Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

verlangen, auch von ihren Aerzten getäuscht zu wer¬
den. Im Verlauf der Zeit war sie auch damit nicht
zufrieden, sie wollte selbst operiren. Wie ich auch
dagegen mich sträubte, sie bestellte sich bei Herrn Flitt¬
ner eine kleine Hausapotheke, und ich mußte den
Vermittler spielen. Herr Regierungsrath, alles das
sind schon Verdachtsgründe, auf die ein gewöhnlicher
Richter mit beiden Fäusten zugreifen würde. Aber
-- ich empfand eine Achtung für die seltene Frau,
die mit jedem Tage wuchs, die, weil ich sie erwie¬
dert glaubte, zu einer Seelenharmonie ward. Und
eben so offen gestehe ich Ihnen, ich träumte grade
nicht davon, denn dazu bin ich zu alt, aber ich malte
mir das Glück, dereinst den Rest meines Lebens an
ihrer Seite verleben zu können. Dabei war nichts
Arges von meiner Seite, denn mein seliger Freund
war um zwanzig Jahre älter als seine Frau, kränk¬
lich, sehr kränklich, die Aerzte schenkten ihm kaum
noch einige Frühlinge, obgleich sie es aus Schonung
der Geheimräthin verschwiegen. Ich hatte mich ge¬
täuscht, auch das ist Ihnen bekannt. Sie gab mir
einen Korb, als ich nach dem Hinscheiden des Edlen
auf die schöne Fernsicht hinwies. Einen entschiede¬
nen, deutlichen Korb, indem sie mich zu enttäuschen
suchte, daß sie je andre Empfindungen für mich ge¬
habt, als die einer Seelenharmonie. Hierin, behaupte
ich eben so offen, hat sie sich getäuscht. Aber das
ist das Eigenthümliche in diesen so für höhere Ein¬
flüsse immer gestimmten Seelen, daß sie den Ein¬

V. 13

verlangen, auch von ihren Aerzten getäuſcht zu wer¬
den. Im Verlauf der Zeit war ſie auch damit nicht
zufrieden, ſie wollte ſelbſt operiren. Wie ich auch
dagegen mich ſträubte, ſie beſtellte ſich bei Herrn Flitt¬
ner eine kleine Hausapotheke, und ich mußte den
Vermittler ſpielen. Herr Regierungsrath, alles das
ſind ſchon Verdachtsgründe, auf die ein gewöhnlicher
Richter mit beiden Fäuſten zugreifen würde. Aber
— ich empfand eine Achtung für die ſeltene Frau,
die mit jedem Tage wuchs, die, weil ich ſie erwie¬
dert glaubte, zu einer Seelenharmonie ward. Und
eben ſo offen geſtehe ich Ihnen, ich träumte grade
nicht davon, denn dazu bin ich zu alt, aber ich malte
mir das Glück, dereinſt den Reſt meines Lebens an
ihrer Seite verleben zu können. Dabei war nichts
Arges von meiner Seite, denn mein ſeliger Freund
war um zwanzig Jahre älter als ſeine Frau, kränk¬
lich, ſehr kränklich, die Aerzte ſchenkten ihm kaum
noch einige Frühlinge, obgleich ſie es aus Schonung
der Geheimräthin verſchwiegen. Ich hatte mich ge¬
täuſcht, auch das iſt Ihnen bekannt. Sie gab mir
einen Korb, als ich nach dem Hinſcheiden des Edlen
auf die ſchöne Fernſicht hinwies. Einen entſchiede¬
nen, deutlichen Korb, indem ſie mich zu enttäuſchen
ſuchte, daß ſie je andre Empfindungen für mich ge¬
habt, als die einer Seelenharmonie. Hierin, behaupte
ich eben ſo offen, hat ſie ſich getäuſcht. Aber das
iſt das Eigenthümliche in dieſen ſo für höhere Ein¬
flüſſe immer geſtimmten Seelen, daß ſie den Ein¬

V. 13
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0203" n="193"/>
verlangen, auch von ihren Aerzten getäu&#x017F;cht zu wer¬<lb/>
den. Im Verlauf der Zeit war &#x017F;ie auch damit nicht<lb/>
zufrieden, &#x017F;ie wollte &#x017F;elb&#x017F;t operiren. Wie ich auch<lb/>
dagegen mich &#x017F;träubte, &#x017F;ie be&#x017F;tellte &#x017F;ich bei Herrn Flitt¬<lb/>
ner eine kleine Hausapotheke, und ich mußte den<lb/>
Vermittler &#x017F;pielen. Herr Regierungsrath, alles das<lb/>
&#x017F;ind &#x017F;chon Verdachtsgründe, auf die ein gewöhnlicher<lb/>
Richter mit beiden Fäu&#x017F;ten zugreifen würde. Aber<lb/>
&#x2014; ich empfand eine Achtung für die &#x017F;eltene Frau,<lb/>
die mit jedem Tage wuchs, die, weil ich &#x017F;ie erwie¬<lb/>
dert glaubte, zu einer Seelenharmonie ward. Und<lb/>
eben &#x017F;o offen ge&#x017F;tehe ich Ihnen, ich träumte grade<lb/>
nicht davon, denn dazu bin ich zu alt, aber ich malte<lb/>
mir das Glück, derein&#x017F;t den Re&#x017F;t meines Lebens an<lb/>
ihrer Seite verleben zu können. Dabei war nichts<lb/>
Arges von meiner Seite, denn mein &#x017F;eliger Freund<lb/>
war um zwanzig Jahre älter als &#x017F;eine Frau, kränk¬<lb/>
lich, &#x017F;ehr kränklich, die Aerzte &#x017F;chenkten ihm kaum<lb/>
noch einige Frühlinge, obgleich &#x017F;ie es aus Schonung<lb/>
der Geheimräthin ver&#x017F;chwiegen. Ich hatte mich ge¬<lb/>
täu&#x017F;cht, auch das i&#x017F;t Ihnen bekannt. Sie gab mir<lb/>
einen Korb, als ich nach dem Hin&#x017F;cheiden des Edlen<lb/>
auf die &#x017F;chöne Fern&#x017F;icht hinwies. Einen ent&#x017F;chiede¬<lb/>
nen, deutlichen Korb, indem &#x017F;ie mich zu enttäu&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;uchte, daß &#x017F;ie je andre Empfindungen für mich ge¬<lb/>
habt, als die einer Seelenharmonie. Hierin, behaupte<lb/>
ich eben &#x017F;o offen, hat &#x017F;ie &#x017F;ich getäu&#x017F;cht. Aber das<lb/>
i&#x017F;t das Eigenthümliche in die&#x017F;en &#x017F;o für höhere Ein¬<lb/>
flü&#x017F;&#x017F;e immer ge&#x017F;timmten Seelen, daß &#x017F;ie den Ein¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">V</hi>. 13<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[193/0203] verlangen, auch von ihren Aerzten getäuſcht zu wer¬ den. Im Verlauf der Zeit war ſie auch damit nicht zufrieden, ſie wollte ſelbſt operiren. Wie ich auch dagegen mich ſträubte, ſie beſtellte ſich bei Herrn Flitt¬ ner eine kleine Hausapotheke, und ich mußte den Vermittler ſpielen. Herr Regierungsrath, alles das ſind ſchon Verdachtsgründe, auf die ein gewöhnlicher Richter mit beiden Fäuſten zugreifen würde. Aber — ich empfand eine Achtung für die ſeltene Frau, die mit jedem Tage wuchs, die, weil ich ſie erwie¬ dert glaubte, zu einer Seelenharmonie ward. Und eben ſo offen geſtehe ich Ihnen, ich träumte grade nicht davon, denn dazu bin ich zu alt, aber ich malte mir das Glück, dereinſt den Reſt meines Lebens an ihrer Seite verleben zu können. Dabei war nichts Arges von meiner Seite, denn mein ſeliger Freund war um zwanzig Jahre älter als ſeine Frau, kränk¬ lich, ſehr kränklich, die Aerzte ſchenkten ihm kaum noch einige Frühlinge, obgleich ſie es aus Schonung der Geheimräthin verſchwiegen. Ich hatte mich ge¬ täuſcht, auch das iſt Ihnen bekannt. Sie gab mir einen Korb, als ich nach dem Hinſcheiden des Edlen auf die ſchöne Fernſicht hinwies. Einen entſchiede¬ nen, deutlichen Korb, indem ſie mich zu enttäuſchen ſuchte, daß ſie je andre Empfindungen für mich ge¬ habt, als die einer Seelenharmonie. Hierin, behaupte ich eben ſo offen, hat ſie ſich getäuſcht. Aber das iſt das Eigenthümliche in dieſen ſo für höhere Ein¬ flüſſe immer geſtimmten Seelen, daß ſie den Ein¬ V. 13

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/203
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/203>, abgerufen am 25.11.2024.