Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.werden mir wenigstens zugeben, daß es, wenn es auch gerade kein sehr gesundes, doch ein halb geistiges, ein so zu sagen philosophisches Vergnügen ist. Philosophisches Vergnügen? versetzte er höhnisch; was Philosophie! ich halte nichts davon. Das Wort klingt nicht deutsch, und die Sache ist auch nicht deutsch. Das ist so ein welscher Tand, den die fränkischen Gottesläugner bei uns eingeschwärzt haben, der Voltaire und Rousseau, und wie sie alle heißen. Nein, Landsmann! traut nimmer auf den philosophischen Quark. Frommer Glaubensmuth und keusche Kraft allein können uns retten. Frisch, frei, fröhlich, fromm -- das muß jetzt die Lösung sein. Diese Rede erfüllte mich mit heftigem Schrecken. Ich merkte wohl, daß ich einen jener wunderlichen Ordensbrüder vor mir hatte, welche in der Hasenhaide bei Berlin am "Reck" und "Schwingel" für die Rettung Deutschlands arbeiteten. Ich erkannte zugleich, welch einen guten Kern die ungeschlachte Außenseite dieses Jünglings barg, und hätte ihm gern versichert, daß ich trotz meiner Tabakspfeife seine vaterländische Gesinnung theilte. Aber der Gedanke an meinen unheimlichen Nachbar, der jetzt vielleicht schon im Stillen aus jener Rede eine Denunciation formulirte, schnürte mir die Kehle zusammen, und ich erwiderte kein Wort. Zu meinem Entsetzen aber fuhr der junge Mensch fort, sich in seinen Lieblingsbetrachtungen zu ergehen. Ja, ja, sagte er, wir haben uns Alle schwer versündigt, und dafür müssen wir jetzt büsen. Die Franken haben es herrlich verstanden uns zu verderben. Erst schickten sie uns ihre philosophischen Giftpulver aus der Voltaire'schen Apotheke und die schmutzigen Romänchen aus Crebillon's Küche über den Rhein; und ach! wie schnalzten wir danach mit dem Zünglein! wie mundete unsern Großen und Schöngeistern die neue Kost! wie gierig verschlangen wir das Gift, das uns ausmergelte und siech machte an Sinn und Sitten. Aber danach kam werden mir wenigstens zugeben, daß es, wenn es auch gerade kein sehr gesundes, doch ein halb geistiges, ein so zu sagen philosophisches Vergnügen ist. Philosophisches Vergnügen? versetzte er höhnisch; was Philosophie! ich halte nichts davon. Das Wort klingt nicht deutsch, und die Sache ist auch nicht deutsch. Das ist so ein welscher Tand, den die fränkischen Gottesläugner bei uns eingeschwärzt haben, der Voltaire und Rousseau, und wie sie alle heißen. Nein, Landsmann! traut nimmer auf den philosophischen Quark. Frommer Glaubensmuth und keusche Kraft allein können uns retten. Frisch, frei, fröhlich, fromm — das muß jetzt die Lösung sein. Diese Rede erfüllte mich mit heftigem Schrecken. Ich merkte wohl, daß ich einen jener wunderlichen Ordensbrüder vor mir hatte, welche in der Hasenhaide bei Berlin am „Reck“ und „Schwingel“ für die Rettung Deutschlands arbeiteten. Ich erkannte zugleich, welch einen guten Kern die ungeschlachte Außenseite dieses Jünglings barg, und hätte ihm gern versichert, daß ich trotz meiner Tabakspfeife seine vaterländische Gesinnung theilte. Aber der Gedanke an meinen unheimlichen Nachbar, der jetzt vielleicht schon im Stillen aus jener Rede eine Denunciation formulirte, schnürte mir die Kehle zusammen, und ich erwiderte kein Wort. Zu meinem Entsetzen aber fuhr der junge Mensch fort, sich in seinen Lieblingsbetrachtungen zu ergehen. Ja, ja, sagte er, wir haben uns Alle schwer versündigt, und dafür müssen wir jetzt büsen. Die Franken haben es herrlich verstanden uns zu verderben. Erst schickten sie uns ihre philosophischen Giftpulver aus der Voltaire'schen Apotheke und die schmutzigen Romänchen aus Crebillon's Küche über den Rhein; und ach! wie schnalzten wir danach mit dem Zünglein! wie mundete unsern Großen und Schöngeistern die neue Kost! wie gierig verschlangen wir das Gift, das uns ausmergelte und siech machte an Sinn und Sitten. Aber danach kam <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0013"/> werden mir wenigstens zugeben, daß es, wenn es auch gerade kein sehr gesundes, doch ein halb geistiges, ein so zu sagen philosophisches Vergnügen ist.</p><lb/> <p>Philosophisches Vergnügen? versetzte er höhnisch; was Philosophie! ich halte nichts davon. Das Wort klingt nicht deutsch, und die Sache ist auch nicht deutsch. Das ist so ein welscher Tand, den die fränkischen Gottesläugner bei uns eingeschwärzt haben, der Voltaire und Rousseau, und wie sie alle heißen. Nein, Landsmann! traut nimmer auf den philosophischen Quark. 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Die Franken haben es herrlich verstanden uns zu verderben. Erst schickten sie uns ihre philosophischen Giftpulver aus der Voltaire'schen Apotheke und die schmutzigen Romänchen aus Crebillon's Küche über den Rhein; und ach! wie schnalzten wir danach mit dem Zünglein! wie mundete unsern Großen und Schöngeistern die neue Kost! wie gierig verschlangen wir das Gift, das uns ausmergelte und siech machte an Sinn und Sitten. Aber danach kam<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0013]
werden mir wenigstens zugeben, daß es, wenn es auch gerade kein sehr gesundes, doch ein halb geistiges, ein so zu sagen philosophisches Vergnügen ist.
Philosophisches Vergnügen? versetzte er höhnisch; was Philosophie! ich halte nichts davon. Das Wort klingt nicht deutsch, und die Sache ist auch nicht deutsch. Das ist so ein welscher Tand, den die fränkischen Gottesläugner bei uns eingeschwärzt haben, der Voltaire und Rousseau, und wie sie alle heißen. Nein, Landsmann! traut nimmer auf den philosophischen Quark. Frommer Glaubensmuth und keusche Kraft allein können uns retten. Frisch, frei, fröhlich, fromm — das muß jetzt die Lösung sein.
Diese Rede erfüllte mich mit heftigem Schrecken. Ich merkte wohl, daß ich einen jener wunderlichen Ordensbrüder vor mir hatte, welche in der Hasenhaide bei Berlin am „Reck“ und „Schwingel“ für die Rettung Deutschlands arbeiteten. Ich erkannte zugleich, welch einen guten Kern die ungeschlachte Außenseite dieses Jünglings barg, und hätte ihm gern versichert, daß ich trotz meiner Tabakspfeife seine vaterländische Gesinnung theilte. Aber der Gedanke an meinen unheimlichen Nachbar, der jetzt vielleicht schon im Stillen aus jener Rede eine Denunciation formulirte, schnürte mir die Kehle zusammen, und ich erwiderte kein Wort.
Zu meinem Entsetzen aber fuhr der junge Mensch fort, sich in seinen Lieblingsbetrachtungen zu ergehen. Ja, ja, sagte er, wir haben uns Alle schwer versündigt, und dafür müssen wir jetzt büsen. Die Franken haben es herrlich verstanden uns zu verderben. Erst schickten sie uns ihre philosophischen Giftpulver aus der Voltaire'schen Apotheke und die schmutzigen Romänchen aus Crebillon's Küche über den Rhein; und ach! wie schnalzten wir danach mit dem Zünglein! wie mundete unsern Großen und Schöngeistern die neue Kost! wie gierig verschlangen wir das Gift, das uns ausmergelte und siech machte an Sinn und Sitten. Aber danach kam
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Zitationshilfe: | Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/13>, abgerufen am 16.07.2024. |