verlangen, auch von ihren Aerzten getäuscht zu wer¬ den. Im Verlauf der Zeit war sie auch damit nicht zufrieden, sie wollte selbst operiren. Wie ich auch dagegen mich sträubte, sie bestellte sich bei Herrn Flitt¬ ner eine kleine Hausapotheke, und ich mußte den Vermittler spielen. Herr Regierungsrath, alles das sind schon Verdachtsgründe, auf die ein gewöhnlicher Richter mit beiden Fäusten zugreifen würde. Aber -- ich empfand eine Achtung für die seltene Frau, die mit jedem Tage wuchs, die, weil ich sie erwie¬ dert glaubte, zu einer Seelenharmonie ward. Und eben so offen gestehe ich Ihnen, ich träumte grade nicht davon, denn dazu bin ich zu alt, aber ich malte mir das Glück, dereinst den Rest meines Lebens an ihrer Seite verleben zu können. Dabei war nichts Arges von meiner Seite, denn mein seliger Freund war um zwanzig Jahre älter als seine Frau, kränk¬ lich, sehr kränklich, die Aerzte schenkten ihm kaum noch einige Frühlinge, obgleich sie es aus Schonung der Geheimräthin verschwiegen. Ich hatte mich ge¬ täuscht, auch das ist Ihnen bekannt. Sie gab mir einen Korb, als ich nach dem Hinscheiden des Edlen auf die schöne Fernsicht hinwies. Einen entschiede¬ nen, deutlichen Korb, indem sie mich zu enttäuschen suchte, daß sie je andre Empfindungen für mich ge¬ habt, als die einer Seelenharmonie. Hierin, behaupte ich eben so offen, hat sie sich getäuscht. Aber das ist das Eigenthümliche in diesen so für höhere Ein¬ flüsse immer gestimmten Seelen, daß sie den Ein¬
V. 13
verlangen, auch von ihren Aerzten getäuſcht zu wer¬ den. Im Verlauf der Zeit war ſie auch damit nicht zufrieden, ſie wollte ſelbſt operiren. Wie ich auch dagegen mich ſträubte, ſie beſtellte ſich bei Herrn Flitt¬ ner eine kleine Hausapotheke, und ich mußte den Vermittler ſpielen. Herr Regierungsrath, alles das ſind ſchon Verdachtsgründe, auf die ein gewöhnlicher Richter mit beiden Fäuſten zugreifen würde. Aber — ich empfand eine Achtung für die ſeltene Frau, die mit jedem Tage wuchs, die, weil ich ſie erwie¬ dert glaubte, zu einer Seelenharmonie ward. Und eben ſo offen geſtehe ich Ihnen, ich träumte grade nicht davon, denn dazu bin ich zu alt, aber ich malte mir das Glück, dereinſt den Reſt meines Lebens an ihrer Seite verleben zu können. Dabei war nichts Arges von meiner Seite, denn mein ſeliger Freund war um zwanzig Jahre älter als ſeine Frau, kränk¬ lich, ſehr kränklich, die Aerzte ſchenkten ihm kaum noch einige Frühlinge, obgleich ſie es aus Schonung der Geheimräthin verſchwiegen. Ich hatte mich ge¬ täuſcht, auch das iſt Ihnen bekannt. Sie gab mir einen Korb, als ich nach dem Hinſcheiden des Edlen auf die ſchöne Fernſicht hinwies. Einen entſchiede¬ nen, deutlichen Korb, indem ſie mich zu enttäuſchen ſuchte, daß ſie je andre Empfindungen für mich ge¬ habt, als die einer Seelenharmonie. Hierin, behaupte ich eben ſo offen, hat ſie ſich getäuſcht. Aber das iſt das Eigenthümliche in dieſen ſo für höhere Ein¬ flüſſe immer geſtimmten Seelen, daß ſie den Ein¬
V. 13
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0203"n="193"/>
verlangen, auch von ihren Aerzten getäuſcht zu wer¬<lb/>
den. Im Verlauf der Zeit war ſie auch damit nicht<lb/>
zufrieden, ſie wollte ſelbſt operiren. Wie ich auch<lb/>
dagegen mich ſträubte, ſie beſtellte ſich bei Herrn Flitt¬<lb/>
ner eine kleine Hausapotheke, und ich mußte den<lb/>
Vermittler ſpielen. Herr Regierungsrath, alles das<lb/>ſind ſchon Verdachtsgründe, auf die ein gewöhnlicher<lb/>
Richter mit beiden Fäuſten zugreifen würde. Aber<lb/>— ich empfand eine Achtung für die ſeltene Frau,<lb/>
die mit jedem Tage wuchs, die, weil ich ſie erwie¬<lb/>
dert glaubte, zu einer Seelenharmonie ward. Und<lb/>
eben ſo offen geſtehe ich Ihnen, ich träumte grade<lb/>
nicht davon, denn dazu bin ich zu alt, aber ich malte<lb/>
mir das Glück, dereinſt den Reſt meines Lebens an<lb/>
ihrer Seite verleben zu können. Dabei war nichts<lb/>
Arges von meiner Seite, denn mein ſeliger Freund<lb/>
war um zwanzig Jahre älter als ſeine Frau, kränk¬<lb/>
lich, ſehr kränklich, die Aerzte ſchenkten ihm kaum<lb/>
noch einige Frühlinge, obgleich ſie es aus Schonung<lb/>
der Geheimräthin verſchwiegen. Ich hatte mich ge¬<lb/>
täuſcht, auch das iſt Ihnen bekannt. Sie gab mir<lb/>
einen Korb, als ich nach dem Hinſcheiden des Edlen<lb/>
auf die ſchöne Fernſicht hinwies. Einen entſchiede¬<lb/>
nen, deutlichen Korb, indem ſie mich zu enttäuſchen<lb/>ſuchte, daß ſie je andre Empfindungen für mich ge¬<lb/>
habt, als die einer Seelenharmonie. Hierin, behaupte<lb/>
ich eben ſo offen, hat ſie ſich getäuſcht. Aber das<lb/>
iſt das Eigenthümliche in dieſen ſo für höhere Ein¬<lb/>
flüſſe immer geſtimmten Seelen, daß ſie den Ein¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">V</hi>. 13<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[193/0203]
verlangen, auch von ihren Aerzten getäuſcht zu wer¬
den. Im Verlauf der Zeit war ſie auch damit nicht
zufrieden, ſie wollte ſelbſt operiren. Wie ich auch
dagegen mich ſträubte, ſie beſtellte ſich bei Herrn Flitt¬
ner eine kleine Hausapotheke, und ich mußte den
Vermittler ſpielen. Herr Regierungsrath, alles das
ſind ſchon Verdachtsgründe, auf die ein gewöhnlicher
Richter mit beiden Fäuſten zugreifen würde. Aber
— ich empfand eine Achtung für die ſeltene Frau,
die mit jedem Tage wuchs, die, weil ich ſie erwie¬
dert glaubte, zu einer Seelenharmonie ward. Und
eben ſo offen geſtehe ich Ihnen, ich träumte grade
nicht davon, denn dazu bin ich zu alt, aber ich malte
mir das Glück, dereinſt den Reſt meines Lebens an
ihrer Seite verleben zu können. Dabei war nichts
Arges von meiner Seite, denn mein ſeliger Freund
war um zwanzig Jahre älter als ſeine Frau, kränk¬
lich, ſehr kränklich, die Aerzte ſchenkten ihm kaum
noch einige Frühlinge, obgleich ſie es aus Schonung
der Geheimräthin verſchwiegen. Ich hatte mich ge¬
täuſcht, auch das iſt Ihnen bekannt. Sie gab mir
einen Korb, als ich nach dem Hinſcheiden des Edlen
auf die ſchöne Fernſicht hinwies. Einen entſchiede¬
nen, deutlichen Korb, indem ſie mich zu enttäuſchen
ſuchte, daß ſie je andre Empfindungen für mich ge¬
habt, als die einer Seelenharmonie. Hierin, behaupte
ich eben ſo offen, hat ſie ſich getäuſcht. Aber das
iſt das Eigenthümliche in dieſen ſo für höhere Ein¬
flüſſe immer geſtimmten Seelen, daß ſie den Ein¬
V. 13
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/203>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.