Alles das wußte der Rittmeister von Dohleneck; oder vielmehr, es trat jetzt vor seine Seele, wie ein Zauberkünstler auf schwarzem Grunde plötzlich die bunten Bilder der Erinnerung vor dem Auge auf¬ rollen läßt. Der Wein, der zur Taube, zum Tiger, zum Bären verwandelt, war der Magier. Es war in dem Rittmeister Alles klar. Aber es stand keine Thräne in seinem Auge, er sprang nicht auf zu einem wilden Satze, er brummte auch nicht mit geschlosse¬ nen Zähnen. Der Wein übt noch eine vierte Macht, er senkt die süße Schwermuth über die Seele seines Opfers, die Schwermuth, welche auch über den Glück¬ lichen wie ein feuchter Nebel sich lagert, Balsam der heißen Brust.
Der Rittmeister von Dohleneck wollte einmal Philosophie studiren. Wir zweifeln, daß er den Vor¬ satz ausgeführt hat, aber in seiner Brust mußte sich etwas von dem Stoicismus regen, der in großen Katastrophen den Schwachen stark, den Gedanken¬ losen zum Denker macht. Er blieb plötzlich auf dem Damme stehen, unbekümmert um den bekümmerten Blick, den Walter nach dem andern Ende der Straße richtete. Auch von hier kam eine Patrouille ihnen entgegen. Er drückte die freie Hand an die Brust:
"Wozu strampeln gegen das, was man nicht ändert! Das Fatum! Nun weiß ich's. -- Ob's der Teufel ist, das weiß ich nicht, aber es ist was, worüber ein ehrlicher Kerl nicht weg kann. Man möchte nicht, aber es packt Einen -- Schulden, Liebe,
Alles das wußte der Rittmeiſter von Dohleneck; oder vielmehr, es trat jetzt vor ſeine Seele, wie ein Zauberkünſtler auf ſchwarzem Grunde plötzlich die bunten Bilder der Erinnerung vor dem Auge auf¬ rollen läßt. Der Wein, der zur Taube, zum Tiger, zum Bären verwandelt, war der Magier. Es war in dem Rittmeiſter Alles klar. Aber es ſtand keine Thräne in ſeinem Auge, er ſprang nicht auf zu einem wilden Satze, er brummte auch nicht mit geſchloſſe¬ nen Zähnen. Der Wein übt noch eine vierte Macht, er ſenkt die ſüße Schwermuth über die Seele ſeines Opfers, die Schwermuth, welche auch über den Glück¬ lichen wie ein feuchter Nebel ſich lagert, Balſam der heißen Bruſt.
Der Rittmeiſter von Dohleneck wollte einmal Philoſophie ſtudiren. Wir zweifeln, daß er den Vor¬ ſatz ausgeführt hat, aber in ſeiner Bruſt mußte ſich etwas von dem Stoicismus regen, der in großen Kataſtrophen den Schwachen ſtark, den Gedanken¬ loſen zum Denker macht. Er blieb plötzlich auf dem Damme ſtehen, unbekümmert um den bekümmerten Blick, den Walter nach dem andern Ende der Straße richtete. Auch von hier kam eine Patrouille ihnen entgegen. Er drückte die freie Hand an die Bruſt:
„Wozu ſtrampeln gegen das, was man nicht ändert! Das Fatum! Nun weiß ich's. — Ob's der Teufel iſt, das weiß ich nicht, aber es iſt was, worüber ein ehrlicher Kerl nicht weg kann. Man möchte nicht, aber es packt Einen — Schulden, Liebe,
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Alles das wußte der Rittmeiſter von Dohleneck;
oder vielmehr, es trat jetzt vor ſeine Seele, wie ein
Zauberkünſtler auf ſchwarzem Grunde plötzlich die
bunten Bilder der Erinnerung vor dem Auge auf¬
rollen läßt. Der Wein, der zur Taube, zum Tiger,
zum Bären verwandelt, war der Magier. Es war
in dem Rittmeiſter Alles klar. Aber es ſtand keine
Thräne in ſeinem Auge, er ſprang nicht auf zu einem
wilden Satze, er brummte auch nicht mit geſchloſſe¬
nen Zähnen. Der Wein übt noch eine vierte Macht,
er ſenkt die ſüße Schwermuth über die Seele ſeines
Opfers, die Schwermuth, welche auch über den Glück¬
lichen wie ein feuchter Nebel ſich lagert, Balſam der
heißen Bruſt.
Der Rittmeiſter von Dohleneck wollte einmal
Philoſophie ſtudiren. Wir zweifeln, daß er den Vor¬
ſatz ausgeführt hat, aber in ſeiner Bruſt mußte ſich
etwas von dem Stoicismus regen, der in großen
Kataſtrophen den Schwachen ſtark, den Gedanken¬
loſen zum Denker macht. Er blieb plötzlich auf dem
Damme ſtehen, unbekümmert um den bekümmerten
Blick, den Walter nach dem andern Ende der Straße
richtete. Auch von hier kam eine Patrouille ihnen
entgegen. Er drückte die freie Hand an die Bruſt:
„Wozu ſtrampeln gegen das, was man nicht
ändert! Das Fatum! Nun weiß ich's. — Ob's der
Teufel iſt, das weiß ich nicht, aber es iſt was,
worüber ein ehrlicher Kerl nicht weg kann. Man
möchte nicht, aber es packt Einen — Schulden, Liebe,
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/69>, abgerufen am 21.11.2024.
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