noch nicht, was er rathen, fordern, sprechen sollte. Napoleon fuhr ihn an. Er schwieg. Napoleon ca¬ jolirte ihm, ging ihm um den Bart. Er schwieg auch. Dies Schweigen soll wirklich den großen Mann anfänglich verwirrt haben, bis er merkte, daß man auch schweigen kann, nicht um zu verschwei¬ gen, sondern weil man nicht weiß, was man wol¬ len soll. Solche Rathlosigkeit, solche Fassungskraft, solcher Mangel an Gedanken und Muth! Der Ver¬ treter des Militairstaates wußte von den militairi¬ schen Operationen nicht, was ein Quartaner in Preu¬ ßen wissen muß, ließ sich einschüchtern, Gott weiß womit, und was Napoleon in seiner Laune einfiel: er ließ sein Heer über Gebirge und Flüsse springen, Schlesien nehmen, Polen revoltiren, daß die Adjutan¬ ten hinter der Thür kaum das helle Auflachen zu¬ rückhielten. Das Heer, geschwächt, blutend, hätte da¬ mals nicht vier Meilen mehr gemacht. Dann, zum Trost, überschüttete er ihn mit Lobsprüchen für seinen guten Willen, seine Einsicht, und unser Mann ward roth vor Freude. -- Und in solche Hände legen unsre Fürsten unser Schicksal, und solchem Feinde gegenüber!"
"Die deutschen Fürsten --"
"Laß mich von ihnen schweigen. Was ich auch da sah, wenn eine Nachwelt kommt, wird sie's nicht glauben. Sauve qui peut, das ist das große Schi¬ boleth der Zeit."
"Und das deutsche Volk?"
IV. 4
noch nicht, was er rathen, fordern, ſprechen ſollte. Napoleon fuhr ihn an. Er ſchwieg. Napoleon ca¬ jolirte ihm, ging ihm um den Bart. Er ſchwieg auch. Dies Schweigen ſoll wirklich den großen Mann anfänglich verwirrt haben, bis er merkte, daß man auch ſchweigen kann, nicht um zu verſchwei¬ gen, ſondern weil man nicht weiß, was man wol¬ len ſoll. Solche Rathloſigkeit, ſolche Faſſungskraft, ſolcher Mangel an Gedanken und Muth! Der Ver¬ treter des Militairſtaates wußte von den militairi¬ ſchen Operationen nicht, was ein Quartaner in Preu¬ ßen wiſſen muß, ließ ſich einſchüchtern, Gott weiß womit, und was Napoleon in ſeiner Laune einfiel: er ließ ſein Heer über Gebirge und Flüſſe ſpringen, Schleſien nehmen, Polen revoltiren, daß die Adjutan¬ ten hinter der Thür kaum das helle Auflachen zu¬ rückhielten. Das Heer, geſchwächt, blutend, hätte da¬ mals nicht vier Meilen mehr gemacht. Dann, zum Troſt, überſchüttete er ihn mit Lobſprüchen für ſeinen guten Willen, ſeine Einſicht, und unſer Mann ward roth vor Freude. — Und in ſolche Hände legen unſre Fürſten unſer Schickſal, und ſolchem Feinde gegenüber!“
„Die deutſchen Fürſten —“
„Laß mich von ihnen ſchweigen. Was ich auch da ſah, wenn eine Nachwelt kommt, wird ſie's nicht glauben. Sauve qui peut, das iſt das große Schi¬ boleth der Zeit.“
„Und das deutſche Volk?“
IV. 4
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noch nicht, was er rathen, fordern, ſprechen ſollte.
Napoleon fuhr ihn an. Er ſchwieg. Napoleon ca¬
jolirte ihm, ging ihm um den Bart. Er ſchwieg
auch. Dies Schweigen ſoll wirklich den großen
Mann anfänglich verwirrt haben, bis er merkte, daß
man auch ſchweigen kann, nicht um zu verſchwei¬
gen, ſondern weil man nicht weiß, was man wol¬
len ſoll. Solche Rathloſigkeit, ſolche Faſſungskraft,
ſolcher Mangel an Gedanken und Muth! Der Ver¬
treter des Militairſtaates wußte von den militairi¬
ſchen Operationen nicht, was ein Quartaner in Preu¬
ßen wiſſen muß, ließ ſich einſchüchtern, Gott weiß
womit, und was Napoleon in ſeiner Laune einfiel:
er ließ ſein Heer über Gebirge und Flüſſe ſpringen,
Schleſien nehmen, Polen revoltiren, daß die Adjutan¬
ten hinter der Thür kaum das helle Auflachen zu¬
rückhielten. Das Heer, geſchwächt, blutend, hätte da¬
mals nicht vier Meilen mehr gemacht. Dann, zum
Troſt, überſchüttete er ihn mit Lobſprüchen für ſeinen
guten Willen, ſeine Einſicht, und unſer Mann ward
roth vor Freude. — Und in ſolche Hände legen
unſre Fürſten unſer Schickſal, und ſolchem Feinde
gegenüber!“
„Die deutſchen Fürſten —“
„Laß mich von ihnen ſchweigen. Was ich auch
da ſah, wenn eine Nachwelt kommt, wird ſie's nicht
glauben. Sauve qui peut, das iſt das große Schi¬
boleth der Zeit.“
„Und das deutſche Volk?“
IV. 4
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/59>, abgerufen am 12.12.2024.
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