Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.war ein altmodisch gebautes Haus, in dessen Erdgeschoß Unsre Vorderfenster sahen gradezu auf das hohe Am Abend nach unserm Einzug, während die alten war ein altmodiſch gebautes Haus, in deſſen Erdgeſchoß Unſre Vorderfenſter ſahen gradezu auf das hohe Am Abend nach unſerm Einzug, während die alten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0112" n="108"/><fw type="pageNum" place="top">— 108 —<lb/></fw>war ein altmodiſch gebautes Haus, in deſſen Erdgeſchoß<lb/> außer uns einer der angeſtellten Aerzte wohnte, über<lb/> uns aber der Rendant der Irrenanſtalt mit ſeiner Frau<lb/> und zwei Töchtern. Als wir dorthin umzogen, kam es<lb/> mir vor wie eine Ueberſiedlung nach einem ganz frem¬<lb/> den Ort, obwohl dieſes Brieger Viertel gar nicht weit<lb/> vom älteſten Mittelpunkt der Stadt, vom Rathaus und<lb/> von den Gartenanlagen auf dem ehemaligen Wallgraben,<lb/> entfernt iſt, und ich oft genug den mächtigſten Gebäude¬<lb/> komplex, den Brieg beſitzt, zum Himmel hatte aufragen<lb/> ſehen: die Kreisirrenanſtalt und das Zuchthaus. Aber<lb/> erſt jetzt ſah ich ſie wirklich: das erſte auf zwei Seiten<lb/> von ſchönem Park umgeben, das andre von einer haus¬<lb/> hohen Mauer umſchloſſen, die einen Kranz ſpitziger<lb/> Eiſenſtacheln trug, und an deren Fuß Haufen ſchneiden¬<lb/> der Glasſcherben lagen. Trotz dieſer Verſchiedenheit aber<lb/> glichen ſie einander im düſtern Geſamteindruck, den ſie<lb/> machten, beides Gefängniſſe leidender Menſchheit, von<lb/> denen die ganze Straße einen eigentümlich ſchwermütigen<lb/> Anſtrich erhielt.</p><lb/> <p>Unſre Vorderfenſter ſahen gradezu auf das hohe<lb/> Mauerwerk mit den Eiſenſtacheln, durch die Seitenfenſter<lb/> des Wohnzimmers aber erblickte man, über den park¬<lb/> umſtandenen Hof des Irrenhauſes hinweg, die vergit¬<lb/> terten Scheiben der Abteilung für Tobſüchtige.</p><lb/> <p>Am Abend nach unſerm Einzug, während die alten<lb/> zierlichen Barockmöbel mit ihren Goldleiſten und ge¬<lb/> ſchweiften Beinen noch ziemlich ratlos umherſtanden und<lb/> nicht recht wußten, wo in dieſen langen, niedrigen Stuben<lb/> unterzukommen, erfaßte mich ein Ausbruch wilder Ver¬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [108/0112]
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war ein altmodiſch gebautes Haus, in deſſen Erdgeſchoß
außer uns einer der angeſtellten Aerzte wohnte, über
uns aber der Rendant der Irrenanſtalt mit ſeiner Frau
und zwei Töchtern. Als wir dorthin umzogen, kam es
mir vor wie eine Ueberſiedlung nach einem ganz frem¬
den Ort, obwohl dieſes Brieger Viertel gar nicht weit
vom älteſten Mittelpunkt der Stadt, vom Rathaus und
von den Gartenanlagen auf dem ehemaligen Wallgraben,
entfernt iſt, und ich oft genug den mächtigſten Gebäude¬
komplex, den Brieg beſitzt, zum Himmel hatte aufragen
ſehen: die Kreisirrenanſtalt und das Zuchthaus. Aber
erſt jetzt ſah ich ſie wirklich: das erſte auf zwei Seiten
von ſchönem Park umgeben, das andre von einer haus¬
hohen Mauer umſchloſſen, die einen Kranz ſpitziger
Eiſenſtacheln trug, und an deren Fuß Haufen ſchneiden¬
der Glasſcherben lagen. Trotz dieſer Verſchiedenheit aber
glichen ſie einander im düſtern Geſamteindruck, den ſie
machten, beides Gefängniſſe leidender Menſchheit, von
denen die ganze Straße einen eigentümlich ſchwermütigen
Anſtrich erhielt.
Unſre Vorderfenſter ſahen gradezu auf das hohe
Mauerwerk mit den Eiſenſtacheln, durch die Seitenfenſter
des Wohnzimmers aber erblickte man, über den park¬
umſtandenen Hof des Irrenhauſes hinweg, die vergit¬
terten Scheiben der Abteilung für Tobſüchtige.
Am Abend nach unſerm Einzug, während die alten
zierlichen Barockmöbel mit ihren Goldleiſten und ge¬
ſchweiften Beinen noch ziemlich ratlos umherſtanden und
nicht recht wußten, wo in dieſen langen, niedrigen Stuben
unterzukommen, erfaßte mich ein Ausbruch wilder Ver¬
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