Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Kulturmensch hat mit der Nahrungs-Aufnahme solange zu warten, bis eine ungeheure Sehnsucht nach Speise eingetreten ist, fast eine Speise-Liebe! Was der erhöhte beschleunigte Stoffwechsel einer Bergpartie in 5 Stunden an Nahrungs-Sehnsucht in dir erzeugt, erzeugt das gewöhnliche Leben erst in doppelter, dreifacher, vierfacher Zeit. Kraft haben zu warten ist Alles. Auf seine tiefste Nahrungs-Sehnsucht warten können! Die Erlösung hinausschieben, hinausschieben! Heiliger Satz: Iss erst, bis du hungrig, höre auf, ehe du satt bist! Es muss zu einer "fixen Idee" werden, zu einer Religion. Ideale Forderung: Der gesamte Verdauungsapparat sei rein und in Ruhe, bevor neue Nahrungszufuhr eintritt. Nahrungszufuhr muss eine unentrinnbare Notwendigkeit sein. Darin allein bestehe ihr Genuss! Das Unentrinnbare allein sei unser Gesetz!

[Abbildung]

Kindern, die hungrig sind, schwerverdauliche, wenig nahrhafte Dinge zu geben, ist ein verbrecherischer Idiotismus.

Oft sieht man dieses zarte edle Maschinchen bereit, eine wunderbare Arbeit zu verrichten. Aber die "Erwachsenen" stopfen gleichsam Häcksel und Holzspäne hinein! Nur der Wissende kann gütig sein!

[Abbildung]

Der Kulturmensch hat mit der Nahrungs-Aufnahme solange zu warten, bis eine ungeheure Sehnsucht nach Speise eingetreten ist, fast eine Speise-Liebe! Was der erhöhte beschleunigte Stoffwechsel einer Bergpartie in 5 Stunden an Nahrungs-Sehnsucht in dir erzeugt, erzeugt das gewöhnliche Leben erst in doppelter, dreifacher, vierfacher Zeit. Kraft haben zu warten ist Alles. Auf seine tiefste Nahrungs-Sehnsucht warten können! Die Erlösung hinausschieben, hinausschieben! Heiliger Satz: Iss erst, bis du hungrig, höre auf, ehe du satt bist! Es muss zu einer „fixen Idee“ werden, zu einer Religion. Ideale Forderung: Der gesamte Verdauungsapparat sei rein und in Ruhe, bevor neue Nahrungszufuhr eintritt. Nahrungszufuhr muss eine unentrinnbare Notwendigkeit sein. Darin allein bestehe ihr Genuss! Das Unentrinnbare allein sei unser Gesetz!

[Abbildung]

Kindern, die hungrig sind, schwerverdauliche, wenig nahrhafte Dinge zu geben, ist ein verbrecherischer Idiotismus.

Oft sieht man dieses zarte edle Maschinchen bereit, eine wunderbare Arbeit zu verrichten. Aber die „Erwachsenen“ stopfen gleichsam Häcksel und Holzspäne hinein! Nur der Wissende kann gütig sein!

[Abbildung]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0032" n="32"/>
        <p>Der Kulturmensch hat mit der Nahrungs-Aufnahme solange zu warten, bis eine <hi rendition="#g">ungeheure</hi> Sehnsucht <hi rendition="#g">nach Speise eingetreten ist, fast eine</hi> Speise-Liebe! Was der erhöhte beschleunigte Stoffwechsel einer Bergpartie in 5 Stunden an Nahrungs-Sehnsucht in dir erzeugt, erzeugt das gewöhnliche Leben erst in doppelter, dreifacher, vierfacher Zeit. Kraft haben zu <hi rendition="#g">warten</hi> ist Alles. Auf seine tiefste Nahrungs-Sehnsucht warten können! Die Erlösung hinausschieben, hinausschieben! Heiliger Satz: Iss erst, <hi rendition="#g">bis</hi> du hungrig, höre auf, <hi rendition="#g">ehe</hi> du satt bist! Es muss zu einer &#x201E;fixen Idee&#x201C; werden, zu einer Religion. Ideale Forderung: Der gesamte Verdauungsapparat sei <hi rendition="#g">rein</hi> und <hi rendition="#g">in Ruhe</hi>, bevor neue Nahrungszufuhr eintritt. Nahrungszufuhr muss eine <hi rendition="#g">unentrinnbare Notwendigkeit</hi> sein. Darin allein bestehe ihr Genuss! Das <hi rendition="#g">Unentrinnbare</hi> allein sei unser Gesetz!</p>
        <figure/><lb/>
        <p>Kindern, die hungrig sind, schwerverdauliche, wenig nahrhafte Dinge zu geben, ist ein verbrecherischer Idiotismus.</p>
        <p>Oft sieht man dieses zarte edle Maschinchen bereit, eine wunderbare Arbeit zu verrichten. Aber die &#x201E;Erwachsenen&#x201C; stopfen gleichsam Häcksel und Holzspäne hinein! Nur der <hi rendition="#g">Wissende</hi> kann <hi rendition="#g">gütig</hi> sein!</p>
        <figure/><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0032] Der Kulturmensch hat mit der Nahrungs-Aufnahme solange zu warten, bis eine ungeheure Sehnsucht nach Speise eingetreten ist, fast eine Speise-Liebe! Was der erhöhte beschleunigte Stoffwechsel einer Bergpartie in 5 Stunden an Nahrungs-Sehnsucht in dir erzeugt, erzeugt das gewöhnliche Leben erst in doppelter, dreifacher, vierfacher Zeit. Kraft haben zu warten ist Alles. Auf seine tiefste Nahrungs-Sehnsucht warten können! Die Erlösung hinausschieben, hinausschieben! Heiliger Satz: Iss erst, bis du hungrig, höre auf, ehe du satt bist! Es muss zu einer „fixen Idee“ werden, zu einer Religion. Ideale Forderung: Der gesamte Verdauungsapparat sei rein und in Ruhe, bevor neue Nahrungszufuhr eintritt. Nahrungszufuhr muss eine unentrinnbare Notwendigkeit sein. Darin allein bestehe ihr Genuss! Das Unentrinnbare allein sei unser Gesetz! [Abbildung] Kindern, die hungrig sind, schwerverdauliche, wenig nahrhafte Dinge zu geben, ist ein verbrecherischer Idiotismus. Oft sieht man dieses zarte edle Maschinchen bereit, eine wunderbare Arbeit zu verrichten. Aber die „Erwachsenen“ stopfen gleichsam Häcksel und Holzspäne hinein! Nur der Wissende kann gütig sein! [Abbildung]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-04-18T07:14:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-04-18T07:14:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-04-18T07:14:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/altenberg_prodromos_1906
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/altenberg_prodromos_1906/32
Zitationshilfe: Altenberg, Peter: Pròdrŏmŏs. 2. Aufl. Berlin, 1906, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/altenberg_prodromos_1906/32>, abgerufen am 22.11.2024.