Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

"Und wie viele Völker gingen unter, um nie
wieder aufzustehen."

"Ist Deutschland schon Byzanz! Ist's Preußen?
Im Volke unten sind noch Erzstufen, die im rechten
Schmelzofen ein Glockenmetall geben. Die zu suchen
ist unsere heilige Pflicht; und daß schlechte Verwalter
dies ergiebige Bergwerk unverantwortlich verwüstet,
doppelte Aufgabe für uns, das Versäumte nachzu¬
holen."

Der Regierungsrath saß in Gedanken versunken,
den Kopf im Arm:

"Ist denn eine sittliche Weltordnung! -- Diese
Geschichte, die das Weltgericht sein soll, was ist sie
denn, wenn wir sie mikroskopisch betrachten! In ihren
großen Phasen ein wohl aufgezogenes Uhrwerk, aber
wir zu klein für diese Messungen, Infusorien, Schaum¬
theile, die die Woge über das ungeheure Rad gießt.
Auf die das Loos fiel, geboren zu werden, während
das Wasser stieg, schwärmen im Morgenrothsgefühl
der Titanen; die aber geboren wurden, um zu ster¬
ben, wenn es überschlägt, wurden Thränodisten oder
Stoiker. Da liegt der Kern."

Walter entgegnete: Wen die Geburt an großen
Scheidestunden auf die Welt gesetzt, sei geboren, auch
groß zu fühlen.

"O geben Sie mir wieder die Götterfunken, die
Fichte, Schiller uns in's Blut hauchten! Nur muß
man nicht Specialgeschichte studiren, nicht Akten lesen.
Da sinkt Ihre ideale Gerechtigkeit in's Reich der wesen¬

V. 2

„Und wie viele Völker gingen unter, um nie
wieder aufzuſtehen.“

„Iſt Deutſchland ſchon Byzanz! Iſt's Preußen?
Im Volke unten ſind noch Erzſtufen, die im rechten
Schmelzofen ein Glockenmetall geben. Die zu ſuchen
iſt unſere heilige Pflicht; und daß ſchlechte Verwalter
dies ergiebige Bergwerk unverantwortlich verwüſtet,
doppelte Aufgabe für uns, das Verſäumte nachzu¬
holen.“

Der Regierungsrath ſaß in Gedanken verſunken,
den Kopf im Arm:

„Iſt denn eine ſittliche Weltordnung! — Dieſe
Geſchichte, die das Weltgericht ſein ſoll, was iſt ſie
denn, wenn wir ſie mikroskopiſch betrachten! In ihren
großen Phaſen ein wohl aufgezogenes Uhrwerk, aber
wir zu klein für dieſe Meſſungen, Infuſorien, Schaum¬
theile, die die Woge über das ungeheure Rad gießt.
Auf die das Loos fiel, geboren zu werden, während
das Waſſer ſtieg, ſchwärmen im Morgenrothsgefühl
der Titanen; die aber geboren wurden, um zu ſter¬
ben, wenn es überſchlägt, wurden Thränodiſten oder
Stoiker. Da liegt der Kern.“

Walter entgegnete: Wen die Geburt an großen
Scheideſtunden auf die Welt geſetzt, ſei geboren, auch
groß zu fühlen.

„O geben Sie mir wieder die Götterfunken, die
Fichte, Schiller uns in's Blut hauchten! Nur muß
man nicht Specialgeſchichte ſtudiren, nicht Akten leſen.
Da ſinkt Ihre ideale Gerechtigkeit in's Reich der weſen¬

V. 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0027" n="17"/>
        <p>&#x201E;Und wie viele Völker gingen unter, um nie<lb/>
wieder aufzu&#x017F;tehen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;I&#x017F;t Deut&#x017F;chland &#x017F;chon Byzanz! I&#x017F;t's Preußen?<lb/>
Im Volke unten &#x017F;ind noch Erz&#x017F;tufen, die im rechten<lb/>
Schmelzofen ein Glockenmetall geben. Die zu &#x017F;uchen<lb/>
i&#x017F;t un&#x017F;ere heilige Pflicht; und daß &#x017F;chlechte Verwalter<lb/>
dies ergiebige Bergwerk unverantwortlich verwü&#x017F;tet,<lb/>
doppelte Aufgabe für uns, das Ver&#x017F;äumte nachzu¬<lb/>
holen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Regierungsrath &#x017F;aß in Gedanken ver&#x017F;unken,<lb/>
den Kopf im Arm:</p><lb/>
        <p>&#x201E;I&#x017F;t denn eine &#x017F;ittliche Weltordnung! &#x2014; Die&#x017F;e<lb/>
Ge&#x017F;chichte, die das Weltgericht &#x017F;ein &#x017F;oll, was i&#x017F;t &#x017F;ie<lb/>
denn, wenn wir &#x017F;ie mikroskopi&#x017F;ch betrachten! In ihren<lb/>
großen Pha&#x017F;en ein wohl aufgezogenes Uhrwerk, aber<lb/>
wir zu klein für die&#x017F;e Me&#x017F;&#x017F;ungen, Infu&#x017F;orien, Schaum¬<lb/>
theile, die die Woge über das ungeheure Rad gießt.<lb/>
Auf die das Loos fiel, geboren zu werden, während<lb/>
das Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;tieg, &#x017F;chwärmen im Morgenrothsgefühl<lb/>
der Titanen; die aber geboren wurden, um zu &#x017F;ter¬<lb/>
ben, wenn es über&#x017F;chlägt, wurden Thränodi&#x017F;ten oder<lb/>
Stoiker. Da liegt der Kern.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Walter entgegnete: Wen die Geburt an großen<lb/>
Scheide&#x017F;tunden auf die Welt ge&#x017F;etzt, &#x017F;ei geboren, auch<lb/>
groß zu fühlen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;O geben Sie mir wieder die Götterfunken, die<lb/>
Fichte, Schiller uns in's Blut hauchten! Nur muß<lb/>
man nicht Specialge&#x017F;chichte &#x017F;tudiren, nicht Akten le&#x017F;en.<lb/>
Da &#x017F;inkt Ihre ideale Gerechtigkeit in's Reich der we&#x017F;en¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">V</hi>. 2<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[17/0027] „Und wie viele Völker gingen unter, um nie wieder aufzuſtehen.“ „Iſt Deutſchland ſchon Byzanz! Iſt's Preußen? Im Volke unten ſind noch Erzſtufen, die im rechten Schmelzofen ein Glockenmetall geben. Die zu ſuchen iſt unſere heilige Pflicht; und daß ſchlechte Verwalter dies ergiebige Bergwerk unverantwortlich verwüſtet, doppelte Aufgabe für uns, das Verſäumte nachzu¬ holen.“ Der Regierungsrath ſaß in Gedanken verſunken, den Kopf im Arm: „Iſt denn eine ſittliche Weltordnung! — Dieſe Geſchichte, die das Weltgericht ſein ſoll, was iſt ſie denn, wenn wir ſie mikroskopiſch betrachten! In ihren großen Phaſen ein wohl aufgezogenes Uhrwerk, aber wir zu klein für dieſe Meſſungen, Infuſorien, Schaum¬ theile, die die Woge über das ungeheure Rad gießt. Auf die das Loos fiel, geboren zu werden, während das Waſſer ſtieg, ſchwärmen im Morgenrothsgefühl der Titanen; die aber geboren wurden, um zu ſter¬ ben, wenn es überſchlägt, wurden Thränodiſten oder Stoiker. Da liegt der Kern.“ Walter entgegnete: Wen die Geburt an großen Scheideſtunden auf die Welt geſetzt, ſei geboren, auch groß zu fühlen. „O geben Sie mir wieder die Götterfunken, die Fichte, Schiller uns in's Blut hauchten! Nur muß man nicht Specialgeſchichte ſtudiren, nicht Akten leſen. Da ſinkt Ihre ideale Gerechtigkeit in's Reich der weſen¬ V. 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/27
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/27>, abgerufen am 18.04.2024.