Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.Einige Tage später befand ich mich auf der Reise Es reute mich nicht mehr, Paris verlassen zu haben, In Brieg langte ich am Abend nach neun Uhr an. Es schneite. Ein mächtiger Wind, von Norden Einige Tage ſpäter befand ich mich auf der Reiſe Es reute mich nicht mehr, Paris verlaſſen zu haben, In Brieg langte ich am Abend nach neun Uhr an. Es ſchneite. Ein mächtiger Wind, von Norden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0123"/> <p><hi rendition="#fr #in">E</hi>inige Tage ſpäter befand ich mich auf der Reiſe<lb/> nach Brieg. Während der langen Eiſenbahnfahrt er¬<lb/> zählte ich es mir ſelber wohl hundertmal, wie wunder¬<lb/> lich eng und klein mir alles in der Heimat vorkommen<lb/> werde, aber zugleich freute ich mich all dieſes Engen und<lb/> Kleinen, als des heimatlich Vertrauten, was ich nun<lb/> wiederſehen ſollte; es durfte ſich nicht weiterentwickelt<lb/> haben, ſondern mußte, um zu wirken, genau ſo geblieben<lb/> ſein, wie es war, grade wie eine alte Kinderfibel, die<lb/> ohne ihre naiven Lehren und Verschen auch nicht mehr<lb/> ein Erinnerungsbuch wäre.</p><lb/> <p>Es reute mich nicht mehr, Paris verlaſſen zu haben,<lb/> trotzdem ich grade jetzt dort den Winter hatte genießen<lb/> wollen, — und doch lag in der Stimmung, worin ich<lb/> dieſe Reiſe unternahm, mir unbewußt, ein tieferer Leicht¬<lb/> ſinn, der von dunkeln Senſationen träumte, als in allen<lb/> Genüſſen, zu denen ich mich dort hätte verleiten laſſen<lb/> können.</p><lb/> <p>In Brieg langte ich am Abend nach neun Uhr an.<lb/> Den Tag meines Eintreffens hatte ich abſichtlich nicht<lb/> gemeldet, ich ließ mein Gepäck am Bahnhof und ging<lb/> langſam über den Wallgraben unſrer Steinſtraße zu.</p><lb/> <p>Es ſchneite. Ein mächtiger Wind, von Norden<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0123]
Einige Tage ſpäter befand ich mich auf der Reiſe
nach Brieg. Während der langen Eiſenbahnfahrt er¬
zählte ich es mir ſelber wohl hundertmal, wie wunder¬
lich eng und klein mir alles in der Heimat vorkommen
werde, aber zugleich freute ich mich all dieſes Engen und
Kleinen, als des heimatlich Vertrauten, was ich nun
wiederſehen ſollte; es durfte ſich nicht weiterentwickelt
haben, ſondern mußte, um zu wirken, genau ſo geblieben
ſein, wie es war, grade wie eine alte Kinderfibel, die
ohne ihre naiven Lehren und Verschen auch nicht mehr
ein Erinnerungsbuch wäre.
Es reute mich nicht mehr, Paris verlaſſen zu haben,
trotzdem ich grade jetzt dort den Winter hatte genießen
wollen, — und doch lag in der Stimmung, worin ich
dieſe Reiſe unternahm, mir unbewußt, ein tieferer Leicht¬
ſinn, der von dunkeln Senſationen träumte, als in allen
Genüſſen, zu denen ich mich dort hätte verleiten laſſen
können.
In Brieg langte ich am Abend nach neun Uhr an.
Den Tag meines Eintreffens hatte ich abſichtlich nicht
gemeldet, ich ließ mein Gepäck am Bahnhof und ging
langſam über den Wallgraben unſrer Steinſtraße zu.
Es ſchneite. Ein mächtiger Wind, von Norden
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