Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.lauschte er, ob er keinen verwandten Laut auffange. Vergebens. Das mochten baskirische, kalmuckische, tatarische und samojedische Sprachen sein; kein Wort darunter, das er verstand. Und doch, in einiger Entfernung hörte er schlechte polnische Worte. -- Es war ein Jude. Er hätte ihn ans Herz drücken mögen, und hätte er von Schmutz gestarrt. -- Gütiger Gott! was war das für ein Ton? -- Ein deutscher Mund, deutsche Worte, nur zwei, ein Schritt von ihm, deutlich klang es: Du lieber Himmel, da bringen sie wieder Einen nach Sibirien! -- Ein Schrei des Entzückens brach unwillkürlich aus der Brust, strömte über die Lippen, er weinte, er streckte die Arme aus, er küßte das Leder des Wagens. -- Die Stimme war verstummt, keine Entgegnung, die Peitsche knallte, und der Wagen rollte über die Steine. Bald war das Steinpflaster, bald das summende Marktgewühl verschwunden. Die Strafe folgte nach. Ueber Monatsfrist ward der Gefangene kaum aus dem Wagen gelassen. Vermuthlich mied man absichtlich wieder die große Straße. Die monotone Stille gewann durch die eintretende Kälte an drückendem Gewicht. War es der Winter allein, oder die Nähe des furchtbaren Bestimmungsorts? Eine unsichtbare Hand reichte ihm einen großen Fuchspelz, sich darin vor Kälte zu schützen, es war das erste Zeichen der Versöhnung von Seiten seiner unsichtbaren Gewalthaber. Aber konnten Pelze, Mützen, Fußsäcke, wärmende, starke Getränke die Lichtlosigkeit seines Käfichs lauschte er, ob er keinen verwandten Laut auffange. Vergebens. Das mochten baskirische, kalmuckische, tatarische und samojedische Sprachen sein; kein Wort darunter, das er verstand. Und doch, in einiger Entfernung hörte er schlechte polnische Worte. — Es war ein Jude. Er hätte ihn ans Herz drücken mögen, und hätte er von Schmutz gestarrt. — Gütiger Gott! was war das für ein Ton? — Ein deutscher Mund, deutsche Worte, nur zwei, ein Schritt von ihm, deutlich klang es: Du lieber Himmel, da bringen sie wieder Einen nach Sibirien! — Ein Schrei des Entzückens brach unwillkürlich aus der Brust, strömte über die Lippen, er weinte, er streckte die Arme aus, er küßte das Leder des Wagens. — Die Stimme war verstummt, keine Entgegnung, die Peitsche knallte, und der Wagen rollte über die Steine. Bald war das Steinpflaster, bald das summende Marktgewühl verschwunden. Die Strafe folgte nach. Ueber Monatsfrist ward der Gefangene kaum aus dem Wagen gelassen. Vermuthlich mied man absichtlich wieder die große Straße. Die monotone Stille gewann durch die eintretende Kälte an drückendem Gewicht. War es der Winter allein, oder die Nähe des furchtbaren Bestimmungsorts? Eine unsichtbare Hand reichte ihm einen großen Fuchspelz, sich darin vor Kälte zu schützen, es war das erste Zeichen der Versöhnung von Seiten seiner unsichtbaren Gewalthaber. Aber konnten Pelze, Mützen, Fußsäcke, wärmende, starke Getränke die Lichtlosigkeit seines Käfichs <TEI> <text> <body> <div n="7"> <p><pb facs="#f0093"/> lauschte er, ob er keinen verwandten Laut auffange. Vergebens. Das mochten baskirische, kalmuckische, tatarische und samojedische Sprachen sein; kein Wort darunter, das er verstand. Und doch, in einiger Entfernung hörte er schlechte polnische Worte. — Es war ein Jude. Er hätte ihn ans Herz drücken mögen, und hätte er von Schmutz gestarrt. — Gütiger Gott! was war das für ein Ton? — Ein deutscher Mund, deutsche Worte, nur zwei, ein Schritt von ihm, deutlich klang es: Du lieber Himmel, da bringen sie wieder Einen nach Sibirien! — Ein Schrei des Entzückens brach unwillkürlich aus der Brust, strömte über die Lippen, er weinte, er streckte die Arme aus, er küßte das Leder des Wagens. — Die Stimme war verstummt, keine Entgegnung, die Peitsche knallte, und der Wagen rollte über die Steine. Bald war das Steinpflaster, bald das summende Marktgewühl verschwunden.</p><lb/> <p>Die Strafe folgte nach. Ueber Monatsfrist ward der Gefangene kaum aus dem Wagen gelassen. Vermuthlich mied man absichtlich wieder die große Straße. Die monotone Stille gewann durch die eintretende Kälte an drückendem Gewicht. War es der Winter allein, oder die Nähe des furchtbaren Bestimmungsorts? Eine unsichtbare Hand reichte ihm einen großen Fuchspelz, sich darin vor Kälte zu schützen, es war das erste Zeichen der Versöhnung von Seiten seiner unsichtbaren Gewalthaber. Aber konnten Pelze, Mützen, Fußsäcke, wärmende, starke Getränke die Lichtlosigkeit seines Käfichs<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0093]
lauschte er, ob er keinen verwandten Laut auffange. Vergebens. Das mochten baskirische, kalmuckische, tatarische und samojedische Sprachen sein; kein Wort darunter, das er verstand. Und doch, in einiger Entfernung hörte er schlechte polnische Worte. — Es war ein Jude. Er hätte ihn ans Herz drücken mögen, und hätte er von Schmutz gestarrt. — Gütiger Gott! was war das für ein Ton? — Ein deutscher Mund, deutsche Worte, nur zwei, ein Schritt von ihm, deutlich klang es: Du lieber Himmel, da bringen sie wieder Einen nach Sibirien! — Ein Schrei des Entzückens brach unwillkürlich aus der Brust, strömte über die Lippen, er weinte, er streckte die Arme aus, er küßte das Leder des Wagens. — Die Stimme war verstummt, keine Entgegnung, die Peitsche knallte, und der Wagen rollte über die Steine. Bald war das Steinpflaster, bald das summende Marktgewühl verschwunden.
Die Strafe folgte nach. Ueber Monatsfrist ward der Gefangene kaum aus dem Wagen gelassen. Vermuthlich mied man absichtlich wieder die große Straße. Die monotone Stille gewann durch die eintretende Kälte an drückendem Gewicht. War es der Winter allein, oder die Nähe des furchtbaren Bestimmungsorts? Eine unsichtbare Hand reichte ihm einen großen Fuchspelz, sich darin vor Kälte zu schützen, es war das erste Zeichen der Versöhnung von Seiten seiner unsichtbaren Gewalthaber. Aber konnten Pelze, Mützen, Fußsäcke, wärmende, starke Getränke die Lichtlosigkeit seines Käfichs
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Zitationshilfe: | Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/93>, abgerufen am 16.07.2024. |