Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Das bestreite ich. In der Theorie mag es
richtig sein, in der Praxis grundfalsch. Bundes¬
genossen bringen Prätensionen mit, und beschweren,
hemmen die Macht, die zu entscheiden hat. Wodurch
siegte Friedrich? Weil er keine Bagage von Alliir¬
ten hatte, weil er immer frei handeln konnte. Wo¬
durch ist dies deutsche Reich mit seinem König und
Kaiser römischer Nation, das ehedem die Weltherr¬
schaft prätendirte, untergegangen? Weil seine Kai¬
ser nie frei handeln konnten; an den Rücksichten,
die sie allen möglichen Berechtigungen in dem bun¬
ten Reiche gewähren mußten. Oestreich verblutet,
England lassen wir auf seinem Brett im Meer Rule
Britannia
singen, die Frage steht nur noch zwischen
Frankreich und Rußland. Ich bin wenigstens des
Glaubens, daß Rußlands große Staatsmänner die
Sache so in's Auge fassen. Es ist der Kampf um
die Herrschaft auf dem Continent zwischen dem Oc¬
cident und dem Orient. Was soll, was hat da
mitzusprechen in diesem Kampfe zwischen zwei Ko¬
lossen die Bagatelle Preußen?"

"Und doch ist jetzt von ihr allein die Rede. Sie
ruft unsern Beistand an, wir gewähren ihn ihr.
Außerdem beruft sie sich auf geheiligte Rechte, die
mein Kaiser respectirt."

"Rechte! Sagen Sie, in aller Welt, was,
Prinzeß, gab diesem Pilz von gestern ein Recht, sich
unter die Großmächte einzuschieben, und wenn sie über
Weltfragen entscheiden, ein Wort mitzusprechen?"

„Das beſtreite ich. In der Theorie mag es
richtig ſein, in der Praxis grundfalſch. Bundes¬
genoſſen bringen Prätenſionen mit, und beſchweren,
hemmen die Macht, die zu entſcheiden hat. Wodurch
ſiegte Friedrich? Weil er keine Bagage von Alliir¬
ten hatte, weil er immer frei handeln konnte. Wo¬
durch iſt dies deutſche Reich mit ſeinem König und
Kaiſer römiſcher Nation, das ehedem die Weltherr¬
ſchaft prätendirte, untergegangen? Weil ſeine Kai¬
ſer nie frei handeln konnten; an den Rückſichten,
die ſie allen möglichen Berechtigungen in dem bun¬
ten Reiche gewähren mußten. Oeſtreich verblutet,
England laſſen wir auf ſeinem Brett im Meer Rule
Britannia
ſingen, die Frage ſteht nur noch zwiſchen
Frankreich und Rußland. Ich bin wenigſtens des
Glaubens, daß Rußlands große Staatsmänner die
Sache ſo in's Auge faſſen. Es iſt der Kampf um
die Herrſchaft auf dem Continent zwiſchen dem Oc¬
cident und dem Orient. Was ſoll, was hat da
mitzuſprechen in dieſem Kampfe zwiſchen zwei Ko¬
loſſen die Bagatelle Preußen?“

„Und doch iſt jetzt von ihr allein die Rede. Sie
ruft unſern Beiſtand an, wir gewähren ihn ihr.
Außerdem beruft ſie ſich auf geheiligte Rechte, die
mein Kaiſer reſpectirt.“

„Rechte! Sagen Sie, in aller Welt, was,
Prinzeß, gab dieſem Pilz von geſtern ein Recht, ſich
unter die Großmächte einzuſchieben, und wenn ſie über
Weltfragen entſcheiden, ein Wort mitzuſprechen?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0220" n="210"/>
        <p>&#x201E;Das be&#x017F;treite ich. In der Theorie mag es<lb/>
richtig &#x017F;ein, in der Praxis grundfal&#x017F;ch. Bundes¬<lb/>
geno&#x017F;&#x017F;en bringen Präten&#x017F;ionen mit, und be&#x017F;chweren,<lb/>
hemmen die Macht, die zu ent&#x017F;cheiden hat. Wodurch<lb/>
&#x017F;iegte Friedrich? Weil er keine Bagage von Alliir¬<lb/>
ten hatte, weil er immer frei handeln konnte. Wo¬<lb/>
durch i&#x017F;t dies deut&#x017F;che Reich mit &#x017F;einem König und<lb/>
Kai&#x017F;er römi&#x017F;cher Nation, das ehedem die Weltherr¬<lb/>
&#x017F;chaft prätendirte, untergegangen? Weil &#x017F;eine Kai¬<lb/>
&#x017F;er nie frei handeln konnten; an den Rück&#x017F;ichten,<lb/>
die &#x017F;ie allen möglichen Berechtigungen in dem bun¬<lb/>
ten Reiche gewähren mußten. Oe&#x017F;treich verblutet,<lb/>
England la&#x017F;&#x017F;en wir auf &#x017F;einem Brett im Meer <hi rendition="#aq">Rule<lb/>
Britannia</hi> &#x017F;ingen, die Frage &#x017F;teht nur noch zwi&#x017F;chen<lb/>
Frankreich und Rußland. Ich bin wenig&#x017F;tens des<lb/>
Glaubens, daß Rußlands große Staatsmänner die<lb/>
Sache &#x017F;o in's Auge fa&#x017F;&#x017F;en. Es i&#x017F;t der Kampf um<lb/>
die Herr&#x017F;chaft auf dem Continent zwi&#x017F;chen dem Oc¬<lb/>
cident und dem Orient. Was &#x017F;oll, was hat da<lb/>
mitzu&#x017F;prechen in die&#x017F;em Kampfe zwi&#x017F;chen zwei Ko¬<lb/>
lo&#x017F;&#x017F;en die Bagatelle Preußen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und doch i&#x017F;t jetzt von ihr allein die Rede. Sie<lb/>
ruft un&#x017F;ern Bei&#x017F;tand an, wir gewähren ihn ihr.<lb/>
Außerdem beruft &#x017F;ie &#x017F;ich auf geheiligte Rechte, die<lb/>
mein Kai&#x017F;er re&#x017F;pectirt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Rechte! Sagen Sie, in aller Welt, was,<lb/>
Prinzeß, gab die&#x017F;em Pilz von ge&#x017F;tern ein Recht, &#x017F;ich<lb/>
unter die Großmächte einzu&#x017F;chieben, und wenn &#x017F;ie über<lb/>
Weltfragen ent&#x017F;cheiden, ein Wort mitzu&#x017F;prechen?&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0220] „Das beſtreite ich. In der Theorie mag es richtig ſein, in der Praxis grundfalſch. Bundes¬ genoſſen bringen Prätenſionen mit, und beſchweren, hemmen die Macht, die zu entſcheiden hat. Wodurch ſiegte Friedrich? Weil er keine Bagage von Alliir¬ ten hatte, weil er immer frei handeln konnte. Wo¬ durch iſt dies deutſche Reich mit ſeinem König und Kaiſer römiſcher Nation, das ehedem die Weltherr¬ ſchaft prätendirte, untergegangen? Weil ſeine Kai¬ ſer nie frei handeln konnten; an den Rückſichten, die ſie allen möglichen Berechtigungen in dem bun¬ ten Reiche gewähren mußten. Oeſtreich verblutet, England laſſen wir auf ſeinem Brett im Meer Rule Britannia ſingen, die Frage ſteht nur noch zwiſchen Frankreich und Rußland. Ich bin wenigſtens des Glaubens, daß Rußlands große Staatsmänner die Sache ſo in's Auge faſſen. Es iſt der Kampf um die Herrſchaft auf dem Continent zwiſchen dem Oc¬ cident und dem Orient. Was ſoll, was hat da mitzuſprechen in dieſem Kampfe zwiſchen zwei Ko¬ loſſen die Bagatelle Preußen?“ „Und doch iſt jetzt von ihr allein die Rede. Sie ruft unſern Beiſtand an, wir gewähren ihn ihr. Außerdem beruft ſie ſich auf geheiligte Rechte, die mein Kaiſer reſpectirt.“ „Rechte! Sagen Sie, in aller Welt, was, Prinzeß, gab dieſem Pilz von geſtern ein Recht, ſich unter die Großmächte einzuſchieben, und wenn ſie über Weltfragen entſcheiden, ein Wort mitzuſprechen?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/220
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/220>, abgerufen am 23.11.2024.