Tausend wüste Nachrichten schwirrten durch Wei¬ mar, als sie es verließ. Alles hatte sich verändert, der Feind kam nicht von daher, wo man ihn erwar¬ tete, sondern griff vom Rücken an. So viel wußte man schon, nicht, wie weit er vorgedrungen. Die festen Positionen an der Saale mußten ihn doch auf¬ halten! Aber überall auf der Straße: ver¬ fahrnes Fuhrwerk, Maraudeure, Kranke, umgestürzte, geplünderte Bagagewagen, versprengte Flüchtlinge, die, jenseits der Saale durch die ersten Angriffe der Franzosen geworfen, jetzt ihre Corps aufsuchten. Viele suchten sie auch nicht. Bei Lobeda war die sächsische Bagage, ehe die Franzosen erschienen, von den eignen Trainknechten aufgegeben, überfallen und geplündert worden. Wer mochte unter den Hunder¬ ten, die davon auf der Straße erzählten, die Vorfallen¬ heiten vergrößerten, ausschmückten, die Beraubten immer von den Räubern unterscheiden! Wohin war schon jetzt der Zauber der Autorität, wenn man Mühe hatte, für den königlichen Wagen Platz zu machen.
In jenem Dorfe mochte die Ankunft der Monar¬ chin eine Katastrophe abgewendet haben. Verwilderte Schaaren Zersprengter, die sich eingelagert, machten Miene, das Mein und Dein zu vergessen. 'S ist Krieg, da hört Alles auf! hörte die Königin mit eignen Ohren. Welche Schadenfreude auf den Ge¬ sichtern jener Soldaten, die an der Hecke nicht schul¬ terten, und sie trugen den preußischen Rock, sie wu߬ ten, daß es ihre Königin war. Es sind ausgehobene
Tauſend wüſte Nachrichten ſchwirrten durch Wei¬ mar, als ſie es verließ. Alles hatte ſich verändert, der Feind kam nicht von daher, wo man ihn erwar¬ tete, ſondern griff vom Rücken an. So viel wußte man ſchon, nicht, wie weit er vorgedrungen. Die feſten Poſitionen an der Saale mußten ihn doch auf¬ halten! Aber überall auf der Straße: ver¬ fahrnes Fuhrwerk, Maraudeure, Kranke, umgeſtürzte, geplünderte Bagagewagen, verſprengte Flüchtlinge, die, jenſeits der Saale durch die erſten Angriffe der Franzoſen geworfen, jetzt ihre Corps aufſuchten. Viele ſuchten ſie auch nicht. Bei Lobeda war die ſächſiſche Bagage, ehe die Franzoſen erſchienen, von den eignen Trainknechten aufgegeben, überfallen und geplündert worden. Wer mochte unter den Hunder¬ ten, die davon auf der Straße erzählten, die Vorfallen¬ heiten vergrößerten, ausſchmückten, die Beraubten immer von den Räubern unterſcheiden! Wohin war ſchon jetzt der Zauber der Autorität, wenn man Mühe hatte, für den königlichen Wagen Platz zu machen.
In jenem Dorfe mochte die Ankunft der Monar¬ chin eine Kataſtrophe abgewendet haben. Verwilderte Schaaren Zerſprengter, die ſich eingelagert, machten Miene, das Mein und Dein zu vergeſſen. 'S iſt Krieg, da hört Alles auf! hörte die Königin mit eignen Ohren. Welche Schadenfreude auf den Ge¬ ſichtern jener Soldaten, die an der Hecke nicht ſchul¬ terten, und ſie trugen den preußiſchen Rock, ſie wu߬ ten, daß es ihre Königin war. Es ſind ausgehobene
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Tauſend wüſte Nachrichten ſchwirrten durch Wei¬
mar, als ſie es verließ. Alles hatte ſich verändert,
der Feind kam nicht von daher, wo man ihn erwar¬
tete, ſondern griff vom Rücken an. So viel wußte
man ſchon, nicht, wie weit er vorgedrungen. Die
feſten Poſitionen an der Saale mußten ihn doch auf¬
halten! Aber überall auf der Straße: ver¬
fahrnes Fuhrwerk, Maraudeure, Kranke, umgeſtürzte,
geplünderte Bagagewagen, verſprengte Flüchtlinge,
die, jenſeits der Saale durch die erſten Angriffe der
Franzoſen geworfen, jetzt ihre Corps aufſuchten.
Viele ſuchten ſie auch nicht. Bei Lobeda war die
ſächſiſche Bagage, ehe die Franzoſen erſchienen, von
den eignen Trainknechten aufgegeben, überfallen und
geplündert worden. Wer mochte unter den Hunder¬
ten, die davon auf der Straße erzählten, die Vorfallen¬
heiten vergrößerten, ausſchmückten, die Beraubten
immer von den Räubern unterſcheiden! Wohin war
ſchon jetzt der Zauber der Autorität, wenn man Mühe
hatte, für den königlichen Wagen Platz zu machen.
In jenem Dorfe mochte die Ankunft der Monar¬
chin eine Kataſtrophe abgewendet haben. Verwilderte
Schaaren Zerſprengter, die ſich eingelagert, machten
Miene, das Mein und Dein zu vergeſſen. 'S iſt
Krieg, da hört Alles auf! hörte die Königin mit
eignen Ohren. Welche Schadenfreude auf den Ge¬
ſichtern jener Soldaten, die an der Hecke nicht ſchul¬
terten, und ſie trugen den preußiſchen Rock, ſie wu߬
ten, daß es ihre Königin war. Es ſind ausgehobene
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/306>, abgerufen am 22.11.2024.
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