Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

Bild:
<< vorherige Seite

blieben, aber ich wußte doch sofort, daß es Benno war.
Mich ergriff eine kindische Freude, so groß, wie ich sie
nie für möglich gehalten hätte, zugleich mit dem Ver¬
langen stehn zu bleiben.

Aber das erlaubte der Sturm nicht; er blies mich
von hinten an, als wehe er mich ihm einfach entgegen.
Ich konnte merken, wie an meinem Reisehut der zurück¬
genommene Schleier zerrte und flog, gleich einem un¬
geduldig aufflatternden gefesselten Vogel.

Und jetzt kam Benno mir langsam entgegen.

"Dina!" rief er mit unterdrückter Stimme, noch
eh ich bei ihm war.

"Da bist du ja!" sagte ich froh, ließ achtlos meine
kleine Reisetasche auf den Schneeboden gleiten und streckte
ihm beide Hände entgegen, "-- hast du mich denn er¬
kannt?"

"Adine! so unerwartet und unangemeldet, -- von
niemand empfangen!" äußerte er wie in tiefem Stau¬
nen, und dann: "Erkannt -- ja, erkannt, noch eh ich
wußte, daß du es sein könntest. An deinem Gang.
Nur grade am Gang. Dies sorglos wiegende Schlen¬
dern, -- nur du gehst so, -- es sieht aus, als ob es
auf der Welt nur lauter geebnete Wege gäbe, oder als
schritte ein unsichtbares Wesen vor dir her, das sie dir
ebnet. -- -- Und du kommst im Schnee -- -- zu
Fuß?"

"Ja freilich, zu Fuß, von Stein zu Stein, über
das bekannte alte Pflaster. Es war ja noch früh. Schön
war's. Der Schnee, der fiel so dicht; -- das alte
Brieg! wie es aussah im Schneesturm!"

blieben, aber ich wußte doch ſofort, daß es Benno war.
Mich ergriff eine kindiſche Freude, ſo groß, wie ich ſie
nie für möglich gehalten hätte, zugleich mit dem Ver¬
langen ſtehn zu bleiben.

Aber das erlaubte der Sturm nicht; er blies mich
von hinten an, als wehe er mich ihm einfach entgegen.
Ich konnte merken, wie an meinem Reiſehut der zurück¬
genommene Schleier zerrte und flog, gleich einem un¬
geduldig aufflatternden gefeſſelten Vogel.

Und jetzt kam Benno mir langſam entgegen.

„Dina!“ rief er mit unterdrückter Stimme, noch
eh ich bei ihm war.

„Da biſt du ja!“ ſagte ich froh, ließ achtlos meine
kleine Reiſetaſche auf den Schneeboden gleiten und ſtreckte
ihm beide Hände entgegen, „— haſt du mich denn er¬
kannt?“

„Adine! ſo unerwartet und unangemeldet, — von
niemand empfangen!“ äußerte er wie in tiefem Stau¬
nen, und dann: „Erkannt — ja, erkannt, noch eh ich
wußte, daß du es ſein könnteſt. An deinem Gang.
Nur grade am Gang. Dies ſorglos wiegende Schlen¬
dern, — nur du gehſt ſo, — es ſieht aus, als ob es
auf der Welt nur lauter geebnete Wege gäbe, oder als
ſchritte ein unſichtbares Weſen vor dir her, das ſie dir
ebnet. — — Und du kommſt im Schnee — — zu
Fuß?“

„Ja freilich, zu Fuß, von Stein zu Stein, über
das bekannte alte Pflaſter. Es war ja noch früh. Schön
war's. Der Schnee, der fiel ſo dicht; — das alte
Brieg! wie es ausſah im Schneeſturm!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0125" n="121"/><fw type="pageNum" place="top">&#x2014; 121 &#x2014;<lb/></fw>blieben, aber ich wußte doch &#x017F;ofort, daß es Benno war.<lb/>
Mich ergriff eine kindi&#x017F;che Freude, &#x017F;o groß, wie ich &#x017F;ie<lb/>
nie für möglich gehalten hätte, zugleich mit dem Ver¬<lb/>
langen &#x017F;tehn zu bleiben.</p><lb/>
        <p>Aber das erlaubte der Sturm nicht; er blies mich<lb/>
von hinten an, als wehe er mich ihm einfach entgegen.<lb/>
Ich konnte merken, wie an meinem Rei&#x017F;ehut der zurück¬<lb/>
genommene Schleier zerrte und flog, gleich einem un¬<lb/>
geduldig aufflatternden gefe&#x017F;&#x017F;elten Vogel.</p><lb/>
        <p>Und jetzt kam Benno mir lang&#x017F;am entgegen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Dina!&#x201C; rief er mit unterdrückter Stimme, noch<lb/>
eh ich bei ihm war.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Da bi&#x017F;t du ja!&#x201C; &#x017F;agte ich froh, ließ achtlos meine<lb/>
kleine Rei&#x017F;eta&#x017F;che auf den Schneeboden gleiten und &#x017F;treckte<lb/>
ihm beide Hände entgegen, &#x201E;&#x2014; ha&#x017F;t du mich denn er¬<lb/>
kannt?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Adine! &#x017F;o unerwartet und unangemeldet, &#x2014; von<lb/>
niemand empfangen!&#x201C; äußerte er wie in tiefem Stau¬<lb/>
nen, und dann: &#x201E;Erkannt &#x2014; ja, erkannt, noch eh ich<lb/>
wußte, daß du es &#x017F;ein könnte&#x017F;t. An deinem Gang.<lb/>
Nur grade am Gang. Dies &#x017F;orglos wiegende Schlen¬<lb/>
dern, &#x2014; nur du geh&#x017F;t &#x017F;o, &#x2014; es &#x017F;ieht aus, als ob es<lb/>
auf der Welt nur lauter geebnete Wege gäbe, oder als<lb/>
&#x017F;chritte ein un&#x017F;ichtbares We&#x017F;en vor dir her, das &#x017F;ie dir<lb/>
ebnet. &#x2014; &#x2014; Und du komm&#x017F;t im Schnee &#x2014; &#x2014; zu<lb/>
Fuß?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ja freilich, zu Fuß, von Stein zu Stein, über<lb/>
das bekannte alte Pfla&#x017F;ter. Es war ja noch früh. Schön<lb/>
war's. Der Schnee, der fiel &#x017F;o dicht; &#x2014; das alte<lb/>
Brieg! wie es aus&#x017F;ah im Schnee&#x017F;turm!&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[121/0125] — 121 — blieben, aber ich wußte doch ſofort, daß es Benno war. Mich ergriff eine kindiſche Freude, ſo groß, wie ich ſie nie für möglich gehalten hätte, zugleich mit dem Ver¬ langen ſtehn zu bleiben. Aber das erlaubte der Sturm nicht; er blies mich von hinten an, als wehe er mich ihm einfach entgegen. Ich konnte merken, wie an meinem Reiſehut der zurück¬ genommene Schleier zerrte und flog, gleich einem un¬ geduldig aufflatternden gefeſſelten Vogel. Und jetzt kam Benno mir langſam entgegen. „Dina!“ rief er mit unterdrückter Stimme, noch eh ich bei ihm war. „Da biſt du ja!“ ſagte ich froh, ließ achtlos meine kleine Reiſetaſche auf den Schneeboden gleiten und ſtreckte ihm beide Hände entgegen, „— haſt du mich denn er¬ kannt?“ „Adine! ſo unerwartet und unangemeldet, — von niemand empfangen!“ äußerte er wie in tiefem Stau¬ nen, und dann: „Erkannt — ja, erkannt, noch eh ich wußte, daß du es ſein könnteſt. An deinem Gang. Nur grade am Gang. Dies ſorglos wiegende Schlen¬ dern, — nur du gehſt ſo, — es ſieht aus, als ob es auf der Welt nur lauter geebnete Wege gäbe, oder als ſchritte ein unſichtbares Weſen vor dir her, das ſie dir ebnet. — — Und du kommſt im Schnee — — zu Fuß?“ „Ja freilich, zu Fuß, von Stein zu Stein, über das bekannte alte Pflaſter. Es war ja noch früh. Schön war's. Der Schnee, der fiel ſo dicht; — das alte Brieg! wie es ausſah im Schneeſturm!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/125
Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/125>, abgerufen am 04.05.2024.