungslosen Egoismus, daß sich daraus
keine Fühlfäden mehr in die äußere Welt erstrecken, sei
es auch die Gefühlswelt des geliebten Menschen, und daß
ein störender Mißton einfach dadurch unmöglich gemacht
wird, daß man ihn eben nicht aufnimmt und nicht ver¬
nimmt. Liebesleidenschaft ist wie die letzte und äußerste
Einsamkeit.

So befangen Benno noch heute morgen geschwankt
und gezweifelt hatte, so siegessicher fühlte er sich jetzt.

gab, regte ſich in mir etwas Wunderliches, ganz Zartes
und beinahe Mütterliches, — die Hingebung einer Mutter,
die einem weinenden Kinde lächelnd ihre nahrungſchwellende
Bruſt öffnet.

So ruhte ich, feſt von ſeinen Armen umſchloſſen,
die Augen weit offen zur Decke emporgerichtet, und dabei
ging es mir ſtill und beinah ehrfürchtig durch den Sinn,
— wie keuſch wohl das Leben dieſes Mannes hingegangen
ſei —.

Benno ließ mich endlich frei, mit einem ächzenden
Laut, als ob er ſich eine Wunde zufügte. Zugleich ſprang
er zitternd vom Boden auf und ſagte mit einem Aus¬
druck leidenſchaftlicher Verzückung auf ſeinem Geſicht:

„Ich danke dir! Du mein einziger, geliebteſter aller
Menſchen, ich danke dir! Ich wäre erſtickt und zerbrochen,
wenn du mich zurückgeſtoßen hätteſt!“

Es fiel ihm nicht ein, nicht einen einzigen Augen¬
blick lang fiel es ihm ein, daß ich vielleicht ſeinen Rauſch
nicht geteilt haben könnte. Um ins Mitempfinden des
andern einzugehn, dazu gehört gewiß Liebe, aber bei
einem gewiſſen Grad der Liebesleidenſchaft ſchlägt ſie
zurück in ſo beſinnungsloſen Egoismus, daß ſich daraus
keine Fühlfäden mehr in die äußere Welt erſtrecken, ſei
es auch die Gefühlswelt des geliebten Menſchen, und daß
ein ſtörender Mißton einfach dadurch unmöglich gemacht
wird, daß man ihn eben nicht aufnimmt und nicht ver¬
nimmt. Liebesleidenſchaft iſt wie die letzte und äußerſte
Einſamkeit.

So befangen Benno noch heute morgen geſchwankt
und gezweifelt hatte, ſo ſiegesſicher fühlte er ſich jetzt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0173" n="169"/><fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 169 &#x2014;<lb/></fw>gab, regte &#x017F;ich in mir etwas Wunderliches, ganz Zartes<lb/>
und beinahe Mütterliches, &#x2014; die Hingebung einer Mutter,<lb/>
die einem weinenden Kinde lächelnd ihre nahrung&#x017F;chwellende<lb/>
Bru&#x017F;t öffnet.</p><lb/>
        <p>So ruhte ich, fe&#x017F;t von &#x017F;einen Armen um&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
die Augen weit offen zur Decke emporgerichtet, und dabei<lb/>
ging es mir &#x017F;till und beinah ehrfürchtig durch den Sinn,<lb/>
&#x2014; wie keu&#x017F;ch wohl das Leben die&#x017F;es Mannes hingegangen<lb/>
&#x017F;ei &#x2014;.</p><lb/>
        <p>Benno ließ mich endlich frei, mit einem ächzenden<lb/>
Laut, als ob er &#x017F;ich eine Wunde zufügte. Zugleich &#x017F;prang<lb/>
er zitternd vom Boden auf und &#x017F;agte mit einem Aus¬<lb/>
druck leiden&#x017F;chaftlicher Verzückung auf &#x017F;einem Ge&#x017F;icht:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich danke dir! Du mein einziger, geliebte&#x017F;ter aller<lb/>
Men&#x017F;chen, ich danke dir! Ich wäre er&#x017F;tickt und zerbrochen,<lb/>
wenn du mich zurückge&#x017F;toßen hätte&#x017F;t!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Es fiel ihm nicht ein, nicht einen einzigen Augen¬<lb/>
blick lang fiel es ihm ein, daß ich vielleicht &#x017F;einen Rau&#x017F;ch<lb/>
nicht geteilt haben könnte. Um ins Mitempfinden des<lb/>
andern einzugehn, dazu gehört gewiß Liebe, aber bei<lb/>
einem gewi&#x017F;&#x017F;en Grad der Liebesleiden&#x017F;chaft &#x017F;chlägt &#x017F;ie<lb/>
zurück in &#x017F;o be&#x017F;innungslo&#x017F;en Egoismus, daß &#x017F;ich daraus<lb/>
keine Fühlfäden mehr in die äußere Welt er&#x017F;trecken, &#x017F;ei<lb/>
es auch die Gefühlswelt des geliebten Men&#x017F;chen, und daß<lb/>
ein &#x017F;törender Mißton einfach dadurch unmöglich gemacht<lb/>
wird, daß man ihn eben nicht aufnimmt und nicht ver¬<lb/>
nimmt. Liebesleiden&#x017F;chaft i&#x017F;t wie die letzte und äußer&#x017F;te<lb/>
Ein&#x017F;amkeit.</p><lb/>
        <p>So befangen Benno noch heute morgen ge&#x017F;chwankt<lb/>
und gezweifelt hatte, &#x017F;o &#x017F;ieges&#x017F;icher fühlte er &#x017F;ich jetzt.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0173] — 169 — gab, regte ſich in mir etwas Wunderliches, ganz Zartes und beinahe Mütterliches, — die Hingebung einer Mutter, die einem weinenden Kinde lächelnd ihre nahrungſchwellende Bruſt öffnet. So ruhte ich, feſt von ſeinen Armen umſchloſſen, die Augen weit offen zur Decke emporgerichtet, und dabei ging es mir ſtill und beinah ehrfürchtig durch den Sinn, — wie keuſch wohl das Leben dieſes Mannes hingegangen ſei —. Benno ließ mich endlich frei, mit einem ächzenden Laut, als ob er ſich eine Wunde zufügte. Zugleich ſprang er zitternd vom Boden auf und ſagte mit einem Aus¬ druck leidenſchaftlicher Verzückung auf ſeinem Geſicht: „Ich danke dir! Du mein einziger, geliebteſter aller Menſchen, ich danke dir! Ich wäre erſtickt und zerbrochen, wenn du mich zurückgeſtoßen hätteſt!“ Es fiel ihm nicht ein, nicht einen einzigen Augen¬ blick lang fiel es ihm ein, daß ich vielleicht ſeinen Rauſch nicht geteilt haben könnte. Um ins Mitempfinden des andern einzugehn, dazu gehört gewiß Liebe, aber bei einem gewiſſen Grad der Liebesleidenſchaft ſchlägt ſie zurück in ſo beſinnungsloſen Egoismus, daß ſich daraus keine Fühlfäden mehr in die äußere Welt erſtrecken, ſei es auch die Gefühlswelt des geliebten Menſchen, und daß ein ſtörender Mißton einfach dadurch unmöglich gemacht wird, daß man ihn eben nicht aufnimmt und nicht ver¬ nimmt. Liebesleidenſchaft iſt wie die letzte und äußerſte Einſamkeit. So befangen Benno noch heute morgen geſchwankt und gezweifelt hatte, ſo ſiegesſicher fühlte er ſich jetzt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/173
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/173>, abgerufen am 05.05.2024.