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Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Kreuzwegen des Schicksals von ihr getrennt worden, ehe die Ahnung zum Bewußtsein werden konnte.

Um es kurz zu sagen, ich war am Ziel meiner Postreise; ein Wagen meines künftigen Brodherrn sollte mich an der Station erwarten und nach dem benachbarten Landsitze desselben entführen. Ein im Hofe haltendes bespanntes Cabriolet blickte mich finster an.

Sie lächeln, wie ich sehe, über eine so schnell entstandene, so wenig durch die Dauer des Zusammenseins motivirte Zuneigung. Aber fordern Sie für Alles Motive -- nur nicht für derartige Gefühle.

Inzwischen fluchte der Posthalter entsetzlich; er hatte Gründe genug zum Zorn: der fehlende Postillon -- die schweißtriefenden, schnaubenden Pferde, seine bei dem Sprunge des Turners zerbrochene Brille -- Alles kam zusammen, diesen Ehrenmann zu erbittern. Ich führte die Dame in das von einem Talglichte matt erhellte Wirthszimmer und fragte, als sie sich in einem alterthümlichen Sessel niedergelassen, wie sie sich nach dem Schreck befinde? -- Ich glaube, sagte sie lächelnd, die Sache hat mir von Allen am wenigsten Schreck gemacht; was hilft auch das Fürchten? Gefahr ist überall; und schon häufig hab' ich bemerkt, daß uns die Uebel, welche uns am meisten Sorge machen, am wenigsten treffen, dagegen andere, an die wir gar nicht gedacht haben. -- Die Hauptsache ist, daß man sich auf seine Glieder verlassen kann, sagte der während der letzten Worte eingetretene Turner. -- Das nützt verdammt wenig, rief der ihm folgende Postmeister, wenn man sich nicht auf seinen Verstand verlassen kann; und es zeigt verdammt wenig Verstand, bei drei Grad Kälte auf dem Kutschendache zu fahren und den Leuten ins Gesicht zu springen.

Der Turner suchte ihn zu begütigen; der Postmeister sagte: Nun, die Sache ist abgemacht. Wer von den Herrschaften reis't weiter?

Ich erwarte hier, sagte ich vortretend, ein Fuhrwerk des Freiherrn von --

Kreuzwegen des Schicksals von ihr getrennt worden, ehe die Ahnung zum Bewußtsein werden konnte.

Um es kurz zu sagen, ich war am Ziel meiner Postreise; ein Wagen meines künftigen Brodherrn sollte mich an der Station erwarten und nach dem benachbarten Landsitze desselben entführen. Ein im Hofe haltendes bespanntes Cabriolet blickte mich finster an.

Sie lächeln, wie ich sehe, über eine so schnell entstandene, so wenig durch die Dauer des Zusammenseins motivirte Zuneigung. Aber fordern Sie für Alles Motive — nur nicht für derartige Gefühle.

Inzwischen fluchte der Posthalter entsetzlich; er hatte Gründe genug zum Zorn: der fehlende Postillon — die schweißtriefenden, schnaubenden Pferde, seine bei dem Sprunge des Turners zerbrochene Brille — Alles kam zusammen, diesen Ehrenmann zu erbittern. Ich führte die Dame in das von einem Talglichte matt erhellte Wirthszimmer und fragte, als sie sich in einem alterthümlichen Sessel niedergelassen, wie sie sich nach dem Schreck befinde? — Ich glaube, sagte sie lächelnd, die Sache hat mir von Allen am wenigsten Schreck gemacht; was hilft auch das Fürchten? Gefahr ist überall; und schon häufig hab' ich bemerkt, daß uns die Uebel, welche uns am meisten Sorge machen, am wenigsten treffen, dagegen andere, an die wir gar nicht gedacht haben. — Die Hauptsache ist, daß man sich auf seine Glieder verlassen kann, sagte der während der letzten Worte eingetretene Turner. — Das nützt verdammt wenig, rief der ihm folgende Postmeister, wenn man sich nicht auf seinen Verstand verlassen kann; und es zeigt verdammt wenig Verstand, bei drei Grad Kälte auf dem Kutschendache zu fahren und den Leuten ins Gesicht zu springen.

Der Turner suchte ihn zu begütigen; der Postmeister sagte: Nun, die Sache ist abgemacht. Wer von den Herrschaften reis't weiter?

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/20>, abgerufen am 25.04.2024.