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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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beschäftigt, daher geht er nirgends hin. Jemand sollte
ihm das ausreden. Das solltest du thun, Adine."

"Er hört doch nicht drauf," meinte die Mutter und
ging hinaus, um ihren Hut abzulegen.

"Auf dich würd er wohl hören," sagte Gabriele
halblaut.

Ich ließ überrascht den Bleistift fallen und sah
sie an.

"Wär es dir denn im Ernst angenehm, wenn ich
mich drum kümmerte oder ihn beeinflussen wollte?"

"Ja. Wenn es zu seinem Wohl dient," versetzte
Gabriele finster.

Etwas von meiner alten Bewunderung für sie regte
sich in mir. Und eine warme Bereitwilligkeit, ihr zu
helfen. Sie sollte wissen, daß ich ihr nicht in den
Weg treten würde.

"Meine Sache ist das aber gar nicht," sagte ich
rasch und in leichtem Ton, während ich fortfuhr zu zeich¬
nen, "du weißt ja: ich gerate lieber selbst unter je¬
mandes Einfluß. Ich will aber beides nicht. Es ist
also besser, wenn dir das zugehört, und niemand anders
teil dran nimmt."

Gabriele stand auf.

"Ich muß hinaufgehn, um nach unserm Mittag
zu sehen, auf Mutchen ist kein Verlaß," bemerkte sie
ruhig, dann aber, als ich ihr die Hand gab, sah sie mir
fest und fast etwas hochmütig in die Augen und fügte
ernst hinzu:

"Was uns wahrhaft gehört, Adine, das nimmt nie¬
mand uns fort. Was uns wahrhaft gehört, das fällt

beſchäftigt, daher geht er nirgends hin. Jemand ſollte
ihm das ausreden. Das ſollteſt du thun, Adine.“

„Er hört doch nicht drauf,“ meinte die Mutter und
ging hinaus, um ihren Hut abzulegen.

„Auf dich würd er wohl hören,“ ſagte Gabriele
halblaut.

Ich ließ überraſcht den Bleiſtift fallen und ſah
ſie an.

„Wär es dir denn im Ernſt angenehm, wenn ich
mich drum kümmerte oder ihn beeinfluſſen wollte?“

„Ja. Wenn es zu ſeinem Wohl dient,“ verſetzte
Gabriele finſter.

Etwas von meiner alten Bewunderung für ſie regte
ſich in mir. Und eine warme Bereitwilligkeit, ihr zu
helfen. Sie ſollte wiſſen, daß ich ihr nicht in den
Weg treten würde.

„Meine Sache iſt das aber gar nicht,“ ſagte ich
raſch und in leichtem Ton, während ich fortfuhr zu zeich¬
nen, „du weißt ja: ich gerate lieber ſelbſt unter je¬
mandes Einfluß. Ich will aber beides nicht. Es iſt
alſo beſſer, wenn dir das zugehört, und niemand anders
teil dran nimmt.“

Gabriele ſtand auf.

„Ich muß hinaufgehn, um nach unſerm Mittag
zu ſehen, auf Mutchen iſt kein Verlaß,“ bemerkte ſie
ruhig, dann aber, als ich ihr die Hand gab, ſah ſie mir
feſt und faſt etwas hochmütig in die Augen und fügte
ernſt hinzu:

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mand uns fort. Was uns wahrhaft gehört, das fällt

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[159/0163] — 159 — beſchäftigt, daher geht er nirgends hin. Jemand ſollte ihm das ausreden. Das ſollteſt du thun, Adine.“ „Er hört doch nicht drauf,“ meinte die Mutter und ging hinaus, um ihren Hut abzulegen. „Auf dich würd er wohl hören,“ ſagte Gabriele halblaut. Ich ließ überraſcht den Bleiſtift fallen und ſah ſie an. „Wär es dir denn im Ernſt angenehm, wenn ich mich drum kümmerte oder ihn beeinfluſſen wollte?“ „Ja. Wenn es zu ſeinem Wohl dient,“ verſetzte Gabriele finſter. Etwas von meiner alten Bewunderung für ſie regte ſich in mir. Und eine warme Bereitwilligkeit, ihr zu helfen. Sie ſollte wiſſen, daß ich ihr nicht in den Weg treten würde. „Meine Sache iſt das aber gar nicht,“ ſagte ich raſch und in leichtem Ton, während ich fortfuhr zu zeich¬ nen, „du weißt ja: ich gerate lieber ſelbſt unter je¬ mandes Einfluß. Ich will aber beides nicht. Es iſt alſo beſſer, wenn dir das zugehört, und niemand anders teil dran nimmt.“ Gabriele ſtand auf. „Ich muß hinaufgehn, um nach unſerm Mittag zu ſehen, auf Mutchen iſt kein Verlaß,“ bemerkte ſie ruhig, dann aber, als ich ihr die Hand gab, ſah ſie mir feſt und faſt etwas hochmütig in die Augen und fügte ernſt hinzu: „Was uns wahrhaft gehört, Adine, das nimmt nie¬ mand uns fort. Was uns wahrhaft gehört, das fällt

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/163>, abgerufen am 24.11.2024.