Die Freundin war noch in halber Wittwentrauer, in grauem Seidenkleide mit schwarzem Ueberwurf. Ihr Gesicht verrieth nur die Verklärung der Trauer. Man hatte bemerkt, daß sie, die bei seinen Lebzeiten nie viel von ihrem Manne gesprochen, jetzt gern, wenigstens absichtlich, das Gespräch auf ihn lenkte. Immer als Philosophin. Sie bedauerte ihn nicht, sie erklärte es als ein Glück, daß er diese unruhigen Zeiten nicht mehr erlebt. Man wisse nicht, wie diese reine, von den Weltverhältnissen unberührte Seele in diesen Berührungen, Stürmen würde gelitten ha¬ ben. Schon ein Collectensammler, ein Weinreisender, der in sein Zimmer gedrungen, habe ihn in eine fieberhafte Erschütterung versetzt und den Frieden seines Geistes auf Tage gestört. Wenn nun, wie jetzt täglich geschähe, Aufforderungen um Charpie, Beiträge zu dem und jenem in's Haus drängen, wie hätte sie ihn davor bewahren sollen! Schon das beständige Ziehen an der Klingel hätte sein Nerven¬ system angegriffen. Und nun erst gar die Mäntel¬ geschichte! Der Bürgermeister, Herr Büsching, war ja mit Herrn Gerresheim und Köls selbst zu ihr ge¬ kommen. Der selige Geheimrath habe eine so leb¬ hafte Phantasie gehabt, daß, wenn die Herren ihm die Noth der armen Soldaten, den Frost, die Schauer eines Winterlagers vorgemalt, er die Schrecken am eignen Leibe empfunden hätte. "O und er war die Liebe und Theilnahme selbst! Man glaubt es mir nur nicht,
„Was ſagt meine Freundin dazu?“
Die Freundin war noch in halber Wittwentrauer, in grauem Seidenkleide mit ſchwarzem Ueberwurf. Ihr Geſicht verrieth nur die Verklärung der Trauer. Man hatte bemerkt, daß ſie, die bei ſeinen Lebzeiten nie viel von ihrem Manne geſprochen, jetzt gern, wenigſtens abſichtlich, das Geſpräch auf ihn lenkte. Immer als Philoſophin. Sie bedauerte ihn nicht, ſie erklärte es als ein Glück, daß er dieſe unruhigen Zeiten nicht mehr erlebt. Man wiſſe nicht, wie dieſe reine, von den Weltverhältniſſen unberührte Seele in dieſen Berührungen, Stürmen würde gelitten ha¬ ben. Schon ein Collectenſammler, ein Weinreiſender, der in ſein Zimmer gedrungen, habe ihn in eine fieberhafte Erſchütterung verſetzt und den Frieden ſeines Geiſtes auf Tage geſtört. Wenn nun, wie jetzt täglich geſchähe, Aufforderungen um Charpie, Beiträge zu dem und jenem in's Haus drängen, wie hätte ſie ihn davor bewahren ſollen! Schon das beſtändige Ziehen an der Klingel hätte ſein Nerven¬ ſyſtem angegriffen. Und nun erſt gar die Mäntel¬ geſchichte! Der Bürgermeiſter, Herr Büſching, war ja mit Herrn Gerresheim und Köls ſelbſt zu ihr ge¬ kommen. Der ſelige Geheimrath habe eine ſo leb¬ hafte Phantaſie gehabt, daß, wenn die Herren ihm die Noth der armen Soldaten, den Froſt, die Schauer eines Winterlagers vorgemalt, er die Schrecken am eignen Leibe empfunden hätte. „O und er war die Liebe und Theilnahme ſelbſt! Man glaubt es mir nur nicht,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0153"n="143"/><p>„Was ſagt meine Freundin dazu?“</p><lb/><p>Die Freundin war noch in halber Wittwentrauer,<lb/>
in grauem Seidenkleide mit ſchwarzem Ueberwurf.<lb/>
Ihr Geſicht verrieth nur die Verklärung der Trauer.<lb/>
Man hatte bemerkt, daß ſie, die bei ſeinen Lebzeiten<lb/>
nie viel von ihrem Manne geſprochen, jetzt gern,<lb/>
wenigſtens abſichtlich, das Geſpräch auf ihn lenkte.<lb/>
Immer als Philoſophin. Sie bedauerte ihn nicht,<lb/>ſie erklärte es als ein Glück, daß er dieſe unruhigen<lb/>
Zeiten nicht mehr erlebt. Man wiſſe nicht, wie dieſe<lb/>
reine, von den Weltverhältniſſen unberührte Seele<lb/>
in dieſen Berührungen, Stürmen würde gelitten ha¬<lb/>
ben. Schon ein Collectenſammler, ein Weinreiſender,<lb/>
der in ſein Zimmer gedrungen, habe ihn in eine<lb/>
fieberhafte Erſchütterung verſetzt und den Frieden<lb/>ſeines Geiſtes auf Tage geſtört. Wenn nun, wie<lb/>
jetzt täglich geſchähe, Aufforderungen um Charpie,<lb/>
Beiträge zu dem und jenem in's Haus drängen,<lb/>
wie hätte ſie ihn davor bewahren ſollen! Schon das<lb/>
beſtändige Ziehen an der Klingel hätte ſein Nerven¬<lb/>ſyſtem angegriffen. Und nun erſt gar die Mäntel¬<lb/>
geſchichte! Der Bürgermeiſter, Herr Büſching, war<lb/>
ja mit Herrn Gerresheim und Köls ſelbſt zu ihr ge¬<lb/>
kommen. Der ſelige Geheimrath habe eine ſo leb¬<lb/>
hafte Phantaſie gehabt, daß, wenn die Herren ihm<lb/>
die Noth der armen Soldaten, den Froſt, die Schauer<lb/>
eines Winterlagers vorgemalt, er die Schrecken am eignen<lb/>
Leibe empfunden hätte. „O und er war die Liebe und<lb/>
Theilnahme ſelbſt! Man glaubt es mir nur nicht,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[143/0153]
„Was ſagt meine Freundin dazu?“
Die Freundin war noch in halber Wittwentrauer,
in grauem Seidenkleide mit ſchwarzem Ueberwurf.
Ihr Geſicht verrieth nur die Verklärung der Trauer.
Man hatte bemerkt, daß ſie, die bei ſeinen Lebzeiten
nie viel von ihrem Manne geſprochen, jetzt gern,
wenigſtens abſichtlich, das Geſpräch auf ihn lenkte.
Immer als Philoſophin. Sie bedauerte ihn nicht,
ſie erklärte es als ein Glück, daß er dieſe unruhigen
Zeiten nicht mehr erlebt. Man wiſſe nicht, wie dieſe
reine, von den Weltverhältniſſen unberührte Seele
in dieſen Berührungen, Stürmen würde gelitten ha¬
ben. Schon ein Collectenſammler, ein Weinreiſender,
der in ſein Zimmer gedrungen, habe ihn in eine
fieberhafte Erſchütterung verſetzt und den Frieden
ſeines Geiſtes auf Tage geſtört. Wenn nun, wie
jetzt täglich geſchähe, Aufforderungen um Charpie,
Beiträge zu dem und jenem in's Haus drängen,
wie hätte ſie ihn davor bewahren ſollen! Schon das
beſtändige Ziehen an der Klingel hätte ſein Nerven¬
ſyſtem angegriffen. Und nun erſt gar die Mäntel¬
geſchichte! Der Bürgermeiſter, Herr Büſching, war
ja mit Herrn Gerresheim und Köls ſelbſt zu ihr ge¬
kommen. Der ſelige Geheimrath habe eine ſo leb¬
hafte Phantaſie gehabt, daß, wenn die Herren ihm
die Noth der armen Soldaten, den Froſt, die Schauer
eines Winterlagers vorgemalt, er die Schrecken am eignen
Leibe empfunden hätte. „O und er war die Liebe und
Theilnahme ſelbſt! Man glaubt es mir nur nicht,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/153>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.