Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

stärkere Kriegsmacht, die, beweglich und elastisch, wie
ein Bergstrom hinabrauschend, die zerstreuten Feinde
durchbrechen, trennen, aufrollen, vernichten muß. Und
der größte Feldherr des Jahrhunderts gebietet über
ein Heer, das eine Einheit ist. Ja, mein Herr,
diese verdienen vernichtet zu werden, die Sie auf die
steilen Wände klimmen ließen, ohne den Versuch
nur, Sie daran zu hindern. Die mit Mann und
Roß und vollem Geschütz müßig, zaudernd, unschlüs¬
sig zusehen konnten, wie Napoleon sich auf diesen Hö¬
hen formirte, die keinen Angriff wagten und Ihre
Colonnen nicht in den Abgrund stürzten -- die sind
schon geschlagen, vernichtet."

Der Sprecher sank zurück und drückte sein Ge¬
sicht in das Heu. Mit gespannter Aufmerksamkeit
hatte der Capitain ihm zugehört. Mit Voranschickung
eines französischen Fluches schloß er: "In Ihnen ist
ein Soldat verloren!"

"Verloren -- verloren!" murmelte Bovillard
dumpf in sich.

"Warum, Kamerad? Der Mann ist's nie, wenn
er sich nicht selbst verloren giebt."

"Oder eine höhere Hand ihn schlug! -- Da
wieder!"

Er athmete krampfhaft auf. Die brennenden
Augen stierten in den Morgennebel. Die Hand machte
eine convulsivische Bewegung; er war im Fieber: --
"Morgen, morgen hinab -- mit meinem Vaterland!"

"Sehn Sie Geister?"

ſtärkere Kriegsmacht, die, beweglich und elaſtiſch, wie
ein Bergſtrom hinabrauſchend, die zerſtreuten Feinde
durchbrechen, trennen, aufrollen, vernichten muß. Und
der größte Feldherr des Jahrhunderts gebietet über
ein Heer, das eine Einheit iſt. Ja, mein Herr,
dieſe verdienen vernichtet zu werden, die Sie auf die
ſteilen Wände klimmen ließen, ohne den Verſuch
nur, Sie daran zu hindern. Die mit Mann und
Roß und vollem Geſchütz müßig, zaudernd, unſchlüſ¬
ſig zuſehen konnten, wie Napoleon ſich auf dieſen Hö¬
hen formirte, die keinen Angriff wagten und Ihre
Colonnen nicht in den Abgrund ſtürzten — die ſind
ſchon geſchlagen, vernichtet.“

Der Sprecher ſank zurück und drückte ſein Ge¬
ſicht in das Heu. Mit geſpannter Aufmerkſamkeit
hatte der Capitain ihm zugehört. Mit Voranſchickung
eines franzöſiſchen Fluches ſchloß er: „In Ihnen iſt
ein Soldat verloren!“

„Verloren — verloren!“ murmelte Bovillard
dumpf in ſich.

„Warum, Kamerad? Der Mann iſt's nie, wenn
er ſich nicht ſelbſt verloren giebt.“

„Oder eine höhere Hand ihn ſchlug! — Da
wieder!“

Er athmete krampfhaft auf. Die brennenden
Augen ſtierten in den Morgennebel. Die Hand machte
eine convulſiviſche Bewegung; er war im Fieber: —
„Morgen, morgen hinab — mit meinem Vaterland!“

„Sehn Sie Geiſter?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0293" n="283"/>
&#x017F;tärkere Kriegsmacht, die, beweglich und ela&#x017F;ti&#x017F;ch, wie<lb/>
ein Berg&#x017F;trom hinabrau&#x017F;chend, die zer&#x017F;treuten Feinde<lb/>
durchbrechen, trennen, aufrollen, vernichten muß. Und<lb/>
der größte Feldherr des Jahrhunderts gebietet über<lb/>
ein Heer, das eine Einheit i&#x017F;t. Ja, mein Herr,<lb/><hi rendition="#g">die&#x017F;e</hi> verdienen vernichtet zu werden, die Sie auf die<lb/>
&#x017F;teilen Wände klimmen ließen, ohne den Ver&#x017F;uch<lb/>
nur, Sie daran zu hindern. Die mit Mann und<lb/>
Roß und vollem Ge&#x017F;chütz müßig, zaudernd, un&#x017F;chlü&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;ig zu&#x017F;ehen konnten, wie Napoleon &#x017F;ich auf die&#x017F;en Hö¬<lb/>
hen formirte, die keinen Angriff wagten und Ihre<lb/>
Colonnen nicht in den Abgrund &#x017F;türzten &#x2014; die &#x017F;ind<lb/>
&#x017F;chon ge&#x017F;chlagen, vernichtet.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Sprecher &#x017F;ank zurück und drückte &#x017F;ein Ge¬<lb/>
&#x017F;icht in das Heu. Mit ge&#x017F;pannter Aufmerk&#x017F;amkeit<lb/>
hatte der Capitain ihm zugehört. Mit Voran&#x017F;chickung<lb/>
eines franzö&#x017F;i&#x017F;chen Fluches &#x017F;chloß er: &#x201E;In Ihnen i&#x017F;t<lb/>
ein Soldat verloren!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Verloren &#x2014; verloren!&#x201C; murmelte Bovillard<lb/>
dumpf in &#x017F;ich.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum, Kamerad? Der Mann i&#x017F;t's nie, wenn<lb/>
er &#x017F;ich nicht &#x017F;elb&#x017F;t verloren giebt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Oder eine höhere Hand ihn &#x017F;chlug! &#x2014; Da<lb/>
wieder!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er athmete krampfhaft auf. Die brennenden<lb/>
Augen &#x017F;tierten in den Morgennebel. Die Hand machte<lb/>
eine convul&#x017F;ivi&#x017F;che Bewegung; er war im Fieber: &#x2014;<lb/>
&#x201E;Morgen, morgen hinab &#x2014; mit meinem Vaterland!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sehn Sie Gei&#x017F;ter?&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[283/0293] ſtärkere Kriegsmacht, die, beweglich und elaſtiſch, wie ein Bergſtrom hinabrauſchend, die zerſtreuten Feinde durchbrechen, trennen, aufrollen, vernichten muß. Und der größte Feldherr des Jahrhunderts gebietet über ein Heer, das eine Einheit iſt. Ja, mein Herr, dieſe verdienen vernichtet zu werden, die Sie auf die ſteilen Wände klimmen ließen, ohne den Verſuch nur, Sie daran zu hindern. Die mit Mann und Roß und vollem Geſchütz müßig, zaudernd, unſchlüſ¬ ſig zuſehen konnten, wie Napoleon ſich auf dieſen Hö¬ hen formirte, die keinen Angriff wagten und Ihre Colonnen nicht in den Abgrund ſtürzten — die ſind ſchon geſchlagen, vernichtet.“ Der Sprecher ſank zurück und drückte ſein Ge¬ ſicht in das Heu. Mit geſpannter Aufmerkſamkeit hatte der Capitain ihm zugehört. Mit Voranſchickung eines franzöſiſchen Fluches ſchloß er: „In Ihnen iſt ein Soldat verloren!“ „Verloren — verloren!“ murmelte Bovillard dumpf in ſich. „Warum, Kamerad? Der Mann iſt's nie, wenn er ſich nicht ſelbſt verloren giebt.“ „Oder eine höhere Hand ihn ſchlug! — Da wieder!“ Er athmete krampfhaft auf. Die brennenden Augen ſtierten in den Morgennebel. Die Hand machte eine convulſiviſche Bewegung; er war im Fieber: — „Morgen, morgen hinab — mit meinem Vaterland!“ „Sehn Sie Geiſter?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/293
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/293>, abgerufen am 21.05.2024.