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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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gen solle. Da wandte sich die Fürstin freundlich um:
"Ach, liebe Schadow, da fällt mir ein, ich vergaß,
als Hoym sich vorhin melden ließ, daß meine Lieb¬
lingsbücher auf dem Nähtisch liegen geblieben sind.
Sehn Sie doch nach, damit die Kinder nicht darüber
kommen."

Der Etikettenzweifel der Kammerfrau war gelöst,
sie verneigte sich und die Königin und Adelheid
waren allein.

Es war ein wunderschöner Herbstmorgen, kein
Wölkchen am sonnedurchglühten Himmel, die laue
Luft spielte durch die angegelbten Baumwipfel, Sper¬
linge zwitscherten in den Büschen, weiße Herbstfäden
flogen umher. Es war kein gezwungener Anfang des
Gespräches, wie von selbst kamen die Worte von den
Lippen der Königin:

"Sind Sie auch eine Freundin der Natur?"

"Sie streicht Balsam auf die Wunden der Lei¬
denden, und wessen Herz vor Freude jauchzt, wo fin¬
det er Laute dafür, als in ihrer stummen Sprache!"

Das war zu starke Farbe für die Stimmung,
sagen wir für die Poesie der Königin, aufgetragen.
Sie blieb einen Augenblick stumm. Dann sprach sie
Worte, die auch Andre behorcht haben müssen, denn
wir finden sie schon verzeichnet:

"Ich muß den Saiten meines Gemüthes jeden
Tag einige Stunden Ruhe gönnen, und sie dadurch
gleichsam immer wieder aufziehen, damit sie den rech¬
ten Ton und Anklang behalten. Das gelingt mir

gen ſolle. Da wandte ſich die Fürſtin freundlich um:
„Ach, liebe Schadow, da fällt mir ein, ich vergaß,
als Hoym ſich vorhin melden ließ, daß meine Lieb¬
lingsbücher auf dem Nähtiſch liegen geblieben ſind.
Sehn Sie doch nach, damit die Kinder nicht darüber
kommen.“

Der Etikettenzweifel der Kammerfrau war gelöſt,
ſie verneigte ſich und die Königin und Adelheid
waren allein.

Es war ein wunderſchöner Herbſtmorgen, kein
Wölkchen am ſonnedurchglühten Himmel, die laue
Luft ſpielte durch die angegelbten Baumwipfel, Sper¬
linge zwitſcherten in den Büſchen, weiße Herbſtfäden
flogen umher. Es war kein gezwungener Anfang des
Geſpräches, wie von ſelbſt kamen die Worte von den
Lippen der Königin:

„Sind Sie auch eine Freundin der Natur?“

„Sie ſtreicht Balſam auf die Wunden der Lei¬
denden, und weſſen Herz vor Freude jauchzt, wo fin¬
det er Laute dafür, als in ihrer ſtummen Sprache!“

Das war zu ſtarke Farbe für die Stimmung,
ſagen wir für die Poeſie der Königin, aufgetragen.
Sie blieb einen Augenblick ſtumm. Dann ſprach ſie
Worte, die auch Andre behorcht haben müſſen, denn
wir finden ſie ſchon verzeichnet:

„Ich muß den Saiten meines Gemüthes jeden
Tag einige Stunden Ruhe gönnen, und ſie dadurch
gleichſam immer wieder aufziehen, damit ſie den rech¬
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[110/0120] gen ſolle. Da wandte ſich die Fürſtin freundlich um: „Ach, liebe Schadow, da fällt mir ein, ich vergaß, als Hoym ſich vorhin melden ließ, daß meine Lieb¬ lingsbücher auf dem Nähtiſch liegen geblieben ſind. Sehn Sie doch nach, damit die Kinder nicht darüber kommen.“ Der Etikettenzweifel der Kammerfrau war gelöſt, ſie verneigte ſich und die Königin und Adelheid waren allein. Es war ein wunderſchöner Herbſtmorgen, kein Wölkchen am ſonnedurchglühten Himmel, die laue Luft ſpielte durch die angegelbten Baumwipfel, Sper¬ linge zwitſcherten in den Büſchen, weiße Herbſtfäden flogen umher. Es war kein gezwungener Anfang des Geſpräches, wie von ſelbſt kamen die Worte von den Lippen der Königin: „Sind Sie auch eine Freundin der Natur?“ „Sie ſtreicht Balſam auf die Wunden der Lei¬ denden, und weſſen Herz vor Freude jauchzt, wo fin¬ det er Laute dafür, als in ihrer ſtummen Sprache!“ Das war zu ſtarke Farbe für die Stimmung, ſagen wir für die Poeſie der Königin, aufgetragen. Sie blieb einen Augenblick ſtumm. Dann ſprach ſie Worte, die auch Andre behorcht haben müſſen, denn wir finden ſie ſchon verzeichnet: „Ich muß den Saiten meines Gemüthes jeden Tag einige Stunden Ruhe gönnen, und ſie dadurch gleichſam immer wieder aufziehen, damit ſie den rech¬ ten Ton und Anklang behalten. Das gelingt mir

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/120>, abgerufen am 23.11.2024.