vorgeschwebt, daß ein so reines, schönes Mädchen, ein Abdruck der jungfräulichen Natur, nicht in das verderbte Städteleben passe, daß sie an der Hand eines braven, einfachen, redlichen Mannes fern auf dem Lande, in einer Hütte, umschattet von Flieder¬ büschen, das Glück und den Frieden des Lebens fin¬ den werde. Ihre großmüthige Phantasie hatte zwar die Hütte im Innern recht hübsch austapezirt, aber -- Adelheid paßte doch nicht dahin; zu dieser Ueber¬ zeugung war die kluge Königin schon in der ersten Hälfte ihres Zwiegespräches gediehen.
Aber um zu entsagen, dazu war sie stark. Louise blickte noch einmal mit Wohlgefallen das schöne Mäd¬ chen an. Welch ein Moment, wenn sie, nicht aus kindlicher Pflicht, nicht aus Rührung, nein, aus vol¬ ler Ueberzeugung erklärte: ja, einer höhern Pflicht gehorchend, entsage ich. In einer neuen, kurzen An¬ sprache malte die Königin ihr die Seligkeit dieses Gefühls. Sei es nicht eine königliche Tugend, das Herz der Pflicht unterzuordnen? Grade die auf der Menschheit Höhen wandeln, die Fürstinnen, seien von Anbeginn dazu bestimmt; zum Besten des Allge¬ meinwohls träten sie an den Opferaltar. Es war eigentlich eine Dithyrambe, in der Louise sich für die kleine Niederlage erholte; leider aber war Adel¬ heid heut nicht in derselben Stimmung. Als hätte die frische Herbstluft alle Nebel und Illu¬ sionen gelichtet, ihre Gedanken geklärt und in Schich¬ ten gelegt, antwortete sie mit einer Verständig¬
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vorgeſchwebt, daß ein ſo reines, ſchönes Mädchen, ein Abdruck der jungfräulichen Natur, nicht in das verderbte Städteleben paſſe, daß ſie an der Hand eines braven, einfachen, redlichen Mannes fern auf dem Lande, in einer Hütte, umſchattet von Flieder¬ büſchen, das Glück und den Frieden des Lebens fin¬ den werde. Ihre großmüthige Phantaſie hatte zwar die Hütte im Innern recht hübſch austapezirt, aber — Adelheid paßte doch nicht dahin; zu dieſer Ueber¬ zeugung war die kluge Königin ſchon in der erſten Hälfte ihres Zwiegeſpräches gediehen.
Aber um zu entſagen, dazu war ſie ſtark. Louiſe blickte noch einmal mit Wohlgefallen das ſchöne Mäd¬ chen an. Welch ein Moment, wenn ſie, nicht aus kindlicher Pflicht, nicht aus Rührung, nein, aus vol¬ ler Ueberzeugung erklärte: ja, einer höhern Pflicht gehorchend, entſage ich. In einer neuen, kurzen An¬ ſprache malte die Königin ihr die Seligkeit dieſes Gefühls. Sei es nicht eine königliche Tugend, das Herz der Pflicht unterzuordnen? Grade die auf der Menſchheit Höhen wandeln, die Fürſtinnen, ſeien von Anbeginn dazu beſtimmt; zum Beſten des Allge¬ meinwohls träten ſie an den Opferaltar. Es war eigentlich eine Dithyrambe, in der Louiſe ſich für die kleine Niederlage erholte; leider aber war Adel¬ heid heut nicht in derſelben Stimmung. Als hätte die friſche Herbſtluft alle Nebel und Illu¬ ſionen gelichtet, ihre Gedanken geklärt und in Schich¬ ten gelegt, antwortete ſie mit einer Verſtändig¬
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vorgeſchwebt, daß ein ſo reines, ſchönes Mädchen,
ein Abdruck der jungfräulichen Natur, nicht in das
verderbte Städteleben paſſe, daß ſie an der Hand
eines braven, einfachen, redlichen Mannes fern auf
dem Lande, in einer Hütte, umſchattet von Flieder¬
büſchen, das Glück und den Frieden des Lebens fin¬
den werde. Ihre großmüthige Phantaſie hatte zwar
die Hütte im Innern recht hübſch austapezirt, aber
— Adelheid paßte doch nicht dahin; zu dieſer Ueber¬
zeugung war die kluge Königin ſchon in der erſten
Hälfte ihres Zwiegeſpräches gediehen.
Aber um zu entſagen, dazu war ſie ſtark. Louiſe
blickte noch einmal mit Wohlgefallen das ſchöne Mäd¬
chen an. Welch ein Moment, wenn ſie, nicht aus
kindlicher Pflicht, nicht aus Rührung, nein, aus vol¬
ler Ueberzeugung erklärte: ja, einer höhern Pflicht
gehorchend, entſage ich. In einer neuen, kurzen An¬
ſprache malte die Königin ihr die Seligkeit dieſes
Gefühls. Sei es nicht eine königliche Tugend, das
Herz der Pflicht unterzuordnen? Grade die auf der
Menſchheit Höhen wandeln, die Fürſtinnen, ſeien von
Anbeginn dazu beſtimmt; zum Beſten des Allge¬
meinwohls träten ſie an den Opferaltar. Es war
eigentlich eine Dithyrambe, in der Louiſe ſich für
die kleine Niederlage erholte; leider aber war Adel¬
heid heut nicht in derſelben Stimmung. Als
hätte die friſche Herbſtluft alle Nebel und Illu¬
ſionen gelichtet, ihre Gedanken geklärt und in Schich¬
ten gelegt, antwortete ſie mit einer Verſtändig¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/141>, abgerufen am 27.11.2024.
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